Kyle & Ced
Es dauer nicht lange und Cedric wand ihm den Rücken zu. Nicht lange und er begann loszugehen, Richtung Badezimmer, in welchem er sogleich dann auch verschwand. Kyle hörte, wie die Tür zuging, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte und wartete einen Moment. Einen kleinen, aber gleichzeitig auch langen Moment lang, bis er sich sicher war, dass der Ältere von Beiden nicht direkt wieder herauskommen würde und dann, als es soweit war, schloss er kurzerhand die Augen, holte erst einmal einen tiefen Schwall Luft, welchen er sogleich wieder hinaus ließ. "Shit..", murmelte er leise, die Hände fuhren einmal über sein ganzes Gesicht und als sie ihre Aufgabe erledigt hatten, ließ er sie wieder sinken, die Augen inzwischen wieder geöffnet. Eine Weile lang, wahrscheinlich ein paar Minuten, stand er einfach nur so da, starrte ins Leere, einfach, um den Augenblick der Stille, der Ruhe willkommen zu heißen. Dann, ohne groß weiter darüber nachzudenken, tat er das erstbeste, was ihm in den Sinn kam, und das war es eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug aus seinem Rucksack zu holen und sich mit beidem zusammen auf seinen großen Balkon zu begeben. Das Feuerzeug klickte, der Mann lehnte sich ans Geländer und nahm den ersten Zug, sein Blick wanderte in der Umgebung umher. Er merkte schnell, dass seine Hände unruhig waren, auch, wenn man es nicht wirklich als merken bezeichnen konnte, war er sich dieser Tatsache, dieser Nervosität doch die ganze Zeit über schon bewusst gewesen. Ob die Zigarette da helfen würde? Sicher war er sich nicht, aber falls es nicht so war, hatte er ja noch einige mehr da, um Abhilfe zu schaffen. Shit. Ja, shit, war nun wirklich der richtige Ausdruck dafür, nicht? Es war merkwürdig, gerade allein zu sein, Cedric nicht in der umliegenden Nähe zu haben, aber im Endeffekt, da war es auch für ihn ein notwendiger Moment. Gott, wie sollte es denn auch nicht so sein? Seit dem Moment, wo er diese zwei bekannten Gesichter erblickt hatte, in die Baustelle geschlichen und beiden Figuren aufs Dach gefolgt war, hatte er keine einzige Sekunde gehabt, um das gerade Geschehene auch nur ansatzweise verarbeiten, nein, auch nur durchdenken zu können. What the fuck, man? Was zur Hölle war eigentlich in den letzten drei Stunden passiert? Waren es überhaupt drei Stunden gewesen? Vermutlich? Um den Dreh rum? Der Punk merkte, wie er wieder nervöser wurde, nahm einige Züge nacheinander und schloss erneut kurz die Augen. Was war passiert? Wieso war Cedric auf dem Dach gewesen? Wieso war es dieser andere Mann gewesen, dieser Unbekannte, der ihm doch so bekannt war? In welcher Verbindung standen sie? Konnte es Zufall sein, dass ausgerechnet er in diese Situation gerannt war? Das machte keinen Sinn, an so etwas wie reine Zufälle glaubte er nicht. Was sollte er jetzt machen? Ja, das war der springende Punkt. Was - verdammt nochmal, sollte er jetzt machen? Er hatte eine Person, die er kaum kannte, in seiner Wohnung und noch dazu hatte diese gerade eben versucht von einem verfickten Hochhaus zu springen. Oder was dazu angestiftet worden? Fuck, machte es das nicht noch schlimmer? Nicht noch komplizierter? Der Amerikaner musste gar nicht erst zugeben, dass er keine Ahnung hatte, wie er sich jetzt zu verhalten hatte, was er jetzt tun sollte und es machte ihn verrückt. Sollte er Luke schreiben? Ihn um Hilfe fragen? Nach einem Rat bitten? Ihn rüber holen? Gott, er wusste doch nicht einmal, wie er diese Situation gerade überhaupt ansatzweise erklären sollte. Und eine weitere Person, hier, jetzt, gerade? Zweifelhaft, dass dies sich auf irgendeine Weise positiv auf Cedric auswirken konnte. Als Kyle die dritte Kippe anzündete, schweifte sein Blick nach Unten, auf den Boden, der vom Balkon aus so weit entfernt