Sophia bei Eric in einem Krankenzimmer
Etwas verlegen griff sie nach Erics Arm, den er ihr angeboten hatte. Sachte legte sie ihre Finger in seine Armbeuge und kam nicht umhin zu bemerken, dass die dortigen Muskeln besser trainiert wurden, als sie gedacht hätte. Sophia spürte seine Wärme, und spürte ihr Herz einige Takte schneller schlagen. Sie lauschte dem Klopfen, hoffte, dass er es nicht fühlen konnte. Ja, wer hätte gedacht, dass der Tag so enden würde. Ein Schmunzeln bildete sich auf ihren wohlgeformten Lippen. Eric hatte Recht. Sofort überlegte Sophia was sie denn sonst noch so getrieben hätte, was eigentlich gar nichts zur Sache tat. Das Schicksal hielt manchmal seltsame Überraschungen für seine Kinder bereit. In den Vermutungen der Adelstochter wäre wohl eher der Mond vom Himmel gestürzt, als dass sie so ungeschickt mit einer ganz besonderen Person zusammentraf. Eine verbale Antwort gab sie nicht auf seine Aussage, die vermutlich auch gar nicht erwartet wurde.
In der Klinik angekommen, gab Sophia den Arm ihrer Begleitung wieder frei. Nicht, weil sie seine Nähe als unangenehm empfand - im Gegenteil. Doch sie wollte vermeiden, dass am Ende noch getuschelt wurde. Vermutlich war es eh schon merkwürdig genug, dass eine Adlige so unbekümmert mit einem im Gesicht übel zugerichteten jungen und vor allem adretten Mann zur Abendstunde in die örtliche Klinik spazierte. Wie es sich gehörte, blieb Sophia nun zurück, als Eric mit einer Ärztin in einem der Räume verschwand.
Zunächst stand sie etwas verloren in der Nähe des Tresens herum, unsicher, was sie nun tun sollte. Ihr entging nicht, dass die Tür des Zimmers, in dem sich Eric nun befand, offen gelassen wurde. Für einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob dies nun hieß, dass sie ebenfalls folgen sollte, doch Sophia verwarf den Gedanken schnell wieder. Selbst wenn dem so wäre: Ihre Erziehung verbot es ihr. Doch es war nicht zu leugnen, dass sie nur zu gern der Versuchung widerstehen würde. Sie wollte wissen, wie es Eric ging. Waren es doch schlimmere Verletzungen als gedacht? Ein Zerwürfnis zwischen Herz und Verstand. Einige Male schielte die junge Dame zur Tür hinüber, sah jedoch schnell wieder weg. Doch irgendwann war die Neugier einfach zu groß und Sophia machte einige leise Schritte Richtung Türrahmen, gerade so weit, dass sie Eric sehen konnte. Sie wusste nicht recht, was sie erwartet hatte, aber dass ihr Retter in der Not dort mit freiem Oberkörper saß, ganz sicher nicht. Ihr Herz stolperte für einige Sekunden. Sie hatte gewusst, dass Eric gut gebaut war. Natürlich hatte sie das gewusst. Immerhin waren sie ein Paar gewesen. Und dennoch beflügelte sie sein Anblick, ließ die Nervosität durch ihren Körper sprudeln.
Ziemlich spät stellte sie erst fest, dass seine entblößte Haut mit einigen blauen Flecken und Blutergüssen bedeckt war. Zu allem Überfluss öffnete Eric nun die Augen und sah in ihre Richtung. Sofort stieg ihr die Schamesröte in den Kopf, als seine sanften braunen Augen den Blick ihrer violetten Iriden kreuzten. Schnell wandte sie sich ab, dass sie weder ihn noch er sie sehen konnte. Die Adelstochter schlug die Hände an den Kopf. Oh verdammt! Hoffentlich würde er jetzt nicht schlecht von ihr denken! Welch’ närrisches Verhalten von ihr! Sie kam sich so unglaublich kindisch vor. Nicht nur, weil er sie ertappt hatte, sondern auch, weil sie die malträtierten Stellen nicht sofort bemerkt hatte, obwohl diese alles andere als leicht zu übersehen waren. Sorge machte sich wieder in ihrer Seele breit. War er doch stärker verletzt?
Die restliche Zeit der Behandlung verbrachte Sophia direkt neben dem Eingang mit dem Rücken zur Wand. Unruhig wartete sie darauf, dass die Ärztin das Zimmer verließ. Dann endlich bat man sie herein. Mit zögernden Schritten und ihrer Sorge um ihn direkt ins Gesicht geschrieben, trat sie nun neben ihn. Die Adelstochter wollte etwas sagen, konnte allerdings auch keine Worte finden, doch ihr Gegenüber kam ihr glücklicherweise sowieso zuvor. Stumm nickend nahm sie Erics Erklärung zur Kenntnis. Seine folgenden Worten brachten die junge Dame jedoch halb aus der Fassung. Nach Hause gehen?! Wie sollte sie ruhigen Gewissens allein nach Hause gehen, wenn er hier in der Klinik lag? Wegen ihrer Tollpatschigkeit! “N-nein!”, platzte es daher etwas ungestüm aus ihr heraus. Schnell realisierte sie ihr unschickliches Verhalten, räusperte sich kurz und schlug die Augen nieder. “Entschuldige … nein. Ich möchte dir gern noch ein wenig Gesellschaft leisten.” Langsam hob sie den Blick wieder und sah ihm in die Augen. “Sofern du es gestattest.”, fügte sie noch mit einem kleinen Lächeln hinzu. Schnell kehrte jedoch der sorgenvolle Ausdruck zurück. “Hast du Schmerzen? Kann ich etwas für dich tun?” Hoffentlich gab es etwas, was sie für ihn tun konnte. Sophia wollte sich gerne so gut es ging für seine Hilfe revanchieren.