[Tori] & Gaius | im Hinterhof
Noch immer spürte sie den sanften Schutz seiner Umarmung. Gaius hielt sie und das war das Einzige, was die Magd nicht in Verzweiflung und Trauer um einen Verlust, der doch noch gar nicht eingetreten war, fallen ließ. Gaius war hier. Noch war er hier. Doch würde er es auch bleiben? Sie musste es hören, wollte es wissen, doch konnte noch nicht einmal den Blick heben. Ihr Kopf war gegen seine Brust gelehnt, die Augen sahen zu den Füßen. Selbst ihre Arme befanden sich zwischen ihnen, so sehr, so plötzlich, hatte er sie eingefangen. Behutsam strichen ihre Fingerkuppen über den rauen Stoff seiner gegerbten Kleidung. Ein wenig wünschte sich die Maid hier einfach zu verharren. Die Zeit anzuhalten, einfach stehen zu bleiben, geborgen in der Wärme, die seine reine Anwesenheit ihr schenkte. Aber das würde nicht passieren. Und auch die Bestätigung ihrer Bitte würde Tori nicht erhalten. Ein sanftes Wispern gelangte leise an ihr Ohr, doch es waren nicht die Worte, die das Mädchen erwartet hatte. Sie riss die Augen auf, der Mund öffnete sich einen Spalt breit, wie um sofort etwas zu erwidern. Dafür musste sie aber erst einmal begreifen, welche Worte sie hier erreicht hatten. Ein seltsames Ziehen breitete sich in ihrem Bauch aus. 'Ist.. das hier, zwischen uns, was wir hier tun.. Ist das.. Liebe?' W-Wovon sprach er da? Aber wusste sie es nicht längst? War es nicht der Grund, warum sie egozentrisch und verlangend geworden war? Warum sie Dinge sagte, um Sachen bat, die ihr früher niemals in den Sinn gekommen wären? Deren alleiniger Gedanke sie als Frevel angesehen hätte? Dennoch wogte eine Welle des Schockes über die Magd hinweg. Liebe. Das war ein großes Wort, ein Mächtiges. Etwas, von dem sie nie ausgegangen war, dass es ihr einmal widerfahren sollte. Mit Glück wäre sie verheiratet worden, mit Pech als alte Jungfer geendet, mit noch ein wenig mehr Pech hätte der Orkkönig Grarag sie zur Braut genommen. Diese Aussichten waren in ihrem Innersten verankert gewesen, doch nun? Hatte sie tatsächlich ein Recht darauf seine Liebe einzufordern? Ach, sie wusste ja kaum was das war! Das Gefühl der Sicherheit in seiner Nähe? Der Geborgenheit, des Schutzes? Das er sie zum Lachen brachte und ihre Tränen wegtrocknete? Dass er schon so lange für sie da war, sie unterstützte, ihr Mut machte? Ja, dass sie ohne diese Gesten, die er ihr schenkte, schon gar nicht mehr konnte? Das sie sich ohne ihn nur halb vollständig fühlte, dieses Glück und diese Freude, die sie verspürte, ganz gleich, was er tat. Dass es sie nach ihm verzehrte, nach dem Glucksen, was seinem Hals häufiger als ein Lachen entwich, nach seiner zerstreuten, chaotischen, liebevollen Art. Ja. Das war so. Daher hatte sie es sogar gewagt ihren Wunsch zu äußern, ihm Raum in Form von Worten zu geben, mit dieser Bitte das Versprechen abzugeben, dass er blieb. Doch konnte es tatsächlich mehr als nur das sein? Mehr als Sehnsucht, mehr als Freundschaft, mehr als Vertrauen? Liebe. Es war so ein großes Wort, so eine abstrakte Angelegenheit. Woher wusste man ob man sich liebte? Und was bedeutete das genau? Würde... würde sich dadurch etwas zwischen ihnen ändern? Zum Negativen? War auch das eine Möglichkeit? Der Gedanke machte ihr Angst, dennoch überwog die Annahme - und mochte es Hoffnung sein - dass es sich... richtig anfühlte? Tat es das? Sie dachte nicht zum ersten Mal über diese Möglichkeit nach, doch nun, da Gaius es aussprach, fühlte sie, als würde der Boden unter ihren Füßen weg gezogen. Nur, dass das gar nicht schlimm war, denn er hielt sie noch immer fest. So konnte ihr nichts geschehen. Wenn also auch er darüber nachdachte, konnten sie... zusammen... diese Option in Erwägung ziehen? War das überhaupt wichtig? Zögerlich hob Tori den Kopf, das Kinn noch immer auf seiner Brust aufliegend und sah ihn aus feuchten Augen heraus an. Ihr Herz klopfte laut, doch der Rhythmus fühlte sich seltsam angenehm an. "I-Ich... ich g-glaube ja.", sprach sie, nicht minder zu ihrer eigenen Überraschung. Sie glaubte, sie wusste es nicht. Vielleicht gab es keine endgültige Gewissheit darüber, sondern man musste sich einfach darauf einlassen, auf dieses Gefühl - wie auch immer man es nun nennen mochte. War sie bereit dafür? War er es? Konnten sie es zumindest zusammen sein? War zusammensein überhaupt der richtige Ausdruck dafür? "W-Wäre... w-wäre d-das in O-Ordnung für d-dich?", fragte sie, ihre Stimme gleich dem Wispern des Windes. Falls es das war, dann, ja, hatte sie vielleicht doch eine Antwort auf seine vorherige Frage gefunden.