Das Krankenhaus "St. Ulrich"


  • Die Zeit verstrich, stetig bewegte der Zeiger sich fort, Majo sah es, doch konnte sie ihm nicht glauben. Was sagte ein solches Ding, wie eine Uhr es nun einmal war, schon über die Zeit aus, wenn sie doch still stand? Majo spürte es, spürte die Zellen, die aufhörte, sich stetig zu erneuern, spürte die Außenwelt, die sich von ihnen entfernt hatte, von ihr und ihrer Cousine, und noch weiterlief, während sie dort saßen, kleine Mädchen, die von so vielen Dingen eine Ahnung hatten, doch gleichzeitig nichts wussten. Diese beiden standen still, keiner regte sich, kurzzeitig befürchtete Majo, Noita würde aufhören zu atmen. Wenn Cedric starb, wer versicherte ihr, dass nicht auch ihre Cousine aufgeben würde? Dass sie nicht einfach einschlief, wenn Majo nicht auf sie aufpasste?
    Dieses Mädchen, das ihre Hand umklammerte, könnte ihr entgleiten. Jeden Augenblick könnte es verschwinden und Majo wäre alleine in einem Raum, der viel zu groß für die beiden Geschöpfe schien, die in sich zusammen gesunken dort saßen und warteten. Warteten und warteten, warteten, obwohl die Zeit stehen geblieben war. Höhnisch lachte die Uhr auf sie herab, das glucksende Kichern schallte durch den Raum und ließ ihr Trommelfell zerbersten. Imaginärer Schmerz breitete sich aus, und bis Majo verstand, dass es nicht ihre Ohren waren, die ihr wehtaten, sondern dass es ihre innerlichen Schreie waren, die aus tiefster Finsternis langsam an die Oberfläche drangen, vergingen Minuten. Vielleicht auch Stunden. Vielleicht nicht einmal Sekunden. Schließlich schritt die Zeit nicht fort und die Zeiger der Uhr verhöhnten sie bloß.
    Diesmal war Noita ihr Anker, obwohl es sich falsch anfühlte. War es nicht für sie viel schlimmer? Sollte sie nicht so erschöpft sein, wie Majo sich fühlte? Ausgebrannt? Sie hatte Grenzen überschritten und Majo, die die Verzweiflung spürte, wenn sie darüber nachdachte, dass auch ihrer Cousine etwas hätte zustoßen können, dass auch ihre Cousine in sich zusammensacken und leblos neben ihr liegen würde, ließ sich langsam mitziehen. Den Weg bekam sie kaum mit, sie folgte dem schwarzen Haarschopf, der neuen Mut gefasst zu haben schien, zog sich um, als sei sie eine brave Hexe, die soeben die Erkenntnis gewonnen hätte, dass alle Rebellion sinnlos war und sie all ihr Geld Fremden übergeben sollte. Welch Irrsinn sich in ihren Gedanken abspielte!
    Majo wusste, dass sie nicht auf ewig in einem solchen Zustand verweilen würde, er war lediglich temporär, in Sekunden, Minuten, Stunden, spätestens nach etwas Schlaf, wäre sie wieder ganz die Alte. Sie wusste das, und doch schwieg sie bis zu dem Punkt, an dem sie sich als Krankenschwester verkleiden sollte. »Noita«, sagte sie leise, flüsternd, eindringlich, doch ihr Cousinchen schien alles Denken ausgeschaltet zu haben, sodass selbst Majo, die dachte, die Uhr würde sie auslachen für ihren Zeitverlust, plötzlich vernünftiger erschien als die tollpatschige, liebeskranke, kummervolle kleine Hexe selbst.
    Sie gab es auf, würde sie Noita von nichts abhalten können – Majo musste Kräfte sparen, also begann sie erneut zu schweigen und ihre Gedanken zu ordnen. Die Flucht aus dem Wartezimmer half ihr. Diese immer gleichen Wände, die leeren Stühle, die Welt auf dem Flur, die sich von ihnen abgetrennt hatte und sie allein ließen. Zwei Mädchen, Frauen, und doch Teenager, überfordert, zitternd, traumatisiert, die dort sitzen gelassen wurden. Keiner fragte nach ihnen, niemand interessierte sich für ihr Schicksal. Sie beide, so zerbrechlich wie Porzellan, obwohl Majo die Stärke mehrerer Löwen in sich trug. Ja, die blonde Hexe war stark, selbst jetzt wäre sie stark, hätte sie damit gerechnet. Könnte sie damit umgehen. Doch das konnte sie nicht, zu sehr hatte sie sich mitreißen lassen von all dem Leid, dem Kummer und den Tränen. Der Regen musste sich in ihr gesammelt haben, keinen anderen Grund hatte es für ihre Tränen geben können.
    Doch wenn sie ehrlich war, schämte sie sich. Majo verlor nur selten die Fassung, dass sie beinahe unzurechnungsfähig wurde, war ihr noch nie passiert – es war nicht verwerflich, sie war noch jung und dies eine Ausnahmesituation, und doch fürchtete sie sich vor ihrem Spiegelbild, dem strafenden Blick aus den roten, müden Äuglein, die sonst so blitzten und strahlten, wie es nur Majos konnten.
    Sie gingen erneut den Flur entlang, Majo hatte den Kopf erhoben, die Schultern gestrafft. Langsam, ganz langsam, lichtete sich der Nebel und sie begann zu spüren, sich zu erinnern, wie sie ihre Stärke halten konnte. Bekommen konnte. Bekommen hatte.
    Majo blieb in der Tür stehen. Sie bewegte sich keinen Millimeter, die Schwelle hatte sie übertreten, und doch trat sie nicht näher ans Bett heran. Als gäbe es eine Barriere, die sie davon abhielt, als könnte sie die beiden nicht stören, die sich dort sahen. Alles könnte so schön sein, selbst Majo musste zugeben, dass sich etwas in ihr regen würde, würde er nun die Augen aufschlagen, ihr geliebtes Cousinchen ansehen, lächeln. Würde er ihren Namen sagen, nach ihrer Hand greifen, so könnte das blonde Hexchen sich vorstellen, dass er sie niemals wieder loslassen würde. Viel zu wenig wusste sie von diesen beiden, von ihrem Leben, war er doch ein Fremder, den sie nur aus zahlreichen Erinnerungen Noitas kannte.
    Er lag da, sie konnte ihn sehen, beobachten. Majo wusste, sie sollte sich umdrehen, ihnen die Privatsphäre gönnen, und doch war es ihr Recht, auf das sie pochen würde – hatte sie Noita nicht bis hierher begleitet? Hatte sie nicht ebenfalls Tränen für einen Fremden vergossen, der leblos am Strand gelegen hatte? War sie nicht zu ihm geeilt, war sie nicht am Boden gewesen, weil er verletzt, dem Tode nahe war? Warum also sollte sie sich wegdrehen, aufpassen? Sie konnte nicht. Also schloss sie die Tür, leise, blieb dennoch stehen, wo sie war. Nicht näher, sie kam nicht näher – sie konnte nicht.
    Einen Moment lang schien Frieden einzukehren. Er erhob die Stimme, sprach, doch war es leider der falsche Name. Der Name einer Frau, Majo hatte ihn gehört, doch konnte sie ihn niemandem zuordnen. Gab es nicht eine in ihrem Haus, die so hieß? Wie lange war es her, dass sie jemandem dort begegnet war, ganz von Noita abgesehen? Und doch sagte dieser Junge, dem Noita ihr Herz geschenkt hatte, einen anderen Namen.
    Majo hörte etwas zerbrechen – Noitas Herz? Tausende kleine Stücke mussten es sein, die sich nun in ihren Brustkorb bohrten, glitzernd wie zehntausende Diamanten, nun von Blut befleckt, denn es war das Herz, das zersprungen war. Zerstört, gebrochen, weil er einen anderen Namen sagte, sehnsuchtsvoll – liebend? Majo kannte sich zu wenig mit Liebe aus, um es deuten zu können, doch sie konnte nur ahnen, wie Noita sich fühlte. Innerlich zerbrechend.
    Sie hörte, wie er sich entschuldigte. Tatsächlich kein Fehler, tatsächlich die Wahrheit. Hatte er nicht gespürt, was diese beiden Mädchen durchgemacht hatten – seinetwegen? War dies unwichtig? Hatte er ihre Präsenz nicht einmal wahrgenommen, als sie beide ihn berührt hatten?
    Majo runzelte die Stirn, senkte den Blick und wandte sich ab. Wollte flüchten und bleiben. Rennen und stillstehen, so wie die Zeit im Wartezimmer, in dem die Uhr noch immer höhnisch lachte.


  • Beinahe hätte sie Schwarzhaarige die Hoffnung aufgegeben, dass der Blonde auch nur den Hauch eines Lebenszeichen von sich geben würde. Beinahe wäre sie zum gefühlten tausendsten Male in Tränen ausgebrochen obwohl ihr Körper auf Grund der großen Mengen des vergossenen Augenwassers wohl kaum mehr in der Lage sein dürfte überhaupt noch welches zu produzieren. Das klitzekleine Fünkchen Hoffnung im Inneren der Schwarzhaarigen hatte aber zur Folge, dass sie den regungslosen Jungen nicht den Rücken zukehrte. Dieses Fünkchen veranlasste die junge Hexe dazu einen Augenblick länger in ihrer Position zu verharren und auf eine etwaige Antwort, eine Reaktion, zu warten. Die roten Augen des Mädchens waren auf die geschlossenen Augenlider Ceds gerichtet. Dies war auch der Grund warum ihr sofort auffiel als Ced sich versuchte seinen Weg aus der Dunkelheit zu bahnen. Seine Augenlider flatterten leicht, kaum merklich. Doch dieses winzigkleine Zeichen zauberte dem Mädchen ein hoffnungsvolles Lächeln ins Gesicht. Noita wischte sich mit ihrer freien Hand eine letzte Träne aus dem Augenwinkel und fühlte sich wie hin und hergerissen. Einerseits war da diese Traurigkeit und dieses schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit und andererseits verspürte Noita diese Erleichterung, dieser gigantische Stein, der ihr vorm Herzen fiel als Ced mit seinen Lippen ein Wort zu formen versuchte.
    Mit einem Schlag verspürte die Schwarzhaarige Erleichterung und Schmerz. Sie war überrollt von so zahlreichen Gefühlen, dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, diese aufzuzählen oder gedanklich zu manifestieren. Es fühlte sich an als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, als würde sie meilenweit in die Tiefe stürzen. Ein Schmerz war in ihrem Brustkorb spürbar. Ein Schmerz, welcher ihr eigentlich gar nicht erlaubt war zu fühlen. Die Kehle der jungen Hexe fühlte sich trocken an. Ihre Augen hatte sie für eine Millisekunde weiter aufgerissen als sie es im Normalfall tat. Sie war kurz davor ihre Hand zurückzuziehen und doch verharrte sie in ihrer Position. Der Gefühlsberg, welcher drohte sie unter sich zu verschütten, war gigantisch und machte es unmöglich auf dieses Wort, diesen Namen, zu reagieren. Die Augenlider Noitas senkten sich und sie wandte ihren Blick von dem Blonden ab, richtete ihn zu Boden. Sie war einfach unmöglich. Wie konnte sie in dieser Hektik vergessen, dass nicht sie der Mittelpunkt seiner Welt war? Wie konnte sie die Existenz dieses Mädchens so bewusst verdrängen? Sie sollte lediglich Glück verspüren, Freude darüber das es Ced gut ging und er diesen grausamen Angriff überstanden hatte aber dennoch musste sie sich zu einem Lächeln zwingen als er seine Augen aufschlug und sie ins Visier nahm. Es war nicht der richtige Zeitpunkt egoistisch zu sein. Zu viel hatte der Junge zu verarbeiten, warum ihn noch mehr Ärger aufbrummen? Diese Sache ging nur Noita etwas an. Sie musste mit diesem Schmerz klarkommen und niemand anders. Ced hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sein Herz jemand anderem gehörte. Er war von Anfang an ehrlich gewesen, hatte ihr niemals etwas vorgemacht. Dennoch war die Schwarzhaarige dumm genug gewesen mehr in die Gespräche, die Situationen, die Momente, welche sie miteinander erlebt hatten, zu interpretieren. Nicht Cedric war Schuld an dem Schmerz, den sie nun verspürte. Sie hatte sich selbst diese Schmerzen zugefügt und so konnte sie auch nicht erwarten, dass er diese Wunden, welche in ihrem Herzen zwangsläufig entstanden waren, versorgte. Das wäre naiv. Das wäre wirklich dumm. So hob das Mädchen ihren Kopf wieder an und bemühte sich ihren Schmerz zu unterdrücken. Es war schwer, wahrscheinlich das Schwerste, was das junge Ding jemals getan hatte aber sie wollte nicht noch mehr Kummer und Leid verbreiten. Irgendwann musste damit doch Schluss sein und man musste wieder nach vorne blicken können oder? Gewiss. Erst als Cedric seine Hand von der ihren löste, wurde dem Mädchen bewusst, dass ihre beiden Hände noch ineinander verschlungen waren. Es hatte sich so normal, so selbstverständlich, angefühlt, dass Noita es beinahe vergessen hätte. Schließlich spürte Noita seine Hand in ihrem Haar, die Wärme die von ihm ausging tat gut und doch brachte sie noch mehr Schmerz mit sich, den das Mädchen doch bewusst versuchte zu verdrängen. Die Schwarzhaarige konnte aber nicht anders als sich leicht gegen seine Hand zu lehnen und den Augenblick zu genießen, wenn er auch noch so kurz war. Es waren Cedrics Worte, die sie schließlich wieder in die Realität zurückholten. Es fiel ihm schwer zu sprechen, was durch seine krächzende Stimme verdeutlicht wurde. Dennoch waren seine Worte klar verständlich für die Schwarzhaarige. Ihre zuvor noch geschlossenen Augen, öffneten sich und sie sah in das Gesicht des Jungen, welcher nach wie vor ziemlich blass war. Er hatte keinen Grund sich zu entschuldigen, hatte nichts falsch gemacht. Normalerweise war Noita diejenige, die diese Worte in den Mund nehmen sollte. Entschuldige, dass ich mich... entschuldige, dass ich dich vielleicht mehr mag als ich normalerweise dürfte... Noitas Lippen blieben verschlossen. Sie befürchtete dadurch alles schlimmer zu machen und so schwieg sie diesbezüglich einfach und versuchte sich allein an der Tatsache zu erfreuen, dass es dem Blonden besser ging. Mit ihren Problemen würde sie schon selbst fertig werden. Das hatte bisher schließlich immer geklappt.
    "Ich...Wir sind wo froh, dass es dir wieder besser geht." Noitas Augen strahlten bei dieser Aussage und auf ihren Lippen lag ein glückliches Lächeln. Es mochte sein, dass es in diesem Moment grotesk schien aber es war ehrlich. Sie hatte sich solche Sorgen gemacht, ihn für immer verlieren zu können, dass das Gefühlschaos in ihr im Moment unwichtig zu sein schien. Cedric lebte und er würde sich wieder erholen. Nur dies zählte. Ganz egal wem sein Herz gehörte. Sie Hauptsache war, dass er leben würde. Während Noita das kleine Wörtchen 'wir' ausgesprochen hatte, deutete sie auf ihre Cousine, welche nach wie vor an ihrer Seite stand. Sie hatte Abstand gehalten aber ihre alleinige Präsenz war Gold wert für die Schwarzhaarige. Vielleicht war es Majos Anwesenheit, welche der jungen Hexe dabei half über diese Sache drüberzustehen. "Überanstreng dich nicht. Wahrscheinlich brauchst du noch viel Schlaf um dich zu erholen." Das Mädchen hatte viele Fragen aber es wäre sinnlos den Blonden mit Fragen zu bombardieren. Wahrscheinlich würde ohnehin bei nächster Gelegenheit die Polizei hereinschneien um Informationen aus Cedric herauszusaugen. Dies würde kräftezerrend genug werden. Aus diesem Grund schwieg Noita bezüglich der auslösenden Situation, welche überhaupt erst hierzu geführt hatte. Möglicherweise würde Ced es ihr eines Tages, wenn der Trubel darum sich gelegt hatte, selbst erzählen und das war wesentlich mehr wert als dieses Frage-Antwort-Spiel. "Wir bleiben vermutlich nicht lange..." Noita sah über ihre Schulter. Wahrscheinlich würden sie ohnehin schon bald erwischt werden und man würde sie aus dem Krankenhaus werfen. Bis jetzt war noch niemand auf die beiden Möchtegernangestellten aufmerksam geworden aber vermutlich war es lediglich eine Frage der Zeit. Es hatte allerdings gut getan sich selbst von Cedrics Gesundheitszustand zu überzeugen, da niemand gewillt war ihnen Auskunft zu geben.


