Einige Stunden später - Darren & Yumi - Vor Darrens Zimmer
Immer weiter entfernte sich die Blonde von dem Wohnheim. Jenes Gebäude, welches für unbestimmte Zeit lang ihr Zuhause war. Oder so etwas in der Art. Das war nun vorbei. Spätestens bis zum Ende des Monats musste sie sich eine neue Bleibe gesucht haben. Ihre eigenen vier Wände. Nach Sternbach zu ihren Eltern zu ziehen war auf jeden Fall keine Option. Niemals. Ihre Gedanken rasten - gingen mögliche Optionen durch und sträubten sich gleichzeitig davor auch nur einen dieser Gedanken länger zuzulassen weil sie die junge Erwachsene sonst nahezu erdrückten. Sie wusste, dass sie es nicht für immer rausschieben konnte. Sie wusste, dass sie sich etwas überlegen musste und dennoch war das Erste und Einzige an das sie denken konnte wie sie diese Situation und diese Gedanken am Besten beiseite schieben konnte um sich nicht damit auseinanderzusetzen. Der Druck auf ihrer Brust lies nach je mehr Abstand sie schuf. Mit jedem Schritt den sie machte war es ein kleines bisschen leichter und irgendwann schaffte sie es wieder durchzuatmen und ihre Schritte zu verlangsamen. Sie war beinahe gelaufen. Das war es was sie gut konnte. Weglaufen. Vor Gefühlen. Vor Situationen. So war es schon immer gewesen wenn ihr etwas zu viel wurde. Wenn es etwas gab mit dem sie nicht konfrontiert werden wollte. Wann hatte das angefangen? Unweigerlich verabschiedeten sich ihre Gedanken in Richtung Vergangenheit und doch lies sie diesen kleinen Ausflug nicht allzu lange zu weil es nicht viele Situationen gab an die sie wirklich gerne zurückdachte. Nicht mehr. Sie rückte ihren Rucksack zurecht und lies den Blick ihrer eisblauen Augen über ihr näheres Umfeld wandern. Sie war in der Innenstadt gelandet. Natürlich. Das Unigelände befand sich nahezu mittendrin und wenn man einige Seitenstraßen nahm fand man sich eben dort wieder. Yumi sah über ihre rechte Schulter. Fast so als wollte sie prüfen ob er ihr nicht vielleicht doch gefolgt war. Fast so als wollte sie sich absichern, dass sie dem anderen Grund warum sie sich letztendlich hier befand und nicht in ihrem Zimmer entkommen war. Darren. Ein Seufzen kam über die Lippen des Mädchens und sie strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr während sie unbeirrt weiter durch die Innenstadt wanderte. Ziellos. Noch immer lag der Geschmack seiner Lippen auf den ihren. Noch immer hing sein Duft in ihrer Nase. Noch immer spürte sie seine Berührungen auf ihrer Haut und alleine bei dem Gedanken schlug ihr Herz um einige Takte schneller als normal. Die selbe Hitze wie vor wenigen Minuten in ihrem Zimmer stieg in ihr auf als sie diese Gedanken einen Moment zuließ bevor wieder das Bild dieser Narbe, die seinen Körper zierte, vor ihrem inneren Auge auftauchte - sie daran erinnerte warum sie jetzt ohne Ziel vor Augen durch die Innenstadt irrte anstatt sich mit ihm zu vergnügen. Sie schluckte. Natürlich hatte sie mitbekommen, dass er noch einmal operiert hatte werden müssen. In seinen Nachrichten stand auch etwas von Nachblutung und doch hatte sie nicht mit soetwas gerechnet. Sie presste die Lippen aufeinander. Sie war in sein Leben gekommen wie ein Wirbelsturm und hatte alles zerstört. Das Ausmaß ihrer Fehler wog schwer. Sie sollte fernbleiben. Sie musste fernbleiben. Einmal musste sie das Wohl eines Anderen über ihr eigenes stellen. Egal wie sehr sie es genoss sich mit ihm zu vergnügen - mit ihm zusammen zu sein. Yumi schüttelte den Kopf. Wollte diese Gedanken aber es gelang ihr nicht. Sie steckte sich noch eine Zigarette an - wusste letztendlich nicht die wievielte es seit dem Verlassen des Wohnheims war aber es spielte auch keine Rolle. Hastig inhalierte die Blonde den Rauch. Spürte wie sie ein kleines bisschen ruhiger wurde bevor sie in die nächstbeste Seitengasse bog und dort die steinerne Treppe hinunter lief um sich vor einer kleinen Bar wiederzufinden in die es sie immer mal wieder verschlug. Sie war früh dran und dennoch war sie nicht der einzige Gast. Zwei drei Kerle lungerten an der Theke vor ihren Getränken. Jeder mit sich selbst beschäftigt. Mit den eigenen Gedanken oder mit dem Smartphone, welches neben ihrem halbleeren Glas lag. Flüchtig wanderte ihr Blick über die Anwesenden bevor sie am anderen Ende der Theke Platz nahm, wo sie gleich von der Barkeeperin per Handzeichen begrüßt wurde. Yumi schenkte ihr ein stummes Nicken. Ein kurzer Blickwechsel verriet der Dame hinter der Theke, dass Yumi das Übliche nahm.
