Gaius & Tori
Ah. Das alles war wirklich, wirklich anstrengend. Und mit jeder Minute, nein jeder Sekunde, die verging, schien dieser Fakt für Gaius offensichtlicher zu werden und er war sich nicht sicher, ob es das auch für Tori wurde. Nicht, dass er gerade allzu viele Gedanken an Tori verschwenden konnte - also, doch, das tat er und wie er es tat, war sie doch eine der wenigen Dinge, die zentral in seinem Verstand hausten. Aber es war eine innere Fixierung, Konzentration, die er ihr gegenüber teilte und nur herzlich wenig, was mit der Außenwelt, der jetzigen, vor ihm sitzenden Tori und ihren gezeigten Emotionen, ihren Aktionen und Mimiken zu tun hatte. Es war noch immer alles verschwommen, alles fühlte sich wie in einem Traum an, bloß, dass dies keinem normalen, angenehmen Traum glich. Es war auch kein Alptraum, schien irgendwie fast eine abstruse, merkwürdige Kombination aus beiden zu sein, etwas, was sich irgendwo in jener Mitte befand, unergründlich, aber gleichzeitig auch da. Passend war es, dass sich auch der Griff um seine Hand fern, kaum vorhanden anfühlte - etwas, was mit der Logik eines Traumes übereinstimmte. Der Schmied versuchte sich auf das zarte, runde Gesicht seiner Freundin zu konzentrieren, sich an irgendetwas daran festzuhalten, nicht physisch, aber sich zu ankern, doch gelingen tat ihm das nur wenig. Er hörte was sie sagte, hörte ihre Worte, doch registrieren, wirklich ankommen - auch das tat herzlich wenig. Wenn er eine Frage diesbezüglich hätte beantworten müssen, so hätte er berichten können, dass sie gesprochen hatte, womöglich seinen Namen ausgesprochen - doch was hatte sich noch in ihren Worten befunden? Sie hallten in seinem Kopf mehrfach nach und dennoch kamen sie nicht an. Sie stand plötzlich auf, die Frau, eine Aktion, die ihn ein wenig irritierte, wenn dies in seinem momentanen Zustand denn überhaupt so möglich war. Die Option des Zwergs, sich auf das Gesicht der Bebrillten zu konzentrieren, verschwand somit schnell und er wusste nicht, was sie gerade stattdessen nun machte oder ob sie sich überhaupt noch im selben Raum befand, aber es kümmerte ihn auch nicht wirklich. Nicht sehr, zumindest. Nun nichts mehr vor sich habend wurde Gaius die Aussicht, die vielen Gegenstände, die sich im Raum befanden und die er alle in ihrer verworrenen Form nicht wahrnehmen konnte, zuviel, zu irritierend. Es war ätzend. Der Einäugige ließ den Kopf sinken, stütze ihn auf seiner Hand ab und schloss das Auge. Er vernahm Schritte, Tori schien wieder zurück gekehrt zu sein, auch wenn er gar nicht einschätzen konnte, wie lange sie denn überhaupt verschwunden gewesen war. Sie fing an zu reden, sie sprach und noch immer kamen bloß Fetzen bei ihm an, um die er sich nicht genug scherte, nicht genug Mühe aufbringen wollte, um sie in einen Kontext, in gewisse Logik zu packen und zu verstehen. Die Schmiede. Sie sagte irgendwas von der Schmiede und er hatte absolut keine Ahnung, aus welchem Grund sie diese gerade aufbringen würde, was sie damit hätte sagen wollen. Wollte sie dass er ging? Das machte Sinn, nicht? Wie lange war er schon hier? Drängte er sich denn nicht furchtbar auf? Tori musste ihn schon lange satt haben, war er nicht furchtbar anstrengend? Hatte sie nicht eben erst einen Teil seiner Vergangenheit erfahren? Er hatte sehen können, gemerkt, dass er ein mulmiges Gefühl in ihr ausgelöst hatte. Er wusste nicht, woran er es erkannt hatte, war er doch schlecht mit dem Deuten anderer Lebewesen - doch er hatte es, dieses eine Mal, mit Sicherheit - erkannt. Hah.. er war genervt. Er war so furchtbar und tierisch genervt. Ihre ersten Worte waren noch immer nicht ganz bei ihm angekommen und trotzdem sprach sie weiter. Erwartete sie eine Antwort von ihm? Wieso erwartete sie soviel? Zwang ihm soviel ab? Es war mühselig. Wirklich, wirklich anstrengend. Was an seiner bisherigen Verhaltensweise hatte in ihr die Annahme erweckt, dass sie ihn so zumüllen konnte? Dass er ihr groß antworten würde? Gaius, der noch immer in derselben Position verharrte, entkam ein kleines, für ihn untypisch klingendes Lachen. Es machte wenig Sinn zu lachen, erst Recht aus Toris Perspektive - aber es war irgendwie doch amüsant, belustigend? Sie sprach von Verlassen, dass er es ja nicht wagen sollte, der Inhalt ihrer Aussagen widersprach sich. Wieso bewegte sie sich so viel? Forderte soviel von ihm ab? Er war müde, so unheimlich erschöpft und müde und sie ließ einfach nicht ab, beharrte darauf, dass er reagierte, in irgendeiner Weise. Er wollte schlafen, sich hinlegen - hatte sich an ihre Schulter lehnen wollen, für eine Weile, von ihm aus auch für immer, wollte ein