  • Zitat

    Freitag, der 13. Februar 20XX.
    Herzlichen Glückwunsch, der Herr!
    Ihre Tat mag bei Weitem nicht so beeindruckend sein, wie die am 13. Oktober 1307 vom französischen König Philipp IV. befohlene Verhaftung aller Mitglieder des Templerordens in Paris oder die Beinahe-Katastrophe der Apollo-13-Mission, die Gerüchten zufolge sowieso nur auf falschen Mdienberichten beruht oder aber der Börsencrash von 1929, der zwar nicht an einem 13. sondern einem 25. Oktober stattfand, welches nichtsdestotrotz jedoch eine Weltwirtschaftskrise auslöste und entsprechend als Schwarzer Freitag in die Geschichte einging.
    Nein, sie haben einer hübschen jungen Hexe lediglich das Herz gebrochen und das ausgerechnet vor dem Valentinstag, dessen Ursprung sowieso keiner mehr kennt und heutzutage nur noch als reiner Kommerz gefeiert wird. Dennoch lassen wir Ihnen für diese glorreiche Leistung eine Urkunde zukommen, die heute noch per Einschreiben an Sie rausgeht.
    Mit freundlichen Grüßen
    Der blanke Hohn


    Versager! Lügner! Vollidiot! Hahahaha...
    Es war schwer, nein, wieso war es so verdammt prekär die eigene Funktionalität wiederherzustellen? Es war als würde sein inneres Denken gegen eine Wand laufen, eine Blockade gar, die es ihm nahezu unmöglich machte, einen klaren Gedanken zu fassen.
    Konzentration. Er durfte sich keine weiteren Fehler leisten, keine neue Dummheit, kein Vergehen. Hahaha! Warum eigentlich? Woher dieser übetriebene Drang zum Perfektionismus, wenn doch jedem der hier Anwesenden klar sein dürfte, dass gerade alles alles andere als perfekt war? Nein, mehr noch, die Welt, sie fiel auseinander, rannte aus allen Fugen, zerlief, bis am Ende nichts mehr davon übrig war. Für keinen von ihnen.
    Konzentration! Sieh sie an! Sieh hin! Sieh, was du ihr angetan hast. Cedric verstand nicht, nichts, befolgte artig den Befehl, den man ihm gegeben hatte, denn einen Willen, nein, den hatte er verloren, irgendwo in dem bizarren Gefüge, dass in seiner Sprache gemeinhin als »Seele« bezeichnet wurde. Und er wünschte fast, er wäre dem nicht nachgekommen, der albernen Stimme, seinem Gewissen, falls er selbiges überhaupt noch besaß. Ihr Blick, voller Schock, verletzt, er brannte sich in sein Herz, ließen schreckliches erahnen und tausend Schüsse von diesem Mann wären leichter zu ertragen gewesen, als das Wissen einen derartig destruktiven Anblick zu verantworten zu haben. Schuldig im Sinne der Anklage! Das Urteil? 100 Jahre schwere körperliche Arbeit hinter den Mauern von-
    Noita wandte den Blick ab. Nichts hätte ihn schlimmer treffen können und er wusste noch nichtmal warum. Was, was, was war geschehen? Woher rühten all diese-, halt, konnte man Gefühle spüren, wenn man kein Herz mehr besaß? Atmen. Sein Körper kam der Aufforderung instinktiv nach, beinahe wäre die natürliche Tätigkeit in Vergessenheit geraten, aufgrund ihrer einfachen Bewegung. Wie lachhaft einfach so ein Menschlein doch zu manipulieren war!
    Erleichterung. Woher kam das? Ah, sie sprach ja, wahrlich, wahrhaftig, vielmehr noch, sie lächelte. Es schien so derart ehrlich, dass Cedric kaum wagte, daran zu glauben, denn schon kroch die Hoffnung an wie ein getretener Hund, der immer noch auf ein besseres Leben hoffte, auch wenn er just den Moment zuvor, noch geschlagen wurde. Hahahaha! War das nicht uklig?
    Konzentration. Gesegnet sei die strenge Stimme in seinem Hinterstübchen, das letzte bisschen, das ihn noch davor bewahrte wahnsinnig zu werden. Wir. Noita sprach von einem Wir, doch war es schwierig für den jungen Mann ihren Gedanken zu folgen. Erst als sie sich umdrehte, den Kopf wandte, realisierte Cedric vage, dass sich eine weitere Person in dem Raum befand und er vermutete stark, dass es sich dabei um keine ärztliche Aufsichtsperson handelte. Seine Augen musterten das blonde Mädchen nichtssagend, sein Geist hielt sich bedeckt, beobachtend, lauernd. Eine Fremde. Gefahr? Beistand? Die Abwägung erreichte seine seelische Oberfläche nicht, blieben dennoch in Bereitschaft im Untergrund. Langsam dämmerte es dem jungen Mann, das diese beiden Mädchen offenbar unerlaubt zu ihm vorgedrungen waren, erkannte die Krankenhauskluft, die sie trugen, wenngleich sie nicht hier arbeiteten. Verwirrung, ja, auch Staunen mischte sich darunter. Mühevoll versuchte Cedric die einzelnen Fetzen der Erinnerungen, die im endlosen Strom herumgewirbelt wurden, aufzufangen und zu ordnen. Rick. Zwei Schüsse. Hoher Blutverlust, der ihn schließlich bewusstlos machte. Noita. Ihre Begleitung. Offenbar waren es die Mädchen gewesen, die ihn gefunden hatten. Er schluckte. Gerettet. Zufall? Oder unter Ricks Zutun? Zweiteres, vermutlich, dunkel hatte er dessen Worte in Erinnerung, doch sie waren jetzt nicht wichtig, weshalb er sie weiterfließen ließ. "Geht es dir-," Er brach ab. Angst. Furcht vor dem, was dieser Mann ihr antun konnte, antun würde. Dieser Mann? War nicht er die Wurzel allen Übels? Nein, nein, nein! Ein Schrei, in seinem Kopf, Verdrängung. Die Linie ist noch nicht vollständig, Konzentration! Richtig. Die Korallenbucht, das Krankenhaus. Wie viel Zeit mochte verstrichen sein? Zeit, wertvolle Sekunden, Minuten, Stunden, die für ihn in völliger Schwärze brachlagen, für die beiden Mädchen jedoch gab es diese Erlösung nicht. Waren sie deshalb hier? Was für eine Frage, du dummer, naiver Idiot! Siehst du es nicht? Siehst du sie nichtt? »"Wir bleiben vermutlich nicht lange...« "...Bleib!", bat er mit heiserer Stimme, hielt sie intuitiv fest, in dem albernen Glauben, das könnte irgendetwas an ihrer Entscheidung ändern. Furcht war in seinem blassen Gesicht zu lesen und Cedric versuchte mühevoll ebendiese zu verschließen, wegzusperren, zumindest solange Noita anwesend war. Sie sollte sich keine Sorgen machen, das war er nicht wert. Er wusste es und dennoch, dennoch bat er sie um etwas derart Unmögliches! "Ich-" Seine Stimme versagte. Was sollte er auch sagen? Ertrage es nicht länger, diese Einsamkeit? Welch purer, bösartiger Egoismus! Sag, Cedric, wann lernst du es endlich? Wann endlich begreifst du die Realität um dich herum? Deine illusionäre Hoffnung brökelt längst, es dauert nicht mehr lang, bis die Mauern zerfallen und sag mir, was genau wirst du dann tun? Und wie viel willst du noch von diesem jungen Mädchen verlangen?