wirkte - aber nicht ansatzweise so weit entfernt, wie es der Boden bei dem Gebäude zuvor getan hätte. Kurz war ihm die Überlegung in den Sinn gekommen, ob es nicht gefährlich war, seine Bekanntschaft im Badezimmer allein zu lassen, wenn man einmal bedachte, dass dort Dinge wie Rasierklingen oder eine Schere oder Sonstiges lag - aber diesen Gedankengang verwarf der Russe schnell, denn dies wäre eine, zugegeben, ziemlich grausige Methode und er bezweifelte stark, dass der Musiker in einer fremden Wohnung auf solch eine Idee kommen würde. Nach der fünften Zigarette ging der Heranwachsende wieder ins Wohnzimmer hinein, wusch sich die Hände und stand erneut eine Weile lang planlos im Wohnzimmer herum. Die Frage danach, was er jetzt tun sollte, nein, was jetzt zu tun war, stand noch immer genauso im Raum herum. Aber im Endeffekt.. da gab es keine Antwort darauf, nicht? Die Einzige, die er vielleicht geben konnte, war, dass er überhaupt irgendetwas tat. Warum war er dennoch so verdammt verunsichert? Weil er einst in derselben Situation gewesen war? Und dann von Dirk aufgenommen worden war - auch, wenn dieser einen ziemlich miesen Job geleistet hatte und am Ende nicht einmal gemerkt hatte, als das Halbblut am frühen Morgen wieder ausgebüxt war? Weil dieser nicht einmal auf die Idee gekommen war, ihn in irgendeiner Weise zu kontaktieren? Sich in irgendeiner Weise darum gekümmert hatte, was danach passiert war? Sich in irgendeiner Weise darum geschert hatte, was mit ihm passiert war, wo er hingegangen war, ob er noch lebte? Ah, vielleicht war es ja auch ein Hauch von Wut, nicht von Nervosität? Gefühle schienen Heute, gerade, zumindest eine komplizierte Sache zu sein. Erneut ein tiefer, langer Luftzug - und der Halbrusse entschied sich mit dieser Geste nun auch von den Gedanken, den Gefühlen, die ihn gerade so verwirrten, abzulassen. Er wollte damit aufhören, sich wegen Dingen verrückt zu machen - auch wenn es natürlich absolut okay war, über diese nachzudenken. Bloß.. gab es einen Punkt, an dem es zuviel wurde und er damit begann, an sich Selbst und alle um ihn herum zu zweifeln. Bullshit. Es reichte. Es gab sowieso nie eine richtige, hundertprozentige, absolut perfekte Lösung - also anstatt sich den Kopf zu zerbrechen, wieso nicht einfach leben und sich erst um Fehler sorgen, wenn es welche gab, die man zu berichtigen hatte? Cedric war schon eine ganze Weile lang im Bad, aber Kyle machte sich deshalb keine Sorgen - erwartete, nein, war sich eigentlich ziemlich sicher in der Vermutung, dass dieser wahrscheinlich reglos unter der Dusche stand, vielleicht hockte, vielleicht auch gar nicht mehr realisierte, dass er eigentlich unter einer Dusche stand. Ein Moment der Ruhe, ein Moment des stillen Existierens, auch, wenn man doch gar nicht mehr existieren wollte. Es machte vielleicht von Außen hin keinen Sinn, aber irgendwie, da machte es das doch. Ein Moment, in dem man nicht wirklich fühlen, nicht wirklich leben musste, auch wenn man es dennoch tat - auch wenn man dennoch Zeit schindete. Der Gepiercte war ein wenig überrascht davon, dass außer einer verbeulten Dose, der Inhalt seines Rucksacks den grandiosen Fall tatsächlich komplett unbeschadet überlebt hatte. Cedric ließ sich Zeit, also fing Kyle an, einen Couscoussalat zuzubereiten und ein paar Nuggies in den Ofen zu tun - hey, vielleicht würde das aufrechterhalten der Tradition den Jungen ja ein wenig erheitern? Er stellte die Sachen auf den Wohnzimmertisch ab, nahm sich ein Glas aus dem Schrank, zusammen mit ein paar Alkoholsorten und mixte sich in der Küche kurzerhand einen schnellen Cocktail. Betrunken zu sein wäre gerade keine gute Entscheidung, natürlich - das war aber ja auch nicht sein Plan. Aber gegen ein wenig Alkohol im Blut war ja nichts auszusetzen, okay?