wenig Ruhe haben, an Toris Seite. Doch sie schien nicht zu begreifen und es nervte ihn, nervte ihn so sehr, dass ihm diese Vorstellung inzwischen wieder missfiel und er sogar etwas wütend darüber, dass sie, nach ihrem plötzlichen Verschwinden, wieder aufgetaucht war. Wieso? Um ihn weiter zu quälen? Zu sagen, dass er sie niemals verlassen sollte, eine Unsicherheit, die er ausgesprochen hatte, für welche es jedoch nie Andeutungen gegeben hatte? War er nicht derjenige gewesen, der bisher immer da gewesen war, wenn sie ihn gebraucht hatte? Sein Leben für sie riskiert? Während sie nicht einmal in der Lage war, ihn zu finden, gerade, wo er doch genau vor ihr saß? Sie tat das alles, nur um ihm zu sagen, dass sie ihn liebte? Sie - ... eh? Gaius öffnete sein Auge, begann sich zu regen, hob diffus seinen Kopf an, suchte die Höhe, die er brauchte, um dieselbe, wie Toris zu haben und als er diese gefunden hatte, suchte seine Pupille, ein wenig um sich herspringend, das Gesicht der Frau, ihre eigenen Augen, bis es ihm sie zu finden gelang. Verblüffung lag in seinen Augen, sein Mund war ein Stück weit geöffnet, wortlos und seine Mimik bis auf diese beiden Kuriositäten noch immer absolut empathielos. Ihre Fragen waren nie bei ihm angekommen, waren nie beantwortet worden. Es hatte lange gedauert, bis ihr erster Satz es überhaupt getan hatte und nun war es eine andere Art von Verwirrung, die sich in die bisherige mischte, zusammen mit ihr aber gleichzeitig auch ein Hauch von Klarheit. "Du.. liebst.. mich?", wiederholte er ihre Worte, jedes einzelne von ihnen betont, sein Auge fokussierte sich auf die Toris, ein wenig wie ein wildes Tier, welches auf der Lauer lag und jede Muskelbewegung, jede Reaktion seines Gegenübers bedächtig abwartete. Er wirkte noch immer anders, als er es für gewöhnlich tat, wahrscheinlich, doch schien er gerade ein Stück weit mehr im hier und jetzt zu sein. Er suchte nach einer Bestätigung Toris, eindringlich. Es mochte komisch wirken, seine Reaktion - immerhin waren sie nun seit kurzer Zeit zusammen, ein Paar, nicht? War er es nicht gewesen, der sie gefragt hatte, ob das hier, das zwischen ihnen, Liebe war? Es war irgendwo offensichtlich, dass beide starke Dinge füreinander empfanden, doch.. es war etwas anderes, wenn die Maid es so direkt aussprach. Zum aller ersten Mal. Ihm sagte, dass sie ihn liebte. "Ich glaube nicht, dass das schon jemals irgendwer zuvor getan hat.." Eine nüchterne Aussage, ein Fakt, den der Schmied aussprach, so makaber es im ersten Moment auch wirken mochte. Wer hätte dies denn auch tun sollen. Leo? Der Mann, der ihn als Kind aufgenommen und großgezogen hatte? Nein, für ihn waren die Bewohner der Schmiede bloß billige Hilfskräfte. Seine Mitbewohner? Wie viele Worte hatte er mit jenen bisher denn überhaupt gewechselt? Seine Eltern, vor ihrem Tod? Mit Nichten. Absurd, absolut lächerlich. Es hatte Niemanden gegeben, Niemanden, der sich bisher auch nur ansatzweise für ihn interessiert hatte. Und nun sprach hier Jemand von Liebe? In seinem Auge war zu erkennen, dass er diese Aussage ein wenig anzweifelte, es ihm schwer fiel, diese bedeutenden Worte als das hinzunehmen, was sie waren. Hatte Tori selbst überhaupt realisiert, was sie da gesagt hatte? "...Warum?", fragte er schließlich, leise, bedächtig. Nicht, um Tori zu beleidigen, um die junge Dame zu verletzten. Auch, wenn in seinem Blick ein Hauch von Misstrauen zu erkennen war, so konnte man gleichzeitig auch den kleinen Jungen in diesen erkennen, der zu verstehen versuchte, von der Abstrusität dieser Aussage absolut verwirrt. Seine Pupille huschte minimal zur Seite. Wollte er ihr glauben? Es war gut möglich. Aber wie konnte er, wenn er es einfach nicht verstand? Wenn sie nicht erklärte? Wieso? Weshalb? Wieso liebte sie ihn? Diesen Mann, der bis vor wenigen Sekunden noch so unglaublich genervt von ihr gewesen, so schlecht von ihr gedacht hatte? Hatte sie gestottert? Hatte sie nicht, oder? Also musste diese Aussage wichtig, die Wahrheit gewesen sein? Oder hatte sie es doch? Er konnte sich nicht erinnern, der Versuch allein, darüber nachzudenken, ließ das starke Gefühl der verschwommenen Welt zurückkehren, löste in ihm aus, dass er kurz das Gesicht verzog, so, als ob er einen leichten Schmerz verspürt hatte, weshalb er sich wieder auf die Frau vor sich konzentrierte. Er brauchte eine Antwort. Musste es wissen. Würden die Dinge dann mehr Sinn ergeben? Würden sie es weniger tun? Würde sie ihn hassen, allein deshalb, weil er zweifelte? Aber würde das die Worte dann nicht wiederum als Lüge entlarven? Wieso? Wieso liebte sie ihn? Sie sollte es ihm sagen. Jetzt, sofort.