  • Majo stand an der Tür und wollte sich das Elend nicht mit ansehen, das sich dort manifestierte und ausbreitete, etwas zerstörte, das zuvor so rein gewesen war, dass Majo nicht einmal wusste, dass es tatsächlich existieren konnte. Cedric – sie hatte ihn für jemanden gehalten, der Noita beschützen würde. Der sie in den Arm nehmen und in einen Kugelhagel springen würde, um ihren Körper abzuschirmen. Nein, in der Tat kein gelungenes Beispiel, doch ihr wollte partout kein anderes einfallen. Was also lag näher als ein Kugelhagel, wenn er bereits eine Kugel im Bein gehabt hatte. War diese überhaupt glatt durchgegangen? Es war erschreckend, wie wenig sie über den Zustand des Mannes wusste, den sie gefunden hatte. Den sie gefunden hatten.
    Doch nun stellte sich heraus, dass er Noitas Gift war, ihre Schwachstelle, ihre Krankheit. Eine Krankheit namens Cedric, die sie von innen auffraß und an ihr nagte, während er versuchte, einen Satz herauszubringen. Nun wollte es ihm nicht gelingen, kaum ein Wort brachte er heraus – doch an seinem Zustand konnte es nicht liegen, hatte er es doch geschafft, den Namen einer anderen zu nennen. Ihn gegen Noita zu verwenden als wäre er ein Dolch, auf dem der ihre geschrieben stand. Er hatte ihn in ihr Herz gejagt. Und als Majo sich zu ihnen drehte, tat es fast noch mehr weh, sie lächeln zu sehen. »Cedric«, sagte sie leise, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Sie hasste ihn nicht, nicht ihr hatte man das Herz gebrochen. Nein, sie fürchtete sich noch immer wegen Noita. Er hatte ihre Lage verschlimmert – oder nicht? Es war ein ehrliches Lächeln, und doch hatte sie solche Angst, ihre liebste, zarte Cousine zu verlieren, dass sie ebenfalls körperlichen Schmerz verspürte. Sie wusste nicht, ob es seine Schuld war. Aber sie vermutete es. »Wir waren lange hier.« Sie nannte keinen Namen, es war unwichtig, ob er sie erkennen würde oder nicht, ob er wusste, wer sie war oder ob er sie für eine völlig Fremde hielt. Es interessierte sie nicht. In diesem Moment wollte sie nicht einmal gemein wirken, nicht bösartig oder mächtig. Sie wollte ihre Würde bewahren, musste für das schwarzhaarige Hexchen am Krankenbett stark sein. Doch auch darum ging es nicht. Majo musste heilen.
    »Wir können nicht lange bleiben. Und das sollten wir auch nicht.« Sie reckte ihr Kinn ein wenig in die Höhe und ging auf Cedrics geschwächten Körper zu, bis sie neben Noita stand. Kurz strich sie ihm über den Arm, ihre Hände waren warm und sanft, doch letztlich fuhr sie über sein Handgelenk bis zu seinen Fingern, um vorsichtig seinen Griff um die Hand ihrer Cousine zu lösen. »Wir- Noita kommt wieder.« Vielleicht. Sie wusste nicht, ob sie dabei sein würde, wusste nicht einmal, ob Noita wiederkehren würde. Es war unwahrscheinlich, dass sie mitging, und wenn, würde sie es nur für das talentlose Hexchen tun. Cedric hatte nun etwas mit ihr zu tun und Cedric würde wohl auch nun einen Platz in ihren Gedanken einnehmen und sie verfolgen, doch Noita war ihre Cousine. Ihre Familie. Und sie ging vor.
    Majo wollte diesen Mann kennenlernen. Sie wollte seine Geschichten hören, sie wollte mehr von ihm erfahren. Sie wollte wirklich, dass er gesund wurde, und sie wollte ihn kennenlernen. Sich vielleicht anfreunden. Doch ob sie wollte, dass er weiterhin eine solch innige Beziehung zu ihrer Cousine führte, und derart tiefgehende und weitreichende Gefühle bei ihr auslöste – dessen war sie sich nicht sicher. Das würde sie herausfinden müssen. Nur nicht jetzt. Wirklich nicht.
    Zärtlich drückte sie Noitas Hand, die sie von Cedrics gelöst hatte. Majo wusste nicht, ob sie das Richtige tat – wie auch? Sie war selbst kaum älter als Noita, beide waren doch im selben Alter, nicht wahr? Der Zeitraum, der die beiden trennte, war quasi nicht existent. Warum – und wie – sollte Majo also wissen, wie sie sich zu verhalten hatte? Wie froh sie war, dass Noita das alles nicht hatte allein durchstehen müssen, wie erleichtert sie war, dass Cedric lebte! Und doch wünschte sie sich, sie hätte ihn auf eine andere Art und Weise kennenlernen müssen. Und dass die ersten Worte, die sie jemals von ihm gehört hatte, nicht der Name eines fremden Mädchens war, dessen Erwähnung Noitas Herz zu Bruch gehen ließ.
    Sie würde Noita nicht zum Gehen drängen, doch es war Fakt, dass sie nicht mehr allzu lange bleiben konnten. Es war unmöglich und ihre Tarnung würde irgendwann auffliegen. Länger zu verweilen, würde es nicht leichter machen, und den beiden Hexen lediglich Probleme bringen. Also stand Majo neben Noita und wartete. Wartete darauf, dass das Mädchen noch etwas sagen würde, wartete darauf, dass sie sich entscheiden könnte. Wartete.


  • Kaum hatte das schwarzhaarige Mädchen die Worte ausgesprochen, die sie eigentlich gar nicht aussprechen wollte aber unter den gegebenen Umständen definitiv aussprechen musste, stoß sie seitens Cedric auf Protest. Ein einziges Wort von ihm und Noita begann zu zögern. Lag es daran, dass sie es sich gewünscht hatte dies von ihm zu hören oder weil sie hoffte dass die Reaktion des Blonden nicht am Boden seiner Schuldgefühle entstanden war? Die junge Hexe war planlos und war nicht in der Lage die Ursache ihres Zögern zu benennen. Die Realität schlug aber erneut zu und traf Noita mit voller Wucht. Selbstverständlich war es unmöglich, dass Ced Schuldgefühle hatte. Es gab keinen Grund dazu. Er hatte nichts falsch gemacht. Vielleicht wollte er auch einfach nur jemanden bei sich haben, ein bekanntes Gesicht, dass ihn von den jüngsten Ereignissen ablenkte. Wahrscheinlich würden ohnehin jeden Augenblick die Eltern des Verletzten bei der Tür hereinschneien und mit einem besorgten Gesicht auf den im Bett Liegenden hinabblicken. SIE würde durch die selbe Tür das Zimmer betreten wie Majo und sie es vor wenigen Minuten getan hatten. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde sie Tränen in den Augen haben und ihr Herz würde ihr bis zum Hals schlagen. Die Ungewissheit würde sie umbringen. Das Gefühl der Machtlosigkeit würde sie übermannen und sie würde ihm nie wieder von der Seite weichen aus Angst ihn vielleicht beim nächsten Mal für immer zu verlieren. In Situationen dieser Art, in Situationen in denen man dem Tod mit letzter Kraft von der Schippe sprang war die Angst am größten. Man wurde sich bewusst wie man für den Anderen empfand, wurde sich der vielen sinnlosen Streitigkeiten bewusst und würde wahrscheinlich alles tun um nie wieder diese Situation zu durchleben. Warum wusste die junge Hexe so genau wie sie sich fühlen würde? Sie Antwort lag auf der Hand aber dennoch verdrängte die Schwarzhaarige die Wahrheit. Niemand hatte Interesse daran sie zu hören. Es war schon immer so gewesen.
    Cedric brachte kaum ein weiteres Wort hervor und doch hob Noita regelrecht automatisiert ihren Kopf an als ein winziges, kleines Wörtchen über die schmalen Lippen ihres Gegenübers purzelte. Ihre Augen suchten die seinen und für einen kurzen Augenblick hatte sie sich in diesen einzigartigem Blau verloren und hätte ohne die Hilfe ihrer Cousine wahrscheinlich nicht mehr in die Realität zurückgefunden. Auch wenn es in ihrer Brust schmerzte als das Mädchen mit der blonden Lockenpracht die Hände der Beinden trennte, wusste die junge Hexe genau, dass Majo ihr lediglich helfen wollte. Majo spürte den Schmerz ihrer Cousine. Es war ihr unmöglich sie zu täuschen. Dennoch tadelte sie den Jungen, welcher Noita so viel bedeutete, nicht. Ihre Worte waren mit Bedacht gewählt. Sie schien so weise mit ihren jungen Jahren. die Schwarzhaarige wandte sich von Ced ab und sah zu der Blondine hoch. Noita war ihr so dankbar und sie wusste beim besten Willen nicht ob sie jemals die Gelegenheit bekommen würde sich bei ihr erkenntlich zu zeigen. Ein Hauch von einem Lächeln umspielte die Lippen Noitas und nachdem ihre Cousine gesagt hatte was sie zu sagen hatte, nickte die Schwarzhaarige bestimmt. Es war ihr allerdings nicht mehr möglich dem Blonden zu versichern, dass sie sich schon bald wiedersehen würden, da im nächsten Augenblick eine beleibtere Dame das Zimmer stürmte und augenblicklich die beiden Fakeangestellten entlarvte. Lautstark verkündete sie den beiden Hexen, dass jetzt keine Besuchszeit war und es außerdem gegen die Regeln verstieß sich auf diese Weise in diees Zimmer zu stehlen. Ihre Stira war in Falten gelegt und die Lautstärke ihrer Stimme schien mit jedem Wort, welches über ihre Lippen kam, zuzunehmen. Es war regelrecht ironisch, dass sie während ihres lautstarken Vortrages den beiden Mädchen verklickern versuchte, dass Cedric noch Ruhe brauchte um sich von der Verletzung zu erholen. Die junge Hexe biss sich auf die Lippen und zog ihre Schultern ein kleines Stückchen hoch während sie versuchte ein ahnungsloses und unschuldiges Lächeln aufzusetzen. Die Ausrede, dass sie sich ihrer Tat nicht bewusst waren zählte wohl kaum. Noita war aber heilfroh als die Dame sich dazu entschloss diesen Vorfall nicht weiterzumelden und es bei ihrer Strafpredigt belassen würde, wenn sie umgehend das Krankenhaus verließen. Auch wenn es Noita schwerfiel diese Situation auf diese Weise zu beenden, wusste sie doch das dies ein sehr plausibles Angebot war wenn man die Umstände genauer unter die Lupe nahm. Stumm nickte die junge Hexe also als die immer noch wütende Dame sie abwartend ansah. Ein letztes Mal wandte sich das Mädchen dem Verletzten zu, welcher die ganze Sitaution ebenfalls verfolgt hatte. Er würde nicht allein sein, oder? Sie hatte keine andere Wahl. Noita könnte es nicht ertragen die Wiedervereinigung der Liebenden mitanzusehen. Wahrscheinlich wäre es ihr Ende und man müsste augenblicklich das nächste Intensivbett für sie bereitstellen. Es war besser so. Die Hexe verringerte den Abstand zwischen sich und Ced. Ein aufmunterndes Lächeln zierte ihre Lippen und dennoch war sie den Tränen nahe. "Ich freue mich schon auf unser nächsten Treffen." Noita schniefte und lächelte den Blonden zärtlich an. "Ich hoffe es gibt nächstes Mal einen schöneren Anlass." Noita ergriff die Hand des Jungen und drückte sie fest. Ihr Gesicht näherte sich dem seinen. Der Abstand zwischen ihr und Ced wurde immer geringer. Ihre roten Augen fixierten die seinen. Schließlich schlug Noita ihre Augen zu und konzentrierte sich einzig und allein auf die Gegenwart des Anderen. Liebevoll lehtne sie ihre Stirn an die seine. Ihre Nasenspitzen berührten sich. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über die Wange des Mädchens und trotzdem musste sie lächeln. Welch wundervoller Moment. Nahezu perfekt aber leider doch nur nahezu. "Ich bin wahnsinnig froh dich kennengelernt zu haben, Ced. Danke für dich." Ihre Worte waren geflüstert so das nur der Betroffene sie vernehmen konnte schließlich war es auch nur für seine Ohren bestimmt. Noita schlug die Augen wieder auf und vergrößerte den Abstand zwischen sich und dem Blonden wieder als sie sich bewusst wurde, dass sie Ced vielleicht zu nahe getreten war. Ein leichter Rotschimmer zierte ihre Wangen bei dieser Erkenntniss aber das Hexlein konnte nicht anders als sich die Tränenflüssigkeit aus dem Augenwinkel zu wischen und den Blonden anzustrahlen. "Gute Besserung." Zu sehr genoss sie die Nähe des Anderen als das ihre Schüchternheit und Unbeholfenheit mit dem anderen Geschlecht sie von dieser Tat abhalten hätte können. Schließlich kehrte sie dem Jungen, welchen sie einst im Freizeitpark kennenlernen durfte, den Rücken zu und war bereit mit ihrer Cousine das Krankenhaus zu verlassen. Zumindest gezwungenermaßen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, dies wurde ihr erneut bei dem finstern Blick der Dame im Krankenhausgewand bewusst.


