Ein klarer Messerstich war es, nein, mehr als nur ein einziger. Tief und klaffend, ein Bringer der Schmerzen. Ein jedes ihrer Worte, allein die bloße Präsenz stach zu, unaufhörlich, immer und immer wieder. Ohne sich eines Wortes zu bedienen wandte Raven sich von dem Fräulein ab, mit welchem sie ihre einstige - vielleicht noch existente - Liebe erwischt hatte. Die kalte Schulter sollte es sein, ihren Anblick empfand die Schmiedin als störend, eine Komponente, die zu jenem Moment einfach nicht an Ort und Stelle sein sollte. Augenblicklich wirbelte die Rothaarige zu dem Blonden um, starrte ihn stillschweigend in die marineblauen Augen. Wieder stach das erbarmungslose Messer zu. Zögerlich biss sie sich auf die Lippen, zog die Augenbrauen zusammen. Sie wartete, wartete auf eine Antwort. Das war alles, mehr verlangte sie doch nicht - Waren die Erwartungen dennoch zu viel? Erneut erfolgte eine Wunde. Er öffnete sein Mundwerk, etwas hastig, schlug einen ernsten Ton an. Ein ernster Ton, huh? Abermals veränderte sich der Gesichtsausdruck der jungen Dame, jenes eiskalte, erstarrte Gesicht nahm auf einmal eine kaum deutbare Form an, vereinte sämtliche Emotionen, die sich sonst nur unter einem felsenfesten Mantel versteckt hielten: Ein wenig Trauer, eine offensichtlich große Enttäuschung, die Ratlosigkeit, peitschende Wut, auch ein gewisser Anteil an absoluter Abscheu spiegelte sich in den zarten Zügen wieder. Sie wartete, wartete auf eine Antwort. Eine Antwort? Die bekam sie nicht. Ein tiefer Atemzug. »Du hast auch nichts besseres zu tun, oder?!«, fiel das Halbmonster ihrer männlichen Bekanntschaft lauthals, empört ins Wort, festigte zeitgleich die zittrigen Fäuste. Man verschwieg ihr eine erlösende Antwort, ignorierte die zerfressenden, zermürbenden Fragen, die Qualen, welche über ihnen prangten... All dies, um stattdessen sie in Schutz zu nehmen..? Langsam begann die Schmiedin ihr Haupt zu schütteln, abgeneigt, entrüstet, ablehnend - Ja, so war es wohl. Eines Tages war er spurlos verschwunden, ohne ein Wort des Abschiedes, ohne eine Ankündigung, ließ zurück nur mehr eine Stille, ein Vakuum voller Fragen, denen er nun ganz ungalant auswich. Ihre Welt wurde Schritt für Schritt eingenommen, angenagt, Illusionen und Lügen, welche sie sich unterbewusst selbst einredete, gewannen die Überhand. Sie vereinten sich, verschmolzen.
»Sag mir doch einfach nur, warum...«, in einem deutlich leiseren, sanfteren Tone setzte Raven zum Worte an, vermied den Blickkontakt zu ihrem Gesprächspartner... War es Furcht? Instinkt? Tatsache ist, dass der Phönix seine Forderung letzten Endes nicht ausformulieren konnte, meldete sich doch allen ernstes noch die eingeschüchterte Maus mit Namen zu Cecilia zurück. Zaghaft, vielleicht ein wenig überrascht oder angenervt wirbelte die Rothaarige um und sah besagte Elfe an. Der dünne Leib dieser bibberte, bebte, auch in ihrer Stimme spiegelten sich diese Beobachtungen wieder. Die Zeit verging nur stockend, als stünde sie still und dennoch bildete sich ein Hauch von Schnelle in der Luft, als würden sämtliche Ereignisse schlag auf schlag folgen: Schreiend verkündete die Bedienstete, dass das Fass übergelaufen sei, nahm anschließend Reißaus und verschwand in der Menschenmenge. Weg. Weg war sie, der Störenfried. Raven schwieg, ihre Züge veränderten sich nicht. Sicherlich hätte ihr die Überraschung dick und fett auf der Stirn stehen sollen, vielleicht wäre es auch ratsam gewesen, der Dame lauthals den Namen hinterherzurufen, vielleicht hätte man sie stoppen sollen, vielleicht... Aber sie tat es nicht. Für einen kurzen Augenblick schloss die Langhaarige die schweren Lieder, schluckte, ehe sie dem Herren neben sich einen knappen Blick zuwarf - Wie reagierte er? Ob er seine (ehemalige?) Freundin dafür anschreien würde? Ob er sich in all den Jahren der Ungewissheit so sehr verändert hatte? Bestimmt würde er ihr hinterherlaufen, es war immerhin Micah, der trottelige, fürsorgliche Sonnenschein, der Raven schon in der Vergangenheit ans Herz gewachsen ist. Etwas entmutigt senkte die Blauäugige ihr Haupt, wollte so viel sagen, brachte dennoch kein Wort, keine einzige Silbe zustande.
Nach einigen Sekunden des angespannten Schweigens wandte das Halbmonster sich dem anderen abermals zu, seufzte. »Wir reden ein anderes Mal weiter«, schroff war ihre Tonlage, ein melancholischer Unterton hatte seine Finger im Spiel. Es hatte keinen Sinn ihn hier und jetzt in die Enge zu treiben, ihn gnadenlos auszufragen... Vielleicht, nein, hoffentlich würde das nächste Treffen unter idyllischeren Umständen stattfinden. Ihr Zorn bestand noch immer, würde auch noch weiterhin bestehen. »Ich erwarte Antworten« Erneut senkte sie ihr Haupt, begann in eine willkürlich gewählte Richtung zu gehen, mit jedem Schritte nahm ihr Tempo zu, laufen, rennen, rasen. Sie würde warten müssen. Sie würde auf bessere Gegebenheiten hoffen müssen.
Mit dem dezenten, ein wenig spielerischen Lächeln entgegnete das junge Fräulein seinem Gegenüber, einem generösen Spender, welcher ihr wohl den Tag gerettet hatte. Tatsächlich knickte jenes stets aufgesetzte Grinsen jedoch für den Bruchteil einer Sekunde ein, schief, unansehnlich, gepaart mit einem überraschten Schlag mit den Wimpern. Iris drehte ihren Kopf leicht zur Seite, ließ den Blick nicht von dem Rotschopf ab, als wolle sie etwas hinterfragen, nicht weiter wissen. Auf ihre Frage nach dem Anlass des Geschenkes begegnete der Herr lediglich mit weiteren Fragen - Trieb da jemand etwa ihr eigenes, kleines