Murakumo [First Post]
Das Rauschen der Blätter im Wind, Vögel die aufschrecken und davonfliegen, das Reh, welches sich angstvoll umblickt. Es ahnt etwas. Der Wolf hatte seine Beute im Visier. Langsam, schleichend, lautlos ein Bein vor das andere setzend. Kein Geräusch. Die Stille war fast schon unnatürlich, er hörte nur den Atem des Geschöpfes, sein pochendes kleines Herz. Es rannte los. Er tat es ihm nach, machte einen Satz--
Knack.
Ein hässliches Knirschen.
Leblos blickten die Augen des Rehes hinauf zur Walddecke, das Rauschen der Blätter im Wind welches unbeeindruckt seine Melodie fortsetzte.
Der Tod war sauber gewesen.
Die Zähne des Wolfes bissen sich weiter hinein, eine Ekstase, die ihn berauschte, Stolz über seinen Fang, das Fressen zu seinen Füßen, die frische Beute zum Verzehr, so rein, so nahrhaft, so notwendig.
Nicht. NICHT.
Er war mehr als das.
Erinnere dich.
Murakumo schüttelte sich, schüttelte die Instinkte, die ihn übermannten regelrecht ab. Die Pfoten wurden zu Händen und Füßen, nach wie vor spitz mit Klauen als Fingernägel, aber so viel geschickter. Das Fell ging zurück, zeichnete sich weiterhin verkürzt auf seinem Körper ab, wurde zu Haar, nackte Haut die stellenweise sichtbar wurde. Seine spitzen Ohren zuckten weiterhin, behielten die Geräusche des Waldes genauestens im Fokus. Der Mann, der an die Stelle des Wolfes getreten war, atmete spürbar aus, durch einen Mund der nicht länger Fangzähne aufwies. Schwerfällig richtete er sich auf, streckte sich in seinem veränderten Körper.
Der Wolf war er, doch gleichzeitig war er es nicht. Er dachte anders, intuitiver, animalischer. Und er durfte nie mehr seine menschliche Seite vergessen, sodass er sich am Ende selbst vergaß. Das wäre... unschön. Unbequem. Und wenn Murakumo eins zu schätzen wusste, war es ein entspanntes Leben.
Sein Blick huschte zu dem Reh zu seinen Füßen. Ein guter Fang.
Zufrieden beugte er sich zu seiner Beute und zog es über seine Schultern. Der nächste Teil würde verdammt anstrengend werden, aber dafür konnte er dann immerhin ein paar Tage auf der faulen Haut liegen.
Murakumo machte sich auf den Weg, heraus aus dem Wald außerhalb der Stadtmauern. Aber zuerst musste er noch die Stelle finden, an der er seine Klamotten abgelegt hatte. Die Wächter von Trampoli hießen es nicht gut, wenn er nackt aufkreuzte. Und dummerweise konnte er sich nicht mitsamt seiner Kleidung in die Gestalt des Wolfes begeben. Das wäre mal praktisch.
Als der Mann schließlich (bekleidet!) an seiner Hütte im Flüsterwald innerhalb der Stadtmauern eintraf, war es bereits später Nachmittag. Am liebsten würde er erstmal ein Nickerchen machen. Aber das tote Reh verlangte weiterhin seine Aufmerksamkeit. Das Feuer geschürt, das Werkzeug geholt, setzte er sich im Schneidersitz vor seine Hütte und begann mit geübten Händen das Reh zu häuten.