  • Ewigkeit. Das hieß unbegrenzte zeitliche Erstreckung, endlos scheinende Zeit, Unvergänglichkeit, im religiösen Sinne das Jenseits. Ewigkeit bedeutete Hölle. Hölle hieß Ort der Verdammnis, Zustand oder Ort schrecklicher Qualen, Reich der Finsternis. Korrektur. Ewigkeit bedeutete nicht Hölle. Ewigkeit bedeutete für ihn Hölle. Was bedeutete das? Sein Inneres lechzte nach der begehrten Antwort, hatte sie längst erblickt und eine kleine Hand nach ihr ausgestreckt, begriff in dem Moment, dass seine Hand zu kurz war und er Selbige nicht erfahren würde. Zumindest nicht jetzt.
    Ein schneidendes Wort durch die ewige Stille. Sein Name, gesprochen von einer Frau die er nicht kannte, forsch, streng, kühn nahezu, sechs Buchstaben die ihn innerlich zusammenzucken ließen, fast als wäre da das dumpfe Gefühl einer Vorahnung, eine Warnung gar, warum? Wozu sollte das nötig sein? Es schien unsinnig, dennoch spürte er das er Vorsicht walten lassen sollte vor dieser Person, geradezu als würde Gefahr von ihr ausgehen. Absurd, nicht wahr? Doch waren in der Kürzer der Zeit nicht schon genug absurde Dinge geschehen, die so nie hätten passieren sollen?
    Sie kam näher. Cedric verlor Noita für den Hauch einer Sekunde lang aus dem Blick, betrachtete aus unscharfen Augen ihre Silhouette, versuchte sich ihr Bild, ihr Gesicht einzuprägen. Er konnte nicht zurück. Auch war er nicht in der Lage sich gegen das Vorhaben dieser Frau zu wehren, wusste insgeheim, dass es das Richtige war was sie da tat, schrie innerlich dennoch auf, fast so als würde sie ihm mutwillig Schmerzen zufügen. Lass uns in Ruhe. Lass sie bei mir. Verschwinde! Waren es die Gedanken eines jungen Mannes oder das Aufbegehren eines kleinen Kindes, welches derartige Worte formulierte? Er wusste es nicht, ließ es lediglich geschehen, dankbar und verletzt zugleich. Allein. Der Hauch eines Lächelns umspielte die blassen Lippen der schwarzhaarigen Hexe, wenngleich er selbst nicht stark genug war es ihr nachzutun. Skurillerweise erinnerte er sich an ihre erste Begegnung zurück, vor all den Jahren, als ihr breites Lächeln ihn entwaffnet hatte, es gar schaffte, seine Melancholie zu vertreiben. Unglaublich. Und jetzt? Sieh sie dir an in dem Wissen, dass du dafür verantwortlich bist.
    Es schmerzte. Kalt kroch die Gewissheit in seine Gedanken, umso schwerer zu ertragen, wenn man einsah, dass es sich um die Wahrheit handelte. Cedric öffnete den Mund, bereit um etwas zu sagen, einen vollständigen Satz vielleicht sogar, doch wurde er unterbrochen.
    Er hatte es vergessen, zumindest für einen Augenblick lang. Das er sich im Krankenhaus befand, mehr noch auf der Intensivstation, dass diese beiden Mädchen unerlaubt hereingeschlichen waren und das nur um ihn zu sehen. Entfallen war ihm die Situation, umso bedrängter fühlte er sich, als die Krankenschwester eine Szene hinlegte. Nein, eigentlich machte sie alles richtig, aber dieser Lärm, dieser gottverdamte Aufruhr war für ihn kaum zu ertragen und bereitete ihm Kopfschmerzen. Sei ruhig! Sei ruhig, sei ruhig, sei ruhig!, flehte er im Inneren, umso mehr, weil sie ihm Noita wegnehmen wollte. War es nicht albern? Wollte sie ihn nicht sowieso gerade verlassen? Cedric schloss geschafft die Augen, fast als er hoffte er dadurch, auch das Dröhnen in seinem Kopf abstellen zu können. So einfach war es nicht, drängten die Geräusche doch so umso mehr in seinen Verstand.
    Ah, Ruhe. Hatte die Klinikangestellte nun endlich kleinbeigegeben und war verschwunden? Ah, nein. Aber immerhin war Noita noch da, wenngleich das Lächeln, welches sie ihm schenkte so traurig war, dass es ihm nahezu das Herz zerriss. Einen schöneren Anlass? Oh er hoffte sie wurden keinen Anlass brauchen, sich überhaupt zu sehen. Die Worte lagen auf seiner Zunge, unfähig ebendiese zu verlassen und zu tatsächlichen Lauten zu werden. „Es tut mir leid.“, sprach er stattdessen zum wiederholten Male und hätte sich am liebsten selbst dafür gescholten, „Das du das mit ansehen musstest. Ich-,“ Er brach ab, spürte erneut ihre Hand, bemerkte wie sie weiterhin näherkam, sich über ihn beugte, seine Augen weiteten sich, verstand er doch nichts, traf sie ihn mit ihrer Reaktion doch unerwartet aufs Neue. Er spürte sein Herz schlagen, schneller, drängender gar und fragte sich, seit wann er selbiges Organ überhaupt wieder besaß. Seine Resonanz spiegelte sich wohl unmittelbar auf seine Vitalzeichen aus (welche ja deutlich am Monitor zu sehen waren), denn die Krankenschwester sog scharf die Luft ein und räusperte sich missbilligend. Cedric ignorierte sie (nichtmal bewusst), hatte nur Augen für das Mädchen an seiner Seite. „Du-,“ Eine Träne wanderte von ihrer Wange auf die seine und Cedric verspürte den Drang seine Retterin, schon damals, in den Arm zu nehmen und zu trösten, doch ließ sein Körper selbiges nicht zu, widersetzte sich seinem Willen, machte sich schwer und unbrauchbar. Ihre Worte, mehr noch, ihre Danksagung brannten sich ihm ins Herz, verletzten und heilten, er war kurz davor erneut in die unendliche Schwärze zu Fallen, doch sie war immer noch hier, bei ihm, haltend, beschützend. »Danke für dich.« Er öffnete den Mund erneut um etwas zu sagen, doch sein Kopf war leergefegt von allem und sie zog sich zurück, noch ehe er es geschafft hatte seine Chance zu erreichen. Ob er noch einmal die Gelegenheit bekommen würde? Ced sah sie an, erblickte ihre roten Augen, gab sich hin, nur noch einen Moment lang, weil er wusste, dass es das letzte sein würde, an das er sich halten konnte und sein Magen – oder war es doch das Herz? – verkrampften sich in ihm, als sie ihm den Rücken zudrehte und zusammen mit ihrer Begleitung aus dem Krankenzimmer verschwand.

  • Die Tür schloss sich. Stille. Ah nein, die Krankenschwester war ja noch da. Cedric hielt seine Augen mit Mühe offen, versuchte ihren Worten zu lauschen, allerdings ergab vieles was sie sagte keinen Sinn mehr, als wirbelten die Buchstaben in der Luft durcheinander, setzten sich auf den Weg zu seinen Ohren neu zusammen um ihn zu ärgern und zu verhöhnen. Cedric blinzelte, kniff die Augen schließlich zusammen. »S. Gratzer.«, erkannte er auf dem Schild der Arzthelferin. Aha. „Hach, junge Liebe ist ja schön und gut, hilft uns in erster Linie jedoch nicht weiter. Aber ich bin froh zu sehen, dass es dir besser geht, die Blutkonserven haben offenbar angeschlagen. Ich muss selbiges allerdings noch testen, heb bitte deinen-,“ Cedric hörte ihr zu. Nein. Also. Er versuchte es, jedoch hörte sich alles irgendwann an, als würde er selbst sich unter Wasser befinden, ehe auch das Bild vor seinen Augen verschwamm und die unendliche Schwärze, vor der Noita ihn vorhin noch kurz hatte bewahren können, ihn erneut umfing, einlullte und gnadenos in den mittlerweile vertrauten abgestumpften Schlaf sang.


    D. A. Fis. Die Finger seiner linken Hand tanzten über die Saiten seiner Violine, leichtfüßig und gewandt. Doch die Noten drangen nicht bis an sein Ohr, dumpf war der Klang den sein geliebtes Instrument von sich gab, wenngleich er keinen Fehler erkennen konnte. Unstet öffnete Cedric die Augen und erkannte, dass er sich unter der Wasseroberfläche befand, was die stumme Kulisse erklärte. Er hob den Bogen von seiner Geige, ließ den Arm schließlich unwillig fallen, richtete seinen Blick aufwärts. Es brachte nichts zu spielen, wenn die wundervollen Laute sowieso im Wasser verklangen – oder nicht? Was machte er überhaupt hier? Seltsam. Dumpf und gebrochen schien etwas Licht bis an den Grund, auf dem er sich befand.
    Ihm gefiel es hier nicht. Nein wahrlich, alles wirkte kalt und herzlos, was war das nur?
    Knack. Ced sah auf. Das Geräusch ertönte erneut. Krack. Ein Riss? Noch ehe Cedric weiter darüber nachdenken konnte, zerbrach die Welt um ihn herum und rann aus den Fugen. Um ihn herum ein Scherbenhaufen, während das türkisblaue Wasser an seinen Füßen zerann und in der Erde versickerte. Freiheit. Ewigkeit.


    Ewigkeit? Es gab Momente die den Wunsch aufkommen ließen der Ewigkeit anzugehören, doch waren es nicht gerade diese Momente diejenigen die am schnellsten im Fluss der Zeit versiegten? Also bedeutete Ewigkeit Hölle. Da sich nur die schlechten Ereignisse in die Länge zogen, weil die Ewigkeit es genoss das Selbst der Personen auszuwringen, bis nichts mehr davon übrig war. So musste es sein, nicht? Oder war es einfach… das Leben?
    Ich lebe. Cedric schlug die Augen auf. Immer noch derselbe Hintergrund. Mmh. Der Junge führte sich die Hand zu seiner Stirn so als wäre über ihm die Sonne, die drohte ihn zu verbrennen und er erkannte die Infusion in seinem Arm, die ihn nach wie vor an das Bett fesselte. Und immer noch derselbe Schauplatz. Er seufzte. Wie oft hatte er das nun schon mitgemacht? Tag für Tag, Stund für Stund dasselbe hässliche Bild, Augenblick um Augenblick die die Schwärze ihm hinterherjagte um sich seine Person erneut einzuverleiben. Sie würde nicht aufgeben, wenngleich der Junge den Versuch allmählich zermürbend fand. Wie lange sollte das hier noch so weitergehen? Bis in alle Ewigkeit? Ich lebe. Die Ewigkeit, das Jenseits, sie würden ihn ein andernmal holen. Seine Werte hatten sich annehmbar verbessert, die Szene an der Korallenbucht erschien ihm manchmal nur noch wie ein böser Traum, wenngleich ihm das Jetzt vom Gegenteil überzeugte. Sie würden ihn heute wohl auf die Normalstation verlegen, ein Glück. Er hätte Noita am liebsten irgendwie bescheid gegeben, damit sie sich nicht mehr unnötig den Kopf zerbrach. Oder tat sie das überhaupt nicht? Vielleicht war es ganz gut, dass sie es bisher versäumt hatten ihre Handynummern auszutauschen, wobei… er sein Smartphone sowieso nicht mehr hatte. Er erinnerte sich daran, es aus seiner Tasche gezogen zu haben, um den Notruf zu wählen, allerdings war ihm die Zeit zuvorgekommen und er war umgekippt. Grotesk. Ein weiteres Seufzen. Sein Körper hatte überlebt also sollte er verdammt nochmal auch endlich wieder damit anfangen.
    In dem Moment kam die Krankenschwester herein, eine andere diesmal. T. Schachtner. Es war unnötig das Schild zu lesen, die Arzthelferin war bereits öfters bei ihm gewesen. „Und, wie geht’s heute?“, erkundigte sie sich beiläufig, während sie… was auch immer machte. Cedric hinterfragte die medizinische Kunst nicht, war für ihn doch nur von Bedeutung, dass alles soweit in Ordnung war. „Ich sehne den Tag herbei die Türen wieder hinter mir zu lassen.“, murmelte er abwesend. Sie lächelte. „Naja, das heute wird ein Anfang!“ War das ein Aufmunterungsversuch? Hurrah. Aber vielleicht sollte er ja wirklich mal damit anfangen, etwas… positiver zu denken. Hurrah? „Ich müsste dann mal telefonieren.“ Der Wunsch wurde ihm gewährt.
    Bis auf Noita und ihrer blonden Begleitung war noch niemand Bekanntes bei ihm gewesen. Nicht, dass er allzuviel erwartet hätte, zumal er selbst nichtmal wusste, wie viele Tage verstrichen waren. Die Krankenschwestern hatten zwar gesagt, dass sie Matze angerufen und nicht erreicht hatten, aber er wollte es dennoch selbst nochmal probieren. Das ganze stellte sich allerdings als schwieriger heraus als gedacht, da er ja keine Nummern mehr hatte, da sein Handy bekanntermaßen… wo auch immer lag. Das hieß Simon fiel weg und auch Nick würde er wohl nicht bescheidgeben können. Und Ran? Der Gedanke an seine Freundin versetzte ihn einem Stich im Herzen, weswegen er die Frage erst gar nicht beantwortete. Telefonbuch. Immerhin das war aktuell und so suchte er die Nummer seines Vaters heraus und wählte.
    Tut. Tut. Tut. Der angerufene Gesprächspartner ist leider nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal oder hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton. Piep.
    Oh man.
    Ced hasste es aufs Band zu sprechen, außerdem wusste er gar nicht was er am besten sagen sollte. Gr. „Matze.. äh..hier ist dein Sohn, Ced. Tu mir bitte einen Gefallen und geh in die WG, ruf Simon oder Nick vorher an, die sollen ein paar Sachen zurechtlegen. Bringst du mir die ins Krankenhaus? Mein Handy hat leider einen Abgang gemacht, daher erreiche ich sonst keinen. Achja, mein Laptop wär auch ganz praktisch, dann hätte ich Zugriff auf die Studiumsunterlagen. Danke. Ciao.“ Cedric hängte den Hörer in die Gabel. Hoffentlich hört der das bald, ich versauer hier noch. Die Arzthelferin kam wieder um die Ecke und verlegte ihn anschließend auf die Normalstation. Hurrah!


