Kyle & Luke
Gott. Ihm war schlecht. Ihm war schwindelig. Er fühlte sich müde, erschöpft, kraftlos. Sein Sichtfeld war noch immer etwas verschwommen, aber er versuchte sich so, so sehr auf seinen besten Freund direkt vor ihm zu konzentrieren. Auch die Sache mit seinem kleinen Bruder und das Geständnis darüber.. ah, er hatte nicht mal wirklich Zeit gehabt darüber nachzudenken. So viele Gefühle, die beschreiben könnten, wie verdammt scheiße er sich gerade fühlte und sie würden wahrscheinlich alle nicht genug sein. Aber.. das war ja auch egal, nicht? Luke sah.. furchtbar aus. Wann genau hatte der Blauhaarige angefangen zu zittern? War es Kyle nicht aufgefallen oder hatte es es einfach in dem ganzen Gefecht vergessen? Wie konnte ihm das.. nicht auffallen? Wenn es das nicht war? Unglaublich, dass er sich überhaupt noch beschissener fühlen konnte, als ohnehin schon, aber offensichtlich gab es bei dieser Thematik keine Grenze nach unten. Aber es war egal, wie er sich fühlte, wie zittrig er selbst war, auch wenn dieses Zittern wieder etwas nachgelassen hatte, seitdem seine Hand sich auf den Arm des anderen Punks gelegt hatte. Wen interessierte es schon, ob es einem scheiße ging, wenn sein bester Freund gerade so.. so.. viel.. durchmachte? Wenn es ihm doch genauso schlecht, vielleicht sogar viel schlechter ging? Der Russe hatte keine Ahnung, was gerade passierte. Luke übergab sich, krallte sich an das Metall vor sich und der Ältere sorgte sich. Machte sich so unendlich viele, unendlich große Sorgen. War das seine Schuld? Das musste es doch sein, nicht? Wegen.. dem.. was er über Melchior gesagt hatte? I mean.. das war.. schon.. sehr fucked up gewesen, oder? Einfach so, an diesen random Nachmittag gesagt zu bekommen, was für.. Dinge der Schwarzhaarige getan hatte. Ja. Da machte es Sinn, dass es ein Schock war. Aber.. das machte keinen Sinn, nicht? Das.. passte nicht zu der Reaktion die Luke danach gehabt hatte. Diese Stimme, die ihn so schroff wachgerüttelt hatte, diese Eindringlichkeit, die Betonung darüber, dass er sich hatte umbringen wollen. Die Tränen. Die.. Umarmung, wenn auch kurz, aber mit solch einer Intensivität, als würden Lukes Gefühle ihn nicht erreichen können, wenn die Wucht nicht stark genug war. Er.. verstand nicht ganz. Auch dann nicht, als Luke ihn wieder ansah und zu sprechen begann.
Wieso.. entschuldigte sich sein bester Freund? Er.. hatte doch überhaupt nichts falsch gemacht? Was zur Hölle sollte dieser bitte richtig stellen müssen?! Der Junge fühlte sich etwas überrumpelt, seine Augen huschten über das Gesicht des Jüngeren, unschlüssig, was er daraus machen sollte. Ein Teil von ihm wusste, dass es um ihren Streit ging. Um seinen Selbstmordversuch. Dass.. sich.. Luke deshalb.. schlecht fühlte? Schuldig? "No... no, no, no..", wiederholte er die Worte, welche Luke vorhin selbst an ihn gerichtet hatte und seine nassen Augen kniffen sich schmerzlich ein Stück weit zusammen. What the fuck? Das wollte er nicht. Er wollte nicht, dass er sich die Schuld gab. Wollte nicht, dass er dachte, dass er ihn im Stich gelassen hatte. Dass er sich dafür hasste, denn Kyle kannte seinen Gegenüber gut genug um selbst in seinem jetzigen Zustand zu wissen, dass er genau dies machen würde. Aber wieso sollte er? Er hatte nichts falsch gemacht und das Halbblut war es doch gar nicht wert und.. ah. Aber es hatte schon verdammt weh getan, nicht? Seine Seele zerrissen? So... sehr weh getan. Ihn umgebracht, noch ehe er es selbst hatte tun können. Weil er Luke so sehr geliebt und ihm doch vertraut hatte - mehr als sich selbst. Und auch Luke liebte ihn und.. fuck. Er wollte am liebsten laut aufschreien, als sein bester Freund sich umdrehte. He.. couldn't lose him? Not.. him? What.. Sein Herz schmerzte. Auf so unverständliche Weise. Wie konnte er Luke so wichtig sein..? War er für ihn wirklich so.. besonders? Wie hatte er ihm das also antun können - Kyle? Wie hatte er nicht darüber nachdenken können, wie