Die Zeit verging und es sammelten sich immer mehr leere Gläschen vor der ehemaligen Studentin. Vielleicht hatte die Bardame sie nicht abserviert um ein Auge auf den Konsum der Blonden zu haben oder aber sie hatte Hoffnung, dass diese beim Anblick der Menge zur Vernunft kam und nach Hause ging. Yumi drehte ein weiteres leeres Gläschen zwischen ihren Fingern bevor sie es auf der Theke abstellte und es sich zu seinesgleichen gesellte. Mittlerweile war die Bar gut gefüllt und immer wieder verirrten sich irgendwelche Kerle in ihre Richtung, die sich wohl mehr erhofften aber sie schenkte den Meisten einen eiskalten Blick oder machte sich noch nicht einmal die Mühe auf die billigen Anmachsprüche zu reagieren. Heute war ihr nicht nach dieser Form der Ablenkung. Heute wollte sie einfach für einen Abend vergessen. Vergessen, dass sie die Zukunft eines Studenten zerstört hatte. Vergessen, dass sie bald wohl unter der Brücke schlafen musste wenn sie sich nicht bald eine Alternative überlegte. Der Blick der Blonden wanderte über die Menge an Drinks und Shots, die sie in der kurzen Zeit vernichtet hatte. Hatte sie überhaupt genug Geld dabei? Würde das ihr Konto sprengen? Irgendwann ganz bestimmt. Vielleicht schon heute. Yumi schwankte ein kleines bisschen als sie ihren Rucksack hervorholte und einen Blick auf ihr Handy warf. Nichts. Natürlich nicht. Was erwartete sie? Eine Nachricht von Darren? Eine Antwort von Alex? Ein amüsierter Laut kam dem Mädchen über die Lippen. Erst jetzt bemerkte sie das es schon relativ spät war. Das sie mehrere Stunden schon hier verbracht hatte. Ihre Gedanken stumm schaltete - was nur bedingt klappte. Immer wieder kam ihr ihre letzte Begegnung in den Sinn. Immer wieder dachte sie an diese dunkelbraunen Augen, die sie nicht losließen. Immer wieder wiederholten sich in ihrem Kopf seine Worte. Warum willst du mich so sehr davon überzeugen? Damit schließlich ich es bin der geht? Weil du es nicht kannst? Weil ich dir etwas bedeute? Weil dir etwas fehlen würde? Weil ich dir fehlen würde.Der Griff um ihr Glas wurde fester. Aus seinem Mund klang es wie eine Feststellung. Als wäre er sich seiner selbst so sicher. Als könnte er hinter die Mauer sehen, die sie sich über die Jahre aufgebaut hatte. Yumi spürte eine Hitze in ihren Wangen. Vom Alkohol? Vor Wut? Oder weil sie wusste das er Recht hatte...? Er fehlte ihr. Was auch immer sie miteinander hatten fehlte ihr. Aber das durfte nicht so sein. Weil er mehr verdient hatte. Weil sie nicht gut genug war. Weil sie nicht in seine Welt passte - dort keinen Platz hatte. Yumi rief zum wiederholten Male an diesem Nachmittag oder Abend die Dame hinter der Theke zu sich um noch mehr zu bestellen. Immerhin wollten ihre Gedanken einfach nicht still sein. Aber die Bardame schüttelte nur den Kopf. Offensichtlich glaubte wieder einmal Jemand besser zu wissen was gut für Yumi war. Widerwillig zückte die ehemalige Studentin ihre Bankomatkarte um ihre Schuld zu tilgen. Mittlerweile war der Alkoholspiegel in ihrem Blut hoch genug um Sorgen ob ihr Kontorahmen ihren heutigen Konsum an Gift überhaupt stemmen konnte in Vergessenheit geraten zu lassen. "Wenn du mir nichts mehr gibst geh ich eben woanders hin..." murmelte die Blonde und ihre Augen formten sich zu Schlitzen bevor sie sich ihren Rucksack schnappte und mit wankenden Schritten die Bar verließ. Die kühle Luft tat gut aber traf die junge Erwachsene wie ein Schlag ins Gesicht. Sie fühlte nahezu wie sie von Sekunde zu Sekunde betrunkener wurde und wischte sich einmal über die Stirn. Vielleicht reichte es für heute wirklich. Zumindest würde sie so sicher keine Probleme haben in den Schlaf zu finden. Langsam setzte sie sich in Bewegung - schwankte einmal nach rechts und einmal nach links. Oder drehte sich die Welt