  • Majo konnte lediglich schweigend dastehen, die Szene beobachten, die sich ihr bot. Alkohol – sie brauchte Alkohol, brauchte Ablenkung, brauchte Abstand zu Cedric und dem Krankenhaus und Schusswunden. Sie widerstand dem Drang, das Gesicht zu verziehen, als die Übelkeit ihre Kehle hinaufkroch, widerstand dem Drang, sich zu übergeben oder sich einfach auf den Boden zu setzen und nie wieder aufzustehen.
    Was war nur aus Majo geworden? Es war grausam, wie sehr sie sich danach sehnte, wieder sie selbst zu sein – und doch war sie das hier. Dieses Häufchen Elend, das schwieg, weil ihr die Worte fehlten, das sich kaum bewegte, weil sie sich fühlte als sei sie paralysiert. Vielleicht auch eingefroren. Auf jeden Fall bewegungsunfähig. Und ausgeliefert.
    Und dann war es vorbei – Majo hatte gesehen, wie Noita sich verabschiedete, wie eine Pflegerin ins Zimmer kam. Ihre Beine bewegten sich wie von selbst, ein Schritt nach dem anderen. Sie würden sich wieder umziehen müssen. Noch immer trugen sie die Krankenhauskluft, in der Majo sich unwohl fühlte. Sie war falsch, unangenehm. Und sie beherbergte nun Erinnerungen, die die junge Hexe verdrängen wollte, zumindest für die nächste Zeit.
    Kaum waren sie am Eingang angekommen, blieb Majo stehen und blickte in Richtung einer Toilette. »Wir sollten uns umziehen«, murmelte sie und zog das traurige Cousinchen mit sich. So schnell wie möglich schlüpfte sie in ihre eigene Kleidung, ließ die des Pflegepersonals achtlos auf dem Boden liegen. Unwichtig war sie geworden, und um auf Noita zu warten, verharrte sie einige Augenblicke in ihrer Position. Doch kaum war auch das talentlose Hexchen fertig, entschied Majo sich, nicht noch länger zu warten.
    »Ich hab‘ von einer Party gehört«, sagte sie schließlich, »da werden wir jetzt vorbeischauen. Und dann trinken wir was.« Von sich selbst und ihrer Idee überzeugt, verließ das schwarze Schäfchen gemeinsam mit dem weißen das Krankenhaus, um so schnell wie möglich von diesem Ort zu flüchten.


  • Es war bitterlich kalt draußen. Der Wind wehte viel zu sehr, als dass es sich um einen schönen Frühlingstag handeln könnte, viel mehr fühlte sich der Aushilfs-Polizist so, als wäre es noch immer tiefster Winter. Selbst, wenn der Schnee schon lange geschmolzen war. Aber je unwohler sich der großgewachsene Mann draußen fühlte, umso erleichterter war er, als er das Krankenhaus endlich betreten konnte. Eine der Schwestern hatte am Vormittag auf der Polizeiwache angerufen und gebeten, einen der Kollegen vorbei zu schicken. Scheinbar hatte sich ein junger Mann einige Schusswunden eingefangen die nicht von ungefähr kommen konnten. Und da die Polizei von Riverport generell so gut wie immer unterbesetzt war, musste natürlich der Aushilfs-Polizist zum Krankenhaus eilen und den Fall übernehmen. Nur gut, dass der Blonde gerade nicht anderweitig beschäftigt war, schließlich war er es, der immer dort einsprang wo gerade jemand gebraucht wurde. Sei es als Pilot, Busfahrer, Hausmeister oder Polizist. Die junge Dame an der Rezeption nannte ihm sogleich die Zimmernummer des Betroffenen, damit er sich augenblicklich auf den Weg dorthin machen konnte. Trotz der Tatsache dass es wie hier, auch in jedem anderen Krankenhaus, einen Fahrstuhl gab bevorzugte der etwas ältere Herr die Treppe. Schließlich sollte man immer auf seine Figur achten, selbst auf der Arbeit! Nach dem Treppenhaus erwarteten ihn nur noch wenige Schritte, bevor er an die Tür des Betroffenen klopfen konnte. Er wartete einen Augenblick und trat dann ein.
    „Entschuldigen sie. Ich komme von der Riverporter Polizei und müsste einmal ihre Aussage aufnehmen. Passt ihnen das gerade?“ Diese Nachfrage war wichtig, es machte keinen Sinn den jungen Mann zum Fall zu befragen, wenn er kaum ansprechbar war.



  • »Und alles zerfiel zu Staub und Scherben. All die einzelnen Fragmente deutlich sichtbar vor seinen Augen fielen auf die Erde herab und verschwanden, noch ehe er sie erreichen konnte.«
    Cedric blinzelte. Ein Traum? Schon wieder? Wobei es verständlich war, immerhin hatte sein Verstand sonst nichts, mit dem er sich beschäftigen konnte – abgesehen von der Realität, aber die war momentan so derart verabscheungswürdig, dass er diesen Tatbestand gerne auf später verdrängte. Oder auf nie. Wen kümmerte es schon? Träume… Cedric konnte sich nicht erinnern zuvor in solchem Maße geträumt zu haben und es war traurig, wenn er daran zurückdachte welch bizarre Ilussionen ihm hier Tag und Nacht vorgegaukelt wurden. Er wollte sie vergessen, verdrängen, ihnen entschlüpfen, doch erschienen sie ihm tatsächlich immer deutlicher vor seinem inneren Auge, fast so als verlangte er klammheimlich danach, ja, genoss er es womöglich?
    Es gab nichts zu tun. Nichts war schlimmer für den jungen Mann als das eigene Unvermögen etwas zu tun, irgendetwas, mehr noch, in seiner Unzulänglichkeit all seinen Gefühlen und Gedanken ausgeliefert zu sein, denen er doch sonst so gern entfloh. Es wr wahrlich eine Folter einfach nur dazuliegen und… nichts zu tun. Weiterhin dieselbe weiße kahle Decke zu betrachten, Stund für Stund, Tage die dahinkrochen wie Schnecken im Fluss der Zeit. Selbst Besuche, nein, die bekam er nicht. Zu Gunsten seines recht spärlichen Bekanntenkreises musste man jedoch sagen, dass er auch nur Matze kontaktiert hatte, aufgrund der dümmlichen Tatsache, dass sämtliche Nummern in seinem nicht mehr vorhandenen Mobilfunkgerät eingespeichert waren und die Festnetznummer seines Vaters die einzige war, die man im Telefonbuch nachschlagen konnte. Wobei selbst der Engländer sich nicht blicken ließ, was Cedric doch zu denken gab. Was stellte der nur wieder an?! Und – vermisste ihn sonst niemand? War er seinen Mitmenschen denn dermaßen egal? Haha, wundert dich das wirklich? Cedric verscheuchte die Stimme in seinem Hinterkopf unwirsch, versuchte sie doch Tag für Tag mehr die Oberhand zu gewinnen und sein Denken zu lähmen. Als ob er nicht eh schon ans Bett gefesselt wäre. Er musste hier raus, raus, nur – was dann? Sollte er einfach seinen Alltag weiterführen als wäre nichts geschehen? Ja, nein, vielleicht – konnte er das überhaupt? Gerade glich er mehr einer leeren Hülle die wie durch ein Versehen hier in der Klinik lag, doch stellte sich die Frage – währte dieser Zustand nicht schon viel länger an? Machte er sich nicht nur etwas vor? Wo fand er nur Antworten auf seine törichten, witzlosen Fragen?
    Es klopfte. Cedric schrak auf – war er wieder eingeschlafen? Benommen blickte der junge Mann zur Tür, da er aktuell der einzige war der das Zimmer bewohnte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Besucher zu ihm wollte – oder sich in der Tür geirrt hatte. Kurz hegte Ced die Hoffnung, dass Matze endlich aufschlagen würde, doch die Zuversicht wurde ihm schnell geworden, als ein großer breitschultriger blonder… Polizist das Krankenzimmer betrat. Cedric blinzelte. Wie? Im nächsten Moment fiel der Groschen. Schüsse, Einschüsse in seinem verdammten Oberschenkel – ein nicht sonderlich vertrauenserweckender Fakt, natürlich hatten die Ärzte die Polizei gerufen, wieso hatte er selbst nicht daran gedacht? Cedric schluckte. Er war bisher noch nie von den Gesetzeshütern befragt worden, glücklicherweise hatte es dazu (trotz Simon) nie einen Anlass gegeben. Allerdings – und das musste er lernen einzusehen – war er offenbar in einen, ja, Strafbestand verwickelt?! Scheiße. Sein Herz klopfte etwas schneller als geplant, einleuchtenderweise aufgrund einer gewissen Nervosität, die sich in ihm breitgemacht hatte, was im Grunde ziemlich blöd war, immerhin wollte man ihm ja nur helfen. Oder? Ced biss sich auf die Unterlippe, es dauerte eine Weile bis seine Stimme ihre Funktionalität wieder herstellte, hatte er die letzte Zeit dieses kommunikative Organ kaum verwendet. „Nein.“, rutschte es ihm schließlich heraus, denn passen, nein, das tat es ihm eigentlich nicht, aber das würde es wohl nie und genau genommen hatte er ja wirklich nichts besseres zu tun als den lieben langen Tag auf diese wunderschöne weiße Decke zu starren. „Ich meine – ja.“, korrigierte er sich daher schnel und sah leicht argwöhnisch zu dem Beamten, der ihm merkwürdig vertraut vorkam. „M-Moment mal – sind Sie nicht der Pilot, der-,“ Aber das war nicht möglich. Oder doch? Vielleicht hatte der gute Herr ja auch einen Zwillingsbruder? Himmel Ced, reiß dich etwas zusammen und behalt die Fassung., ermahnte er sich selbst. Der Junge räusperte sich. „Entschuldigung. Bitte sehr, was.. wollen Sie wissen?“

    »My life to yours. My Breath become yours.«

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Seaice ()


  • Abwartend verharrte der Blonde in der Tür und wartete auf eine Antwort des sichtlich nervösen jungen Mannes. Es war verständlich, dass es einem in solch einer Situation nicht besonders prächtig erging und so ein neugieriger Polizist kam da nicht selten ungelegen. Dennoch, obwohl Cedric die Frage zuerst verneinte, schien er sich letztlich doch darauf besonnen zu haben, dass der Besuch eines Gesetzeshüters für ihn nur gutes verheißen konnte und ließ Howard eintreten. Vorsichtig ließ er hinter sich die Tür ins Schloss fallen, ehe er sich dem Bett des Opfers näherte und sich auf einem der Stühle, welche extra für Gäste vorgesehen waren, niederließ. Einen Augenblick lang kramte der ältere Herr in seiner Tasche herum und zog einen Ordner und einen Stift hervor, während der von der Tat betroffene zu einer Frage ansetzte, jene glücklicherweise aber nicht zu ende ausführte. So ein wenig peinlich war Howard das Flugzeug-Unglück schon, auch wenn er keinerlei Schuld am Versagen der Triebwerke und den nicht vollständig vorhandenen Rettungsschirmen hatte. Aber darum ging es hier auch gar nicht, er war nicht als Pilot sondern als Polizist hier und hatte gefälligst seine Arbeit zu verrichten. „Howard Sunrose.“, stellte er sich zuallererst vor. „Ich gehe davon aus, dass sie wissen aus welchem Grund ich hier bin. Die Unterlagen über die Art der Verletzung haben wir bereits zugesandt bekommen, dennoch muss ich sie zum Tathergang befragen.“ Der Blonde las dem ans Krankenbett gefesselten jungen Mann noch kurz seine Rechte vor, ehe er mit den ersten Fragen begann. „Versuchen sie bitte, die Zeit vor dem Vorfall so genau es ihnen möglich ist zu reproduzieren. Wo haben sie sich aufgehalten? Was genau ist passiert? Kennen sie den Täter? Waren noch andere Personen in ihrer Nähe, welche den Tathergang beobachtet haben könnten? Gab es noch mehrere Beteiligte?“ [color=#ff0000]Der Redeschwall des Aushilfspolizisten würde Cedric sicherlich für den ersten Augenblick überfordern, dennoch waren alle Informationen unbedingt notwendig um den Täter ausfindig zu machen und die Akte mit Daten zu füllen.