der Blauhaarige sich fühlen würde? Sein Leben und der Tod hatten für ihn nie eine Bedeutung gehabt, aber für ihn? Was hatte er sich nur dabei gedacht? Was wenn er wirklich.. gestorben wäre? Was wäre dann aus seinem besten Freund geworden? Wäre er jemals darüber hinweg gekommen? Es machte keinen Sinn, dass dies überhaupt ein Problem war, aber Lukes Gefühle und Reaktionen waren real und.. er konnte sie ja schlecht ignorieren? Leugnen? Mehr und mehr Tränen rollten seine Wagen runter und als er versuchte den Mund zu öffnen entkam ihm ein lautes Schluchzen, für mehr fehlte die nötige Luft. Sein Herz schmerzte. Sein Kopf schmerzte. I can't do this again. I can't lose you. Not you. Stechend. Pochend. Panik. Noch bevor er es wusste, war er zwei Schritte nach Hinten getaumelt, seine linke Hand griff instinktiv nach der Reling, suchten nach irgendeinen Halt, um nicht plötzlich über die eigenen Füße zu stolpern. Not you. Not you. Not you. I can't. I can't. Ein lautes, sich ziehendes Piepen ertönte in seinen Ohren, dröhnte in seinem Kopf und drohte einen Moment lang ihn zu überwältigen. Gefühlsfetzen und nicht einzuordnende Bilder schlugen plötzlich auf ihn ein. Scheiße, fuck, no, er musste sich doch auf Luke konzentrie-
Sein Körper drehte sich in dieselbe Richtung, in welcher zuvor der seines besten Freundes geblickt hatte und er schmiss sich schnell gegen das Metall bevor ihm alles hoch kam. Sich sein Mageninhalt entleerte und er, wenn er nicht gerade panisch versuchte die ganze Situation irgendwie zu überstehen, wahrscheinlich gefragt hätte, ob die Nachbarn unter ihm Zuhause waren. Und ob sie gerade tatsächlich zwei Mal hintereinander Jemanden über sich hatten erbrechen sehen. Ob man dafür eine Verwarnung bekommen konnte..? So am fucking zweiten Tag nach dem Umzug? Fuck. Er hatte doch nicht einmal was gegessen, außer ein paar lieblosen, vereinzelten Chips? Wie konnte er sich da überhaupt übergeben? Das war doch bescheuert. Er konnte nicht mal sagen ob es mehr an der Realisation lag, in was für eine ausweglose Situation er Luke beinahe gebracht hätte oder daran, dass sein Verstand ihn gerade wohl umzubringen versuchte. Was ja eigentlich nichts Neues war, aber. Fuck. Luke!
Er hob seinen rechten Arm, welcher näher zu seinem besten Freund lag und hob diesen zittrig und eher schlecht als recht an, um den Zeigefinger hochzuhalten und seinem Mitstreiter irgendwie zu signalisieren, dass.. ja, keine Ahnung. Das er einen fucking Moment brauchte?! Als sich sein Mageninhalt und mehr endlich geleert hatten, keine zwei Sekunden später, versuchte er es doch mit Worten, auch wenn er das Gefühl hatte, jeden Augenblick erneut zu kotzen. "I'm.. okay.", erklärte er, hastig, zittrig und leise. No - das hatte er scheiße ausgedrückt. Ganz offensichtlich ging es ihm ja nicht okay und sein Herz raste und seine Schläfen pochten und er hätte sich am liebsten den Kopf irgendwo gegen geschlagen oder geschrien oder, "..okay, I'm not. Sorry.." Aber das hatte er nicht gemeint. Und hatte Luke nicht genau sowas eben gesagt gehabt?! Er sollte nicht denken, dass.. "But... not... ur fault." Worte. Worte, Worte, Worte. Er brauchte dringend Worte. Wie konnte er seinem besten Freund klar machen, dass es ihm nicht seinetwegen gerade so mies ging? Aber das er.. ganz dringend die Klappe halten musste, da er sich nicht sicher war, was gerade los war und ob er noch mehr falsche Dinge, von denen er nicht mal wusste, dass sie falsch oder gefährlich waren, verkraften konnte?!
"..I need u to..", er fühlte die stechende Flüssigkeit wieder hochkommen, ".. topic change..!", entkam es ihm also abgehackt, bevor er erneut würgen musste. Sein Arm hatte sich wieder kraftlos gesunken, während der linke sich noch immer an die Reling krallte. Fuck. Sein Atmen fühlte sich genauso schwer wie seine Gliedmaßen an. Es gelang ihm einfach nicht diesen gleichmäßig zu halten, sich darauf zu konzentrieren, sich irgendwie zu beruhigen, sich.. Shit, shit, shit!!