Kiel kommt an | später bei Julia und Max
Das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes wurde heute irgendwie nur mit recht wenig Füßen bedeckt, wie Kiel etwas verwundert feststellte, während ihn wieder der Drang zu gähnen überkam. Er hatte die vergangenen Stunden die Nachtschicht auf der Mauer gehabt, war deshalb ziemlich müde und eigentlich reif fürs Bett, an das er im Moment gar nicht denken wollte, weil die Müdigkeit dadurch nur größer zu werden schien. Zwar hatte er sich für ein paar Stunden hingelegt, aber so richtig ausgeruht schlief er nie mitten am Tag. Dann musste er auch noch feststellen, dass die Essensvorräte im Haus so gut wie aufgebraucht waren. Also hatte er mehr oder weniger freiwillig beschlossen direkt nach seinem Nickerchen den Marktplatz aufzusuchen. Wenn er ehrlich war, hatte er gar keine andere Wahl, denn in seiner Welt hieß ‘fast aufgebraucht', dass da noch ein alter Kanten Brot in der Ecke der Vorratskammer lag neben der letzten Tomate, die schon ihre besten Tage hinter sich hatte. Unglücklicher Weise war an diesem Tag kein offizieller großer Markttag, wie ihm siedend heiß einfiel. Kein Wunder, dass der Platz mit nur wenig Ständen aufwartete und auch die Anzahl an Menschen, die sich das Angebot ansahen, überschaubar war. Ein leiser Seufzer trat über seine Lippen. Nun gut, irgendwas würde er schon finden. Zuversicht war ein guter Begleiter!
Kiel ließ seinen Blick über den Markt gleiten, entschied sich dann jedoch dafür die kleine Backstube, die unweit am Rand eigentlich fast immer geöffnet hatte, aufzusuchen, um das ganze abzukürzen. Brot im Haus war zumindest erstmal die Grundlage, alles weitere konnte er auch an einem anderen Tag holen. Nur musste Kiel hoffen, dass es noch welches gab. Immerhin waren die besten Backwaren am frühen Morgen und Vormittag zu haben. Freundlich grüßend tat er schließlich über die Türschwelle und ein herrlicher Geruch von frischen Laiben empfing ihn. Ein kurzer Blick und die Feststellung, dass die Auswahl nicht mehr groß war, aber es lag noch Ware aus. Allerdings nur Sorten, die er nicht allzu gern mochte. Er seufzte, stellte dann fest, dass er auch überhaupt gar keinen Einkaufskorb dabei hatte und seufzte noch einmal. Also gut die der Einkauf sollte heute wohl einfach nicht stattfinden.
Alsbald trat Kiel also wieder, mit leeren Händen unter den leicht wolkenverhangenen Himmel. Unmittelbar neben der kleinen Bäckerei befand sich die Konditorei und mehr halb automatisch als gezielt warf er einen Blick durch die Fenster ins Innere. Ob er sich ein kleines Stück Süße holen sollte? Es war schon eine ganze Weile her, dass er sich mal solch eine ausgefallene Kleinigkeit gegönnt hatte. Meistens gab er nur Geld aus für Dinge, die er zwingend brauchte und Kuchen oder gar Torte gehörten da nun wirklich nicht zu. Das war in seinen Augen eher was für die feineren Leute und vielleicht ging er auch genau deshalb eher ungern in die Konditorei, weil er sich dort, überspitzt gesagt, wie ein Bauerntrampel in einem Palast fühlte. Heute aber gab er sich mal einen Ruck. Wenn schon kein Brot, dann eben Kuchen. Er konnte sich das Stück ja auch einfach einpacken lassen und dann Zuhause oder auf einer Parkbank essen, oder? Er musste sich ja nicht zwingend zwischen die Leute setzen, falls sie ihm zu fein erschienen. Also gab er sich einen Ruck und betrat schließlich das Etablissement, ließ sich am Tresen ein Stück eines eher einfach aussehenden Kuchens einpacken, wandte sich um und … erstarrte. Denn da, mitten zwischen den Gästen, saß Julia. Ihre wundervollen grünen Locken würde er überall sofort erkennen - dachte er zumindest, denn auf dem Weg hinein hatte er sich wohl zu sehr auf den Tresen konzentriert und sie gar nicht bemerkt. Innerlich verfluchte er sich gerade dafür. Vermutlich hatte sie ihn bereits erkannt und jetzt einfach wortlos wieder nach draußen zu gehen und quasi die Flucht zu ergreifen, wäre alles andere als charmant. Und noch dazu war er der Letzte, der einfach flüchtete! Kiel atmete kurz so unauffällig wie möglich tief ein und aus und trat dann an den Tisch heran. Erst jetzt bemerkte er die weitere Person am Tisch. Seiner Kleidung nach zu urteilen gehörte der Herr offenbar zum Adel und wenn ihn nicht alles täuschte hatte er dessen Gesicht auch schonmal gesehen. Damals beim Maskenball in der Villa vielleicht? Jedenfalls ein Umstand, der Kiel gerade nur noch nervöser machte. Mit solchen Leuten umgab Julia sich? Er war mehr als erstaunt und irgendwie … beeindruckt? Er räusperte sich etwas unbeholfen, um Zeit zu schinden und brachte schließlich ein “Hallo Julia, lange nicht gesehen.”, begleitet von einem ehrlichen, aber etwas zaghaften Lächeln, heraus. Etwas unsicher stand er für einen kurzen Augenblick auf der Stelle, betrachtete das eingepackte Stück Kuchen in seinen Händen und fügte dann noch schnell hinzu: “Ähm … ich wollte auch gar nicht stören...”, überließ damit Julia und dem Adelsmann, ob er sich lieber entfernen sollte oder nicht.