heute einfach ein gutes Stück schneller als normalerweise? Yumi musste sich bei jedem Schritt anstrengen nicht das Gleichgewicht zu verlieren und irgendwann - gefühlte Stunden später - fand sich die Blonde tatsächlich vor dem Wohnheim wieder. Mit Schwung öffnete sie die Eingangstür und musste aufpassen, dass sie dabei nicht am Boden landete. Beim Eintreten stolperte das Mädchen beinahe über die Türschwelle und jede einzelne Stufe bis in den obersten Stock stellte sich als wahre Hürde da. Erleichtert atmete Yumi auf als sie es doch irgendwie nach oben geschafft hatte und widerstand dem Verlangen sich einfach dort auf den Boden zu legen weil sich wieder einmal alles drehte. Sie fasste sich an die Stirn und strich ihre langen blonden Strähnen aus ihrem Gesicht als sie ihr Zimmer ansteuerte. Als der Blick ihrer blauen Augen zu seiner Türe glitt, fiel ihr auf, dass die Tür einen Spalt offen stand.
Yumi hielt inne. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Sie wandte sich wieder ab aber rührte sich nicht von der Stelle bevor ihr Blick sich erneut in die Richtung seines Zimmers verirrte. Schließlich merkte die ehemalige Studentin, dass sie sich darauf zu bewegte - sich ihre Hand hob um an seiner Tür zu klopfen es aber doch unterließ als die Tür ohnehin ein kleines bisschen mehr von dem Inneren Preis gab als sie berauscht von dem Gift, welches sie den halben Tag über in sich gekippt hatte, dagegen stieß. Sein Zimmer war in Dunkelheit gehüllt aber als das Licht vom Flur hineinfiel, erkannte sie eine Gestalt, die regungslos auf dem Bett lag. Schlief er schon? Natürlich. Es war sicher schon spät. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit vergessen als sie auf der Flucht gewesen war. Überhaupt: was machte sie hier eigentlich? Gerade wollte Yumi sich abwenden um sich in ihr Zimmer zurückzuziehen als ihr die Schnapsflasche am Boden auffiel, die sich teilweise darauf entleert hatte. Ein Anblick, der sonst eigentlich nicht in das ordentliche Zimmer des Schauspielstudenten passte. "Hey..." kam es über die Lippen Yumis als sie sich ein wenig weiter ins Zimmer vorwagte um einen besseren Überblick über die Lage zu haben. Ging es ihm gut? Kurz riss sie ihren Blick von dem regungslosen Körper des Anderen los und entdeckte seine Gitarre in einer Ecke des Raums am Boden liegend. Die Augen der Blonden weiteten sich ein wenig. Auch das war doch eher untypisch für ihn. "Darren...?" drang es deshalb fast schon heiser aus ihrer Kehle als sie ihren Blick über ihn wandern ließ. Er liebte seine Gitarre und würde doch nicht... Yumi sog scharf die Luft ein, stolperte ungeschickt auf das Bett zu, auf dem der Lockenkopf lag zu und lehnte sich im nächsten Moment über ihn. Der beißende Geruch von Schnaps drang in ihre Nase - doch dieses Mal ging er nicht von ihr aus. Sorgenlag in ihrem Blick als sich ihre Gedanken verselbstständigt hatten - sich die wildesten Szenarien ausdachten was passiert sein könnte. Etwas in ihr zog sich zusammen. Sie legte sanft eine Hand an sein Gesicht, strich die losen Locken beiseite während ihre blauen Augen jeden Millimeter abtasteten um sich ein Bild von der Situation zu machen. Seine Augen waren geschlossen. Er rührte sich nicht. Atmete er? Ein wenig lauter wiederholte sie seinen Namen als sie nicht gerade zärtlich mit der anderen Hand an seiner Schulter rüttelte. Ihre blonde Haarpracht war ihr dabei ins Gesicht gefallen und kitzelte sicher den Dunkelhaarigen, der nach wie vor regungslos unter ihr lag. Aber darum kümmerte Yumi sich gerade nicht - daran dachte sie gar nicht als sie sich Mühe gab den angehenden Schauspieler wach zu bekommen. Zwar spürte sie immer noch den Alkohol in ihrem Blut aber mit einem Mal war sie doch um ein gutes Stück nüchterner als noch vor wenigen Sekunden…