Benjamin bei Charlie
Irgendwann hatte Ben aufgehört zu zählen, wie oft Charlie ihn schon einen Lebensretter genannt hatte. Dennoch zauberte diese Art von Dankbarkeit immer wieder ein Lächeln auf seine Lippen. Am Ende war es immer so, dass Ben froh war, ihr eine Hilfe gewesen sein zu können. Egal bei was und egal wie sehr er sie anfangs unterbewusst oder auch bewusst verfluchte. "Ich dich auch.”
Nachdem Charlie den ungenießbaren Hustenbonbon in seine Hand gedrückt hatte, scannte er kurz den Raum auf der Suche nach einer Packung Taschentücher, fand sie schließlich irgendwo zwischen Rucksack für die Schule und einem Pantoffel. Leise stand Ben auf, um eines der Tücher aus der Hülle zu zupfen, den Bonbon darin einzuwickeln und schlussendlich das gute Stück in den Mülleimer zu werfen. Seine Schwester hatte sich schon wieder unter die Decke gekuschelt. Ihr Blick verriet eindeutig, dass sie es gut fände, wenn ihr Bruder noch blieb. Kurz überlegte er. Vermutlich war das das Klügste. Neben der Tatsache, dass er hundemüde war, wollte er nicht unbedingt riskieren, dass ihre Oma noch misstrauischer wurde bei weiteren Geräuschen im Flur. Ein kurzes Achselzucken, dann gesellte er sich zu seiner Schwester unter die Bettdecke und löschte das Licht. Die Alkoholfahne, die von ihr ausging, war nun nicht der beste Geruch, um in den Schlaf zu finden, aber dennoch siegte die Müdigkeit am Ende doch sehr schnell.
Erst die Sonnenstrahlen vom neuen Morgen weckten den Teenager wieder. Vermutlich nichtmal das, denn der “Morgen” war schon eher fast Mittag, wie Ben mit einem kurzen Blick auf die Uhr feststellte. Er fühlte sich wie überfahren. Wie musste es da Charlie erst gehen? Noch rührte sie sich nicht. Müde rieb Ben sich das Gesicht und schloss noch einmal die Augen. Mannometer … selbst wenn er sich jetzt wieder schwor sowas nicht nochmal mitzumachen, tat er es am Ende doch wieder. Auf jeden Fall würde er seinen Zwilling noch ausfragen, wo sie sich gestern überhaupt rumgetrieben hatte. Also ... nicht nur aus Neugier…! Und selbst wenn doch … egal! Langsamer als jede Schnecke schälte er sich aus dem Bett, um erstmal das zu tun, was wohl jeder nach dem Aufstehen tat: Pinkeln gehen. Zum Glück gab es auch im Obergeschoss ein Bad und er konnte vermeiden den Großeltern direkt in die Arme zu laufen. Nach dem Handewäschen half ihm etwas kaltes Wasser im Gesicht halbwegs wach zu werden. Auf dem Rückweg in Charlies Zimmer machte er kurz einen Abstecher in sein eigenes, um ein Buch und das obligatorische Glas Wasser auf seinem Nachttisch, was er immer vor dem Schlafengehen dort platzierte, zu holen. Mit Sicherheit würde sie es brauchen und er würde sowieso warten, bis sie wach wurde. Kaum betrat Ben besagten Raum, regte sich der schmale Körper seiner Schwester auch schon, begleitet von einem sehr gequälten nicht so ganz definierbarem Laut. Schmunzelnd stellte er das Glas auf den Nachttisch zu dem bereits leeren, schob ein paar Dinge, die quer auf dem Boden lagen, zur Seite und setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich. Schweigend und etwas amüsiert beobachtete Ben seinen Zwilling bis sich ihre Blicke trafen. “Kater?” Eigentlich eine rhetorische Frage, aber was sollte es.