~Jeanette erwacht~
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Schlaftrunken hoben sich die Augenlider der blonden Frau, die hinter der Theke der Bar, an einen Container mit Eis gelehnt, in sich zusammen gesunken saß. Ihre Haare, die vermutlich einmal zu einem ordentlichen Dutt gebunden waren, hingen ihr in Strähnen über das Gesicht und um ihre Augen hatten sich schwarze Ringe aus Eyeliner und Mascara gebildet. Ein leicht gelblicher Fleck zierte Jeanette's zerknitterte Bluse und der Geruch nach Alkohol und Rauch war so allgegenwärtig, dass sogar die Frau selbst dadurch ein wenig aus ihrer Traumwelt gerissen wurde. Nach ein paar Sekunden verschwommener Sicht konnte Jeanette mit Müh und Not ihre Umgebung identifizieren. Diese Reihe an Flaschen mit Spirituosen, die Regale mit Gläsern und die Schublade, in der sie heimlich ihre Zigaretten aufbewahrte, all das war Jeanette nur allzu vertraut. Ein gehauchter Seufzer kam über ihre Lippen, als ihr bewusst wurde, dass alles beim Alten war. Dass sie nicht plötzlich aus einem bösen Traum aufgewacht war, der ihre gesamten letzten Monate umfasste, und dass ihr
in wenigen Minuten nichts anderes übrig blieb, als sich wieder komplett ihrer momentanen Lebenslage zu widmen. Vorsichtig stützte sich Jeanette an dem Container hinter ihr ab und drückte sich nach oben. Eine Müdigkeit und ein leichter Schmerz waren in allen ihren Gliedern gegenwärtig und ihr Kopf fühlte sich an, als würde er in einem Schraubstock zusammengepresst werden. Kurz wurde der Blondine schwarz vor Augen, doch sie konnte sich rechtzeitig mit beiden Händen auf der Bar abstützen. Ihr Atem war schwer und etwas rasselnd, was vermutlich in Bezug zu einem Kratzen in ihrem Hals stand. Nach kurzer Zeit hatte sich Jeanette wieder etwas gefasst. Der akute Schmerz in ihrem Kopf war abgeklungen und ihr Augenlicht zurückgekehrt. Sie richtete sich auf. Die physischen Probleme waren einer generellen Lustlosigkeit gewichen. Zwar konnte sie sich mit ihrer Arbeit anfreunden, ja, fand sogar meist Spaß daran, doch in letzter Zeit hatten sie die Überstunden an ihre Grenzen getrieben. Zu viele Male war ihr Körper nicht mehr in der Lage gewesen,
den Anforderungen stand zu halten und zu viele Male war die Frau morgens mit verschmiertem Makeup hinter der Bar erwacht. Die Bezahlung war gut, so viel musste sie sich eingestehen, doch war etwas mehr Geld die Anzüglichkeiten, die sie in den frühen Morgenstunden von irgendwelchen Lüstlingen ertragen musste, überhaut wert? Jeanette hatte immer ein ungutes Gefühl im Bauch, wenn sie an diese Situationen dachte. Hin und wieder war die solide Theke das einzige, was sie von einem aggressiven Kunden trennte - und auch diese diente eher als psychologische Barrikade, als dass es wirklich irgendeinen Unterschied für ihre Sicherheit machte. Zwar war Jeanette durchaus gewöhnt daran und erprobt
darin, mit Aufdringlichkeit ihr gegenüber umzugehen, doch wenn auch die direkteste Abweisung keine Wirkung zeigte, wurde selbst sie nervös und ein wenig unsicher.
Diesmal schien die Blondine nur den Schichtwechsel und nicht die gesamte Nacht verschlafen zu haben. An die Musik war Jeanette ohnehin schon so gewöhnt, dass sie ihr keine Hinderung am Einschlafen mehr bot. Das Licht war zu eher unbelebten Zeiten wie diesen auch nicht allzu bunt und aufdringlich und mit etwas Gewohnheit konnte man die Atmosphäre einfach ausblenden. Als sich Jeanette umsah, bot sich ihr ein gewohntes Bild - einige junge Leute, die sich in der Ecke betranken, ein paar Leute auf der Tanzfläche, die Männer mit stark geminderter Inhibition gegenüber einiger leicht bekleideter Frauen. Zu oft hatte Jeanette schon gesehen, wie ein Betrunkener eine Alkoholvergiftung erlitt, oder ein Mädchen von einem Freier nicht gehen gelassen wurde. Anfangs war sie schockiert. Konnte nicht fassen, dass niemand etwas dagegen unternahm, doch mittlerweile hatte sie diese gleichgültige Haltung ebenfalls für sich entdeckt. In Engeffekt ging es um ihren Lebensunterhalt, mehr nicht.
Jeanette suchte mit den Augen noch einmal die Bar ab um sich zu vergewissern, dass jemand die Bedienung übernommen hatte. Sobald sie den Hilfskellner in einer Ecke erblickte, ging sie mit einem Seufzer in den Hinterraum. Vermutlich war es ihm nicht einmal aufgefallen, dass sie eingeschlafen war, geschweigedenn in den Sinn gekommen, sie bei Schichtwechsel aufzuwecken. Im Badezimmer wusch sich Jeanette notdürftig das Makeup von ihrem Gesicht. Nach einer solchen Nacht war es ihr fast Leid, in den Spiegel zu schauen, da es ihr schien, als wäre jede Falte hervorgehoben und ihre Augen würden müde, alt und leblos wirken. Unter ihren Augen befanden sich auch nach der Wäsche noch dunkle Ringe, die sich jedoch eher auf die Art ihres Berufes, als auf Makeup zurückführen ließen. Die Möglichkeit, ihre Frisur noch zu retten gab die Blondine schnell auf. Sie warf einfach ihren Kopf nach vorne, versuchte die Haare möglichst glatt zusammen zu bekommen und band sich einen Pferdeschwanz - nicht unbedingt attraktiv, aber zumindest praktikabel. An diesem Punkt hatte Jeanette einfach nur das Bedürfnis zu duschen und endlich wieder weg von der abgestandenen Luft und dem Alkohol zu kommen. Sie griff nach ihrer Tasche und ging durch den Hinterausgang hinaus in die Nacht. Ein wenig fröstelte es sie, als die Tür hinter ihr zu fiel und sie vor der weiten Straße stand, die nur von einer Laterne beleuchtet wurde. Dennoch versuchte sie ihr mulmiges Gefühl zu überdecken und machte sich auf den Weg nach Hause ~