Darren & Yumi | in einem der Hörsäle
Es war nicht wirklich seine Absicht gewesen, dass er Yumi genau in die Probe dieses Stückes mitgebracht hatte. Als er seine Einladung vorhin ausgesprochen hatte, ohne irgendwelche Hintergedanken, einzig alleine mit dem Wunsch diesen kostbaren Moment, in dem sie ihn nicht ignorierte oder sofort wieder von sich stieß, auszunutzen, wusste er gar nicht mehr so genau, was in der heutigen Vorlesung auf ihn wartete. Erst als er langsam die Treppen hinab stieg, sich der Bühne näherte und hinter dem dunkelroten Vorhang verschwand, wurde es ihm bewusst. Ein Drama. Eine tragische Liebesgeschichte. Denn das war es doch, was so viele Menschen sehen wollten. Sie wollten es miterleben, jedoch nicht dabei sein. Woher dieser Drang zur Dramatik kam? Darren konnte es sich nur teilweise erklären und doch liebte er es tatsächlich auch, diese Art von Theaterstücken zu spielen. Es war eine Mischung aus Spiel und Gesang, eigentlich fast schon ein Musical. Jedoch ohne diese beeindruckenden Tanzeinlagen, die man aus so manchen Filmen und Serien kannte. Das Licht im Saal war schummrig, die letzte Szene spielte sich auf der Bühne ab, die Aufmerksamkeit der anderen Studenten sowie die Scheinwerfer waren einzig und allein auf Darren und seine Kommilitonin gerichtet, die die weibliche Hauptrolle ergattert hatte. Der Musiker hatte alles um sich herum ausgeblendet, lebte in diesem Augenblick einzig und allein in seinem Schauspiel. Letzte singende Worte verließen seine Lippen ehe er diese auf die weiche Haut seiner Bekannten drückte. Nur flüchtig, oberflächlich, doch ernst genug damit es beim Publikum eben so ankam. Schließlich sollten sie dieser Liebe Glauben schenken. Der geschriebenen, gespielten Liebe, die er für diese junge Frau empfand und die in dem Moment verpuffen sollte, in dem sich der Vorhang schloss. Einzelne Tränen kullerten über seine Wange. Es war nicht immer so leicht auf Knopfdruck zu weinen, ganz sicher nicht. Man lernte darüber so viel. Erinnert euch an schlechte Momente in eurem Leben. An Dinge, die euch ruiniert haben. An Augenblicke, die ihr aus eurer Vergangenheit streichen wollte. Das alles waren Worte, die sein Professor ihnen immer wieder sagte. Doch es fiel trotzdem schwer, es war schließlich nicht nur ein emotionaler Vorgang und dennoch fiel es ihm mittlerweile leichter. Er dachte an Vergangenes. Das, was man ihm angetan hatte, das was daraus folgte. Dachte an seine Hand und war zeitgleich froh darüber dass man ihm seine Hauptrolle dennoch nicht weggenommen hatte. Die Rolle wurde umgeschrieben, sein Professor hatte sich auf eine sonderbare Art sogar darüber gefreut, denn das brachte noch mehr Dramatik in das Stück und davon konnte man schließlich nie genug haben oder? Dazu hatte er nur müde gelächelt und seine Erfahrungen eingebracht. Jedoch nur oberflächlich, denn niemand sollte wirklich sehen wie es in ihm vorging. Wie verzweifelt und hoffnungslos er an manchen Tagen war. Seine Lippen lösten sich von der seiner Schauspielkollegen und Darren hielt seine dunklen Augen geschlossen bis das Licht erlosch und ein Klatschen durch die Reihen ging. Der ehemalige Musiker atmete tief ein, wieder aus und bedankte sich bei seinen Kommilitonen. Es folgte auch auf der Bühne ein Klatschen, das einander galt, denn ein Schauspieler alleine reichte für solch ein Stück nicht aus, es war das große Zusammenspiel aller. Da das Kostüm, in das er von den anderen, handwerklich etwas talentierteren Studenten seines Studienganges gesteckt worden war, noch lange nicht so perfekt saß, wie es eigentlich sollte, war die Sache mit dem Loswerden auch gar nicht so einfach. Und das dann auch noch mit seinem Handicap. Als die fast schon enttäuschten Worte seiner Begleitung an sein Ohr drangen, war er gerade das Oberteil seines Kostüms los geworden, stand also oben ohne mit dem Rücken zu ihr hinter der Bühne, hinter dem bekannten roten Vorhang und hängte den Stoff an den Bügel, an dem der Name seines Charakters angebracht war. „Frag mich mal.“ Mit einer ausladenden Bewegung drehte sich der Musiker herum und verschränkte seine Arme vor der Brust während er laut und übertrieben seufzte, dabei noch den Kopf schüttelte damit die arrogante Art eines Schauspielers, wie man es immer so schön vermutete, auch genauso bei der anderen an kam. Der Blick ihrer blauen Augen traf ihn und ein Lächeln malte sich auf seine Lippen. Alleine weil er froh war, glücklich darüber, dass sie nicht schon das Weite gesucht hatte. Weil er entweder ein schrecklicher Schauspieler war oder sie gar so etwas wie Abneigung dem Stück über entwickelt hatte. Schließlich war es ein Drama. Liebe, Trauer, Tragik und die Sorge um einander waren die Hauptmerkmale dieses Genre. Der Student löste seine Vorführung eines von sich selbst überzeugten Darstellers, wollte mit einem Schmunzeln auf den Lippen zu einer Antwort ansetzen als seine Kollegin zu ihm heran trat. „Wir sehen uns morgen? Du warst fantastisch.“, sagte die junge Frau und warf neugierig und mit einem gewissen Funkeln in ihren Augen einen Blick auf Yumi, ließ die Gelegenheit nicht aus sie von Kopf bis Fuß zu mustern und legte anschließend ihre Arme um den nackten Oberkörper des Mannes. „Deine Tränen wirkten so echt heute..“ Seine Kommilitonin wischte mit ihren Fingern über seine Wange, da dort anscheinend immer noch die Spur seiner Tränen zu erkennen war. „Man merkt den Schmerz in dir. Es muss so schwer für dich sein aber hey, ich bin da für dich, ja?“ Kurz legte seine Kommilitonin ihre Finger auf seine verletzte Hand, sah ihm dabei ins Gesicht und anschließend mit einem mehr als eindeutigen Blick hinüber zu Yumi. In diesem Moment machte er einen kleinen Schritt zur Seite von dem sich die andere jedoch nicht beirren ließ, sie schenkte ihm ein süßes Lächeln und verabschiedete sich folgend. Die Begegnung kommentierte er nicht, griff lieber nach seinem Shirt und zog es sich über den Kopf. Weiter halbnackt herum stehen musste er dann doch nicht. Nach und nach erloschen die großen Scheinwerfer, die die Bühne nicht nur im hellsten Licht erstrahlen ließen sondern auch die Temperaturen noch oben trieben. Mochte man vielleicht gar nicht glauben. Mit seiner rechten Hand fuhr er sich einmal durch die dunklen Locken, brauchte sie ein bisschen in Ordnung. „Den großen goldenen Stern muss man sich erst verdienen.“, fügte der Kerl dem Thema von vor der kurzen Unterbrechung hinzu und hob seine Schultern. Es kehrte Ruhe ein, es brannten vereinzelt noch Lichter und doch war es relativ dunkel im Saal. „Wie fandest du es?“ Die beiden Studenten waren die letzten im Hörsaal. Seine Stimme klang vielleicht ungewohnt unsicher.