  • Das ist alles nur ein schlechter Film… Ahaha – wem wollte er eigentlich was vormachen? Nur war die ganze komplette Situation derart skuril, das es wirklich einfacher war eine Lüge zu glauben als die tatsächliche Wahrheit. Cedric hörte dem Aushilfspolizisten nach bestem Gewissen gut zu, wobei es schwer war den Worten des blonden Hünen zu folgen, bei seinen Rechten und Pflichten stieg der Junge schließlich komplett aus, da sich ein unangehmes Brummen statt den eigentlichen Aussagen in seinem Kopf breit machte. Oder bildete er sich auch das nur ein? Er hatte zwei Schüsse ins Bein abbekommen, keinen Kopfschuss (logischerweise, das wäre nämlich weniger glimpflich ausgegangen). Seine Hände waren kalt, weswegen er kurzerhand die Rechte hob und sich an die warme Stirn legte, um dieser etwas Abkühlung zu verschaffen.
    Die Fragen saßen. Hatte er sich nicht selbst tausendmal dasselbe gefragt? Warum ist das passiert, wie konnte es soweit kommen – wen er die Antworten daruf hätte, er würde sie nur zu gern in die Welt herausposaunen! Einfach nur um die begehrten Worte selbst zu hören, zu vernehmen, zu verstehen. Doch niemand würde ihm darauf eine Antwort geben können, ja, er bezweifelte sogar, dass sein Peiniger eine passende Erklärung zur Hand hätte. Denn nichts was dieser Mann tat, getan hatte, machte für Cedric einen Sinn. Er fühlte sich zurückversetzt an den Strand, es war dunkel, es war kalt, er war alleine. Nein, nicht alleine, immerhin war er da, arrogant, hochmütig, selbstgefällig. Tatsächlich jedoch lag Cedric im Krankenhausbett, den Blick in die Ferne gerichtet, nichtmal registrierend, dass er beriets zur Antwort angesetzt hatte. „Ich.. ging an der Korallenbucht spazieren..“, begann er langsam, abwesend, „Es war bereits finster, lediglich der volle Mond spendete etwas Licht. Es war ein kalter Winterabend, niemand war dort, die meisten Leute verkrochen sich lieber in ihre warmen Häuser..“ In Sicherheit, in Geborgenheit, bei den Menschen die sie lieben. „Ich… er…“ Moment. Ced nahm das Bild des Polizisten vor ihm wieder wahr. Ein Blinzeln. „Was… würde sich ändern?“, erkundigte er sich plötzlich, scheinbar skeptisch, doch schwang ein Hauch von Unsicherheit in seiner Stimme mit. „Wir waren allein. Niemand war da. Der Täter, er… würde sich einfach ein Alibi geben lassen. Nichts würde sich ändern – oder?“ Ein gequältes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Es war so einfach, so lachhaft einfach. Er könnte hier jeden xbeliebigen beschissenen Namen nennen und es würde rein gar nichts ändern. Es gab keine Beweise, keine Indizen, nichts außer eine fette Blutlache, ein klappriges Motorrad und eine verfickte Pistole. Ob die verdammte Kugel in seinem Bein irgendetwas dazu beitragen konnte? Haha, wohl kaum. Es spielte keine Rolle was er tat oder sagte, wenn es blöd lief brachte er die Leute um ihn herum nur noch unnötig in Gefahr vor diesem Psychopathen, denn sicherlich würde Rick es gar nicht gutheißen, wenn er ihn verpfeifen würde und er hatte das ungute Gefühl, dass dieser scheiß Amerikaner sein Umfeld nur zugut kannte – womöglich sogar besser als er selbst. Andernseits, war es dann nicht verantwortungslos nichts zu sagen? War es nicht fast schon seine Pflicht dafür zu Sorgen, dass der Typ hinter Gittern kam? ‘Dafür zu sorgen‘ – haha, als ob du irgendetwas ausrichten könntest! Shit. Das stimmte… oder? Sollte er den ach so tollen Hütern der Gerechtigkeit nicht helfen, wenn nur der Hauch einer Chance bestand? Nur – bestand diese überhaupt?


  • Geduldig wartete der Neupolizist mit Block und Stift in der Hand und blickte zwischen dem Patienten und den Dingen im Krankenzimmer hin und her. Es dauerte seine Zeit, bis zögerliche und vorallem leise Worte aus dem Mund des jungen Mannes kamen und sobald dieser ein Laut von sich gegeben hatte, waren sie auch schon auf dem neuen Block niedergeschrieben. „An der Korallenbucht.. okay..“, wiederholte Howard leise für sich während er schrieb und auch wieder zu Cedric sah. Dieser schien seine Meinung jedoch plötzlich geändert zu haben, denn er wich von seiner malerischen Erzählung ab und stellte stattdessen Gegenfragen, die den Aushilfspolizisten für einen Augenblick durcheinander brachten. War nicht er derjenige, der die Fragen stellen sollte? „So würde ich das nicht sagen.“, erwiderte der blonde Mann und räusperte sich. „Es würde uns schon ein großes Stück voran bringen, wenn sie uns den Namen des Täters nennen. Ich kann ihnen nicht sagen, was passieren wird, denn ich bin kein Richter und würde es auch nie sein wollen, allerdings würden sie unsere Arbeit damit erleichtern. Und somit würde der Täter schneller seine gerechte Strafe bekommen.“ Howard versuchte langsam zu sprechen und sich seine leichte Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Natürlich werde ich sie nicht zu einer Aussage zwingen, das liegt nicht in meiner Macht und die Foltermethoden wurden schon vor einigen Jahren abgeschafft wie sie wissen sollten. Deshalb bitte ich sie nur darum. Um ihrer selbst Willen. Wollen sie nicht, dass diese Person, die ihnen dies angetan hat, dafür bestraft wird? Wollen sie, dass dieser jemand weiterhin durch die Straßen läuft? Mit einer Waffe in den Händen?“ Inzwischen hatte der Gesetzeshüter den Block auf seinem Schoß abgelegt. „Es tut uns Leid, dass wir uns bisher nicht darum gekümmert haben aber ohne Hinweise können wir solchen Dingen nicht nachgehen. Und vielleicht sind sie derjenige, der uns hilft, diese Person endlich zu finden und zurecht zu weisen. Deshalb wäre ich ihnen sehr verbunden, wenn sie mir einen Namen nennen, damit wir wenigstens einen kleinen Hinweis haben, mit dem wir arbeiten können.“


  • Unsicherheit. Angst. Ein Gefühl der Beengung. Cedric fühlte sich in diesem Moment wieder wie ein kleiner Junge, den man tadelte, weil er etwas furchtbar Dummes angestellt hatte – nur das er meistens für Simon’s Fehler den Kopf hinhalten durfte, aber das sei mal dahingestellt. Oh und wie sehr wünschte er sich er könnte diesmal erneut für seinen Bruder bürgen, doch war die Realität wie so oft um ein Vielfaches komplexer, ausnahmslos grauenhafter. Ja, es war ernst. Viel ernster und weitreichender womöglich als er es in diesem Moment überhaupt erahnen konnte. »Mach das er aufhört. Mach das er schweigt!« Die Stimme des kleinen Jungen flehte dennoch, hoffte auf Erlösung, auf Ruhe, auf das das Kind seinen Willen bekam und somit selbst zum Schweigen gebracht wurde auf ganz natürliche Art und Weise. Niemand wollte sich mit unangenehmen Dingen auseinandersetzten, Kinder erst recht nicht und als Kind, ja, da war es so leicht, konnte man sich doch bei Mama oder Papa ausweinen und somit dazu bringen, die unangenehmen Dinge an ihrer Stelle zu erledigen. Es war so leicht! Kinderleicht! Aber ach, nicht immer wurde den kleinen Wesen ihr Willen zuteil und auch Cedric war längst kein Kind mehr, was die Angst, die sich langsam, jedoch beständig in sein Herz fraß umso verderblicher machte.
    Howard sprach. Schweig still! Cedric wollte nicht hören was er zu sagen hatte, wollte das Drängen seiner Worte ignorieren, ihre Wichtigkeit untergraben. Ja, er hatte Recht! Hatte er das wirklich? Dieser Mann hatte doch keine Ahnung, sagte er das nicht selbst? Natürlich konnte er nicht abschätzen, was die Zukunft mit sich brachte, wer konnte das schon? Bestünde auch nur ansatzweise diese Möglichkeit würde er nicht in dieser misslichen Situatoin stecken! Cedric hätte beinahe ein hysterisches Lachen ausgestoßen, jedoch fehlte ihm schlichtweg die Kraft dazu – ein Glück, womöglich, sonst hätte der Polizist ihn im schlimmsten Falle für unzurechnungsfähig erklärt, was… eigentlich gar nicht mal so blöd war. Oder? Haha, was dachte er da bloß? Sein Problem war eben doch, dass er im Kopf zu viele Möglichkeiten durchging, durchgegangen war, noch durchgehen würde? Die Hoffnung hing wie ein süßer seidener Faden vor ihm in der Luft, wartete nur darauf ergriffen zu werden, doch hatte Cedric gleichzeitig Angst ebendadurch ebendiesen Faden zum Reißen zu bringen. Noita… Ihr Name, warum, jetzt? So einfach! Drehte sich in Wahrheit nicht alles nur um sie? All die gesichtslosen Menschen, die ihm ihn herum existierten, es war belanglos, sie waren egal – nur sie war wichtig. Er realisierte woher die Angst kam, die sich in sein Herz fraß, es war so dumm, so einfach, so naiv! Ehrliche Sorge um einen Menschen – wann hatte er dies zuletzt verspürt? Haha, es war fast als hätte er noch ein Herz! Wie süß, wie unschuldig! Zu viel hatte er von diesem Mädchen bereits verlangt, gar ohne es zu wissen, wie immer, er wollte sich ihr Lachen bewahren, musste sie beschützen, die Wahrheit verstecken, tief, ganz tief in seinem Inneren, musste Schicht um Schicht drauflegen, bis niemand mehr den Kern sehen konnte. Alles würde gut sein. Alles würde gut sein. Er konnte nicht… durfte nicht… das Risiko eingehen sie noch weiter in Gefahr zu bringen, als er es durch seine bloße Existenz bereits getan hatte. Er wollte nicht, dass sie verletzt wurde, denn was, ja, würde dann aus ihm werden? War es egoistisch? Aber ja. Doch war es nicht viel egoistischer die Wahrheit, nein, sagen wir das bisschen Prägnanz, was er zu wissen glaubte, in die Welt hinauszuposaunen, nur um die Last von seinem Herzen zu nehmen, sein Gewissen dadurch reinzuwaschen und gleichzeitig umso mehr Schuld aufzuladen? Würde er dem standhalten können? Wer wusste das schon? In seinem Kopf drehte sich alles, Fragen, Aussagen, Vergangenheit und Traum in einem immerwährenden Strudel voller Gedanken, ein Sog dem er sich nicht entziehen konnte, ihm vielmehr zusetzte, als das er auf Dauer ausharren konnte. Ihm war schlecht. Er hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen, doch hatte er die Tage im Krankenhaus kaum etwas gegessen, so war es der Mühe nicht Wert sich zu erbrechen und das mumlige Gefühl in der Magengegend blieb weiterhin bestehen. »Mach, das es aufhört, Mach das er schweigt!« Ein Wunsch, der ihm nicht gewährt wurde. Vielmehr drangen die Worte des Polizisten immer mehr zu ihm durch, wurden lauter, drängender, bohrten sich förmlich in den Strudel und mischten sich so unter das restliche Chaos. » Es würde uns schon ein großes Stück voran bringen, wenn sie uns den Namen des Täters nennen.« Lüge. Es würde nichts ändern. » Allerdings würden sie unsere Arbeit damit erleichtern.« Lüge. Es würde ihnen nur Arbeit machen. Als würden sie sich ohne Angaben noch groß bemühen! Wie auch? » Und somit würde der Täter schneller seine gerechte Strafe bekommen.« Lüge. Was er da versprach! Wie utopisch! Gerechtigkeit? Im Leben? Lachhaft! » Deshalb bitte ich sie nur darum. Um ihrer selbst Willen.« Schweig. Schweig endlich still! » Wollen sie nicht, dass diese Person, die ihnen dies angetan hat, dafür bestraft wird?« Ja. JA! Ah, was für eine Frage! So bösartig und kaltblütig, dass sie beinahe schon physische Schmerzen bei ihm verursachten. » Wollen sie, dass dieser jemand weiterhin durch die Straßen läuft? Mit einer Waffe in den Händen?« Ja. JA! Moment. NEIN! Was für eine Frage! Nein, nein, nein! Cedric hatte nicht bemerkt, dass er mittlerweile fast aufrecht sitzend in seinem Krankenbett saß, angespannt, unter Druck und nicht in der Lage Recht von Unrecht zu unterscheiden. Oh. Ja richtig, auch das spielte ja keine Rolle mehr. Recht, Unrecht, Gut, Böse – so etwas existierte nicht, alles versmichte sich zu einem seltsamen Grau und war es dann nicht egal ob er schwieg oder redete? Sie würden ihn nicht kriegen. Es war aussichtslos, alles war aussichtslos. » Und vielleicht sind sie derjenige, der uns hilft, diese Person endlich zu finden und zurecht zu weisen.« Nein, nein, nein, alles Lüge, LÜGE! Rick zurechtweisen? Ein Lachen wäre passend gewesen, doch spannte sich sein Körper nur noch weiter an, er begriff nicht einmal wie sehr er selbst die Worte ablehnte, wie sein Inneres bei den Worten des Polizisten eine Mauer errichtet hatte, ungewollt, als Schutz gedacht vor dem letzten bisschen was ihn noch als Person auszeichnete. Es war dumm, es war naiv, doch drang die Wahrheit nicht bis zu ihm durch. „Ich…“ Er konnte nicht, durfte nicht… Panik kroch erneut in ihm hoch, er durfte nicht nachgeben! Denn was würde passieren, wenn er den verbalen Angriffen des blonden Hünen nicht mehr standhalten konnte, wenn der Schutzwall zusammenfiel und zerbrökelte bis nichts mehr davon übrig war? Ja.. was dann? Die Furcht vor dem Ungewissen war groß, was wäre wenn, wie, wohin würde es führen? Jaja, so viele Fragen! Dumme Fragen auf die es keine Antwort gab! Nein, nein, nein! Sein rationales Denken war gelähmt, die ganze Zeit über schon, die in ihm vorherrschende Angst war wie ein zähflüssiges Serum das die einzelnen Zahnräder blockierte. Ob er sich dem bewusst war? Hmhm! War er nicht so und so Verlierer dieses Spiels? Und wie viel konnten Verlierer ertragen? » Deshalb wäre ich ihnen sehr verbunden, wenn sie mir einen Namen nennen, damit wir wenigstens einen kleinen Hinweis haben, mit dem wir arbeiten können.« Seine Augen waren geweitet vor Schreck, vor Angst, der Ausdruck aus seinem Gesicht angespannt, gequält, die Entscheidung die er fällen würde unlogisch, nicht nachvollziehbar. Sie waren nutzlos! Sie alle! Lügner auf ganzer Linie! Die Worte einer Schwindel, ein betrügerischer Versuch ihn in eine falsche Hoffnung zu führen! War es nicht so? War es nicht so?! „Ich..“ Er musste sie beschützen, die Wahrheit bewahren, tief in seinem Inneren, auf das niemand mehr sie je zu Gesicht bekommen würde. Sicherheit. Richtig. Nur das bedeutete Sicherheit, sich der Polizei auszuliefern wäre der blanke Wahnsinn, dumm und töricht und er durfte es sich nicht leisten sie in Gefahr zu bringen. Nicht auch noch sie. Cedric blickte erstarrt, entsetzt, stumm zu dem Polizisten, es war als würde er ihn erst jetzt wirklich sehen und… es machte ihn wütend. Tatsächlich? Aber ja! Was wagte Howard es eigentlich hier aufzutauchen, ihn unter Druck zu setzen, mehr noch, mit falschen Aussagen zu ködern?! „Gehen Sie!“, verlangte er keuchend, die Stimme hart und bestimmend, ein Umstand der einem Wunder glich. „Ich… Ich habe nichts gesehen! Hören Sie? Es ging alles so schnell, ich… ich weiß nicht…“ Verzweiflung und Angst nagten erneut an ihm. Mach, dass es aufhört! Er schluckte. Hilfe! So helfen Sie mir doch! Ein inneres Flehen, eine Stimme die sofort zerschlagen wurde. „Gehen Sie. Bitte.“, wiederholte er, nun leiser, eine Bitte, ein Flehen gar, denn war ihm klar, dass er den Schein nicht mehr länger aufrecht erhalten konnte und nichts wäre ihm mehr zuwider als vor diesem Fremden zusammenzubrechen.


  • Erneut zögerte der junge Mann, es dauerte eine ganze Weile ehe er reagierte. Howard würde darauf wetten, dass er ihm etwas verschwieg. Dies war meist der Fall, wenn die Opfer vorher so lange überlegten. Vermutlich wog er gerade ab, was für ihn selbst Priorität hatte und was für ihn am besten war. In diesem Falle war es wohl inne zu halten und zu schweigen. Die Anwesenheit des Polizisten war ihm merklich unangenehm, was der blonde Mann nicht nur daran erkannte, dass er gebeten wurde zu gehen. Stotternd und unsicher versuchte Cedric ihm klar zu machen, dass er nichts gesehen habe, was erneut für Zweifel an seinen Worten sorgte, dennoch konnte Howard ihn nicht dazu zwingen zu reden. „Nun gut. Das ist außerordentlich schade, es ist immer traurig, wenn man weiß dass solche Leute auf freiem Fuß bleiben und womöglich noch weitere solcher Taten verüben. Wir werden diese Angelegenheit dennoch weiter untersuchen und ihnen Bescheid geben, wenn wir weiteres heraus gefunden haben. Falls ihnen noch etwas einfallen sollte...“ Der großgewachsene Mann erhob sich, griff in seine Jackentasche und zog eine Visitenkarte hervor „So können sie sich jederzeit telefonisch bei mir melden. Auch, falls es für sie einfacher ist nicht von Angesicht zu Angesicht darüber zu sprechen.“ Ein letztes Mal nickte die Aushilfe dem jungen Mann zu bevor jener sich zur Tür wandte. „Ich wünsche ihnen gute Besserung und wie gesagt, sie können uns jederzeit erreichen, scheuen sie sich nicht. Jeder noch so kleine Hinweis wäre eine große Hilfe für uns!“, erinnerte er ihn erneut und verließ schließlich das Zimmer und anschließend auch das Krankenhaus um sich seinem nächsten Job zuzuwenden.


  • Schweigen. Wertvolle Sekunden verstrichen, quälend langsam, rasend schnell, Zeit die sich nicht genau festhalten ließ. Es war schwierig. Alles. Die Worte die nur mit äußerster Mühe seine Lippen verlassen hatten, trieften nur so von Lügen, das wäre selbst einem naiven Kind klargewesen, zweifelsohne dann einem ausgebildeten Polizisten. Lügner, Lügner! Ein sanftes Ringelreier drehte sich in seinem Kopf, ein unangenehmer Tanz der nicht die Absicht hatte sich in naher Zukunft zu legen. Zu spät. Er hatte seine Entscheidung getroffen, unbeirrt, unabdingbar, das Dekret des Schweigens im schönen, naiven Glauben zu beschützen. Zuckersüß, ein Märchen wie aus dem Bilderbuch, eine wunderbare Gutenachtgeschichte, die von Moral und gutem Gewissen erzählte. Wie wunderbar! Gehen Sie. Jetzt. Seine Worte, streng doch höflich wie immer, war ihm klar das er Howard soeben rausgeschmissen hatte? Nein, war es nicht. Musste es nicht. Der blonde Hüne vernahm die Worte gleichwohl, zeigte Verständnis wo keines angebracht war, ließ es sich nicht nehmen noch einmal die Stimme zu erheben. Im guten Glauben, sicherlich, dennoch alles andere als hilfreich, gegenteilig gesprochen sogar mehr als destruktiv für den jungen Mann. ... Schade. Schade. Die Worte des Polizisten glichen schienen ihhn zu verhöhnen. Ach, wie schade das Leute, Unschuldige belästigt, verletzt, bedroht, ermordet werden, tagtäglich zu tausenden, aber wissen Sie, da kann man manchmal nicht viel machen und wenn Sie dann nichtmal offen mit uns sein wollen, können wir Ihnen wirklich auch nicht weiterhelfen! Schade, Schade! Scheren Sie sich zum Teufel! 
    Schuld. Erneut. Gefühle waren ja derart einfach zu suggerieren! Fehlverhalten plus schöne Worte ergaben Schuld. Eine bedrückende, defätistische, sorgenvolle Emotion, die in Selbstzweifel und Reue mündete. Eine simple Gleichung. Und tatsächlich gab es Menschen, Genügende, die sich eben diese spartanische Weisheit zunutze machten, Widerwärtig, abstoßend - klug? Als würde das in diesem Moment von belang sein! Wieder drehte sich ihm der Magen um, doch der Würgereiz war nicht stark genug um dtatsächlich etwas hervorzubringen - zu Howard's Glück musste man sagen. Unsicherheit und Angst schienen ihn zu erdrücken in einem Ausmaß das er nicht gewohnt war, die Emotion zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab ohne das er Selbiges verhindern konnte und mit eben diesem Ausdruck sah er den Polizisten an, als dieser ihm seine Karte in die Hand drückte. Musste es sein? Musste er ihn wirklich derart quälen? Die Belastung fraß sich in seinen Körper, weiter, immer weiter, bis vor zum Herzen, wie ein Parasit der nicht aufhören würde, bis das Zentrum des Menschen in tausend kleine Scherben zersprang - wobei das in Cedric's Falle ja nicht das erste mal sein würde, nicht wahr? Doch wie oft würde er noch die Möglichkeit haben sich von einem derartigen Schaden zu regenerieren?
    Die Tür schloss sich leise. Der Junge hatte nicht bemerkt, dass der Polizist tatsächlich - endlich, endlich! - verschwunden war. Erleichterung? Nicht im Geringsten. Stattdessen wuchs der Keim der Reue immer mehr an. Fragen wurden aufgeworfen, unnötige Punkte, die doch schon tausendmal aufgeworfen worden waren. War es richtig? War es falsch? Hätte er etwas sagen sollen? Müssen? War er in der Lage Noita zu beschützen? Gerade? Wohl kaum. Warum überhaupt? Was sollte das alles? Bla, bla, bla - dummes Geplänkel, wieso drehte es sich weiterhin im Kreis wo doch so klar war, das ses zu nichts führen würde? Cedric ballte die Hände zu Fäusten, ein Umstand der einem Wunder glich, bemerkte die Visitenkarte in seiner Linken erst, als diese ihn bereits in die Haut geschnitten hatte, so leicht das nichtmal Blut hervortrat. Wie auch? Hatte er von dem roten Lebenssaft zuletzt nicht genug verloren? Unwillkürlich tauchte Rick's Gesicht wieder vor ihm auf, arrogant wie amüsiert, wie er es immer war, wenn er sich am Leid anderer ergötzte. Das schemenlose Abbild ließ sich nicht vertreiben, er hatte es aufgegeben. Cedric wollte schreien, lange schon, doch nie kam auch nur ein Laut über seine Lippen, die Qual tobte lediglich innerlich und so legte er sich stumm zurück in seine Kissen, wissend, dass ihm die Gnade auf Schlaf nicht so schnell gewährt werden würde.


  • Nervös und vollkommen aufgelöst kam er durch die Tür gelaufen. Ein kurzer Blick nach rechts und einer nach links, ehe er sich zur Rezeption begab um die Zimmernummer seines Sohnes heraus zu finden. Auf den Aufzug zu warten würde zu lange dauern und so lief er die wenigen Treppen zu Fuß hinauf, bis er endlich vor der Tür zum stehen kam, welche ihn von seinem Sohn trennte. Matze holte einmal tief Luft, nicht dass er, aufgelöst wie er war, noch den möglichen Schlaf von Cedric stören würde. Vorsichtig klopfte er an die Tür und noch vorsichtiger öffnete er sie nach einem Augenblick. Schweigend verharrte er einen Moment mit dem Türgriff in der Hand. So schlimm konnte es ja nicht sein, immerhin war er in der Lage gewesen anzurufen. Oder? „...Ceddy?“, fragte er vorsichtig und wartete auf ein Lebenszeichen des Blonden.

  • Kälte. Stille. Der frühe Abend verspricht eine helle Vollmondnacht, sofern die Wolken des Vortages sich nicht vor die leuchtende Scheibe schieben. Der Mann im Mond, eine fabelhafte Erzählung, mysteriöse Wesen – nicht in dieser Welt. Realität, so nennt man sie, wobei das was vor mir lag alles andere als real wirkt. Die Gassen sind klein und beengt, liegen in dunklen Schatten, da die Straßenlaternen nur noch flackernde Lichter in die entfernten Nischen werfen. Ein schauriges Bild. Schön? Halt, nein, nicht im Geringsten. Was tue ich hier? Habe ich es wirklich vergessen? Ist das… „Riverport?“ Ich flüstere den Namen des Ortes, den ich erhoffe. Doch wirkt die Stadt gerade derart fremd, dass es ein leichtes für den Zweifel ist, daran zu wachsen. Unwohlsein. Der Kern, dieses Gefühl, es verlässt mich dazu mich in Bewegung zu setzen, auf der Suche nach einem Sinn für mich. Ich gehe, schreite bemüht langsam voran, denn wenn ich anfangen würde zu laufen, habe ich Angst in Panik zu verfallen, fast so, als wäre es schon tausendmal so oder auf eine ähnliche Art und Weise passiert. Ergibt das einen Sinn? Vermutlich nicht. Doch bin ich genauso niemanden Rechenschaft schuldig und so muss ich mich nicht erklären.
    Die Stille ist beängstigend, gruselig gar. Doch viel zu schnell geschieht es, da ist ebendiese durchbrochen, von einem Klang, der mir das Mark in meinen Beinen gefrieren lässt. Ein Schuss, ein grässlicher Laut, unendlich weit fern, so scheint es, doch das rede ich mir insgeheim nur ein. Ich weiß es. Es ist nah. Zu nah. Ich bemerke das ich laufe und ja, der Klang hat mich aufgeschreckt wie eine Hühnerschaar, doch warum renne ich zu dem Quell der Welle hin, anstatt vor ihm zu fliehen? Die Antwort ist lächerlich einfach. Ich habe Angst. Nicht um mich. Um sie.
    Mit jedem weiteren Schritt kommen die Erinnerungen hoch, bahnen sich einen Weg vor zu meinem inneren Auge. Der Strand. Der Schuss. Der Hass. Angst, mehr noch, Panik. Mein Schweigen. Habe ich es erneut geschafft? Bringe ich sie allein durch meine Existenz in Gefahr? Warum? Warum, warum, warum? Ich keuche, bemerke wie meine Energiereserven weniger werden, registriere am Rande auch einen pochenden Schmerz in meinem rechten Oberschenkel, eine sanfte Erinnerung an die Wunde, die dieser Mann mir hinzugefügt hat. Es ist wahr. Noch immer kann ich es kaum glauben, doch spricht nicht alles dafür? Doch eine Sache beunruhigt mich weiterhin – denn warum nur wirkt alles so derart surreal? Ein zweiter Schuss durchbricht die frühe Nacht in dem Moment als ich um die Ecke laufe. Im rechten Augenblick. Im genau Falschen.
    Ich bleibe stehen, erstarre. Sehe in ihre Augen, das Rot das sein Leuchten noch nicht verloren hat und dennoch ist die Fassungslosigkeit, die sich dahinter verbirgt deutlich auszumachen. Und wie treffend das Rot ihrer Iris ihrem eigenen Lebenssaft gleicht, der nun ihren Körper bedeckt. Als wäre ein Künstler hier am Werk gewesen!
    Ich laufe, erkenne dies auch nur daran, dass sie mir so näher kommt. Stille, nein, es ist nicht ruhig. Es ist absolut tot, ein Stummfilm, ein Vakuum, ich höre nichts, nicht meine Schritte, nicht meinen Herzschlag, nicht mein Schreien, von dem ich überzeugt bin, dass es meine Lungen verlässt. Ich will sie erreichen. Muss. Noch während sie fällt.
    „Noita!!“, Endlich, ihr Name, meine Stimme. Sie ist nicht tot, nein, das bildest du dir ein. Lass es ihr gut gehen, lass sie leben… Ich erreiche ihren reglosen Körper, der verfallen in dieser dreckigen Gasse liegt, am Ende der Welt. Vorsichtig ziehe ich sie auf meinen Schoß, versuche den Puls zu fühlen, einen Herzschlag auszumachen. Ich zittere dabei so sehr, dass es schwierig ist selbst dieser simplen Handlung nachzugehen. Und dann das Blut! Soviel Blut! Der rote Lebenssaft durchtränkt ihre Klamotten, schließlich meine, bis er sich langsam, zähflüssig auf dem grauen Asphalt ausbreitet. Nein, nein, nein! Meine Hände zittern stark, so war es schwierig zu handeln, mehr noch – was soll ich tun? Hier, jetzt, in diesem Moment, während sie vor mir stirbt, womöglich längst tot ist? Wie kann ich es stoppen, den Strom des fließenden Lebens der langsam aus ihr rinnt? Ich kann nicht glauben, was hier passiert, streiche eine Strähne aus ihrem Gesicht, als könnte ich mir so einreden, sie würde nur schlafen und so jeden Moment die Augen aufschlagen.
    Soweit soll es nicht kommen. Noch ehe ich auch nur einen ansatzweise klaren Gedanken fassen kann, höre ich erneut Schritte, erstarre in ebjenem Augenblick. Der Mör-, der Täter, kommt er zurück? Unwillkürlich ziehe ich den leblosen Körper des Mädchens fester in meine Arme, als könnte ich sie so vor weiterem Leid beschützen. Lächerlich!
    Aus dem halbdunkeln der Gasse tritt ein heranwachsender Mann, dem Gesicht gleich dem seinen. Ich atme instinktiv aus vor Erleichterung, bin ich doch nun nicht mehr auf mich allein gestellt, deenn auf wen, wenn nicht auf seinen eigenen Zwilling, ist sonst verlass? Ich habe meinen Mund bereits geöffnet um ihn um Hilfe zu bitten, um mich auf m einen Bruder zu stützen als ich seinen verwirrten, gar verstörten Gesichtsausdruck bemerke. Simon weicht einen Schritt zurück.
    „Cedric… was… was hast du getan?“
    Meine Gesichtszüge entgleiten mir. Das glaubt er nicht wirklich, dass-
    „W-Was… ich.. verstehe nicht, was-,“ Mehr als ein Stottern schaffe ich nicht. Warum reagiert er so? Meine Kehle schnürt sich zu, ich schnappe nach Luft, die mein Körper kaum durchlässt, ehe ich falle.
    Alles ist dunkel, ich kann die Hand vor meinen Augen nicht sehen. Noita?! Nichts. Sie ist weg, verschwunden. Doch wohin? Was geschieht hier?
    Ein Licht erscheint in weiter Ferne, ein Scheinwerfer, die eine Person beleuchtet, die gemäßigen Schrittes näher an mich herantritt, bis ich in der Lage bin, dessen Gesicht auszumachen. Es ist Rick. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem gequälten, verzweifelten Ausdruck. Ich komme nicht gegen ihn an, nicht hier, nicht jetzt. Er hat es nicht eilig – warum auch? Es ist ja nicht so, als könnte ich weglaufen – obwohl ich so gerne würde! Ein Schwächling, ja, das bin ich, doch selbst mein Eingständnis hilft mir hier nicht weiter. Nichts kann mir helfen, wann begreife ich es endlich? Schlussendlich steht er vor mir, abwartend, abwägend und ich warte auf eine Aktion, eine grausame Geste vielleicht, denn was bleibt mir anderes übrig als zu warten, wenn mich die Finsternis doch sowieso an den Boden fesselt? „He.“, höre ich schließllich die missmutige Stimme des Amerikaners, ehe ich seinen Schuh unter meinem Kinn spüre, wodurch er mich zwingt ihn direkt anzusehen. Ich habe weggesehen? Es ist mir nicht aufgefallen. „Du machst es mir leichter als gedacht, Idiot~.“ Sein Lachen, selbstgefällig und falsch wie immer, ehe er mich zurück auf den Boden tritt und kurz in eine andere Richtung blickt. Ich spüre sein Desinteresse, doch was mich noch viel wütender macht, ist meine eigene Unfähigkeit – aber sollte ich es nicht längst gewohnt sein? Unerwartet ist er in die Knie gegangen und packt mich nun an meinen Haaren. „Sagmal, hast du Vollidiot mir tatsächlich geglaubt? Das ist ja fast schon niedlich! Was meinst du diesmal, ist diese hier-,“ Er zieht eine Pistole hervor und wedelt damit vor meinen Gesicht herum, ehe er die Waffe ruhig auf das Stück Boden zwischen uns legt. „Echt oder nicht echt? Verantwortlich für den Tod deiner kleinen Freundin oder nicht? Und falls ja, hach, wer mag nur der Mörder sein…?“ Mit diesen Worten verschwindet das grausame Abbild vor mir, als wäre es nie dagewesen. Hektisch taste ich nach der Knarre vor mir und sei es nur, damit sie mir nicht noch ein weiteres Mal zum Verhängnis wird. Ich höre Schritte. Ich stehe auf, kann aufstehen. „Wer.. ist da?“, erkundige ich mich schließlich misstrauisch, da es absolut dunkel ist. Die Waffe halte ich vor mir, obwohl ich weiß, dass ich damit kein Stück umgehen kann. „Sag, Cedric.“ Eine Stimme, eine Frauenstimme, bei der es mir kalt den Rücken runterläuft, weil ich genau weiß wem sie gehört, was absolut unmöglich ist. „Das du mich so einfach aufgibst! Hast du mich denn wirklich schon vergessen?“ Ich spüre Ran direkt vor mir, noch ehe ein Licht sie etwas erhellt. Du lebst. Ich spreche die Worte nicht, traue mich nicht, klingen sie doch so albern! Sie vergräbt das Gesicht in meiner Brust, wodurch es mir schwer fällt, es als eine Illusion abzustempeln. „Ich hab dich vermisst..“ Ein leises Murmeln, langsam, zögerlich lege ich einen Arm um sie, immer noch verwirrt von dem aktuellen Geschehen. „Ich dich auch-,“ Die Worte kommen wie von selbst über meine Lippen und ich selbst weiß nicht, ob sie wahr gesprochen oder erlogen sind. „Wir können noch einmal anfangen, meinst du nicht?“ Hoffnungsvoll sieht sie auf, fesselt mich mit ihren blauen Augen und so bemerke ich nicht, wie ihre Hände sich langsam an meinen Armen herabhangeln. „Es wäre auch ganz leicht.. Wir müssten nur die Störfaktoren beseitigen und alles wäre wie früher.“ Ihre Rechte ergreift die Pistole und ich realisiere einen Moment zu spät, wie einfach ich die Waffe aus der Hand gegeben hatte, wie unglaublich dumm und naiv ich doch bin, wo ich doch weiß, was mich an einem Ort wie diesen erwartet! Ran löst sich schnell von mir, bringt einen sicheren Abstand zwischen uns. „Was… hast du vor?“, frage ich leise ohne den Blick ein weiteres Mal von ihr abzuwenden. „Was ich gesagt habe. Ich liebe dich Cedric und ich kann dich nicht an jemand anderes verlieren! Erst recht nicht jemanden wie sie! Verstehst du das nicht?“ Langsam strecke ich meine Hand aus. „Gib sie zurück. Bitte.“ Es ist mir selbst ein Rätsel, wie unglaublich fest meine Stimme klingen kann. »Ceddy…?« Ich reiße den Kopf herum und suche nach dem Ursprung des Rufes. Als ich den Blick wieder auf Ran richten will, ist diese bereits losgerannt und ich habe Mühe das brünette Mädchen einzuholen. Von meiner Bestimmtheit von eben ist nichts mehr zu spüren und ich gerate erneut in wachsende Panik. Tu ihr nichts, bitte… tu ihr nichts!


  • Ich schrecke hoch. Ich. Cedric. Es fällt schwer, das eine vom anderen zu unterscheiden.
    Es musste seltsam aussehen. Sein Herz schlug wie verrückt, als wäre es einen Marathon gerannt, die rechte Hand hatte er ausgestreckt und er erinnerte sich daran, dass er jemanden nachgerannt war… Ran. Schnell nahm er seine Rechte und fuhr sich damit die blonden Haare aus dem Gesicht, wobei ihm einmal mehr bewusst wurde, wie verschwitzt er war. Was Angst und Panik nicht alles mit einem Menschen anstellen konnten…? Man könnte es faszinierend finden, wahrlich, wenn man nicht selbst irgendwie in seinem eigenen Gedankennetz gefangen war. Grässlich, wahrhaft, grässlich! Cedric versuchte sich zu orientieren. Etwas oder jemand hatte ihm aus seinem zauberhaft schönen Traum gerissen, noch ehe er das Unheil gänzlich abwenden konnte. Wobei das sowieso nicht passiert wäre… das wäre neu gewesen. Sollte er also dankbar sein? Vermutlich. Nur… wem? Es scherte sich doch niemand um ihn? Es dauerte einen Augenblick bis Cedric in der Lage war den Blick zur Tür zu richten, wodurch er sich einmal mehr fragte ob er nicht immer noch schlief. Es würde passen, sehr treffend sogar. „Träume ich noch…?“, stellte er die Frage daher tatsächlich laut, fand er sie doch wahrlich als berechtigt gestellt. „Matze…?“ Er war sich nicht sicher. War es sein Vater der da etwas verloren in der Tür stand oder Simon oder er selbst oder doch nur ein weiteres Trugbild, das ihm so etwas wie Hoffnung vorgaukeln wollte? Ja, wer wusste das schon? Er nicht, doch es war dem Jungen scheißegal, noch hatte er den Mut tatsächlich zu hoffen und solange er diesen hatte, würde er auch nicht aufgeben. Noch nicht.


  • Es hatte einen viel zu langen Moment gedauert, ehe der junge Mann seinem Vater etwas verwirrt Antwort gab. Mit feuchten Händen umklammerte er noch immer den Türgriff, bevor er es endlich schaffte in das Zimmer einzutreten. Es war glücklicherweise ein Einzelzimmer und sein Sohn brauchte sich nicht an immer schlecht gelaunten Zimmergenossen zu stören. Sichtlich nervös wegen einfach allem stellte er sich fürs erste stumm neben das Bett des Blonden und wagte es nicht, auf dem Besucherstuhl platz zu nehmen. Vielleicht hatte er ihn ja auch nur herbestellt, damit er ihm seine geforderten Sachen brachte. Bei Cedric hatte er es ja noch nie schafft heraus zu finden, was genau in ihm vorging. „Was ist passiert? Ist...alles in Ordnung?“ Blöde Frage, am liebsten hätte er sich dafür selbst eine geklatscht. Natürlich war nicht alles in Ordnung, sonst wäre er ja nicht hier. „Ich meine...“, begann er sich zu korrigieren und richtete seinen Blick auf seinen Sohn, sprach aber nicht weiter. Der Blick in seinen Augen war eindeutig. Es musste ihm furchtbar gehen. Unbeholfen nahm Matze auf dem Stuhl platz, er würde gewiss nicht gehen ehe er erfahren hätte, was geschehen war.

    • :)
    • :(
    • heartblack
    • ;)
    • heartpurple
    • :P
    • heartblue
    • ^^
    • heartgreen
    • :D
    • heartyellow
    • ;(
    • heartorange
    • X(
    • heartpink
    • :*
    • heartred
    • :|
    • hmangry
    • 8o
    • hmheart
    • =O
    • hmexclamation
    • <X
    • hmquestion
    • ||
    • hmsad
    • :/
    • hmsleep
    • :S
    • hmtumbleweed
    • X/
    • hmhappy
    • 8)
    • hmnothing
    • ?(
    • hmill
    • :huh:
    • :rolleyes:
    • :love:
    • 8|
    • :cursing:
    • :thumbdown:
    • :thumbup:
    • :sleeping:
    • :whistling:
    • :evil:
    • :saint:
    • <3
    • :!:
    • :?:
    Maximale Anzahl an Dateianhängen: 10
    Maximale Dateigröße: 1 MB
    Erlaubte Dateiendungen: bmp, gif, jpeg, jpg, pdf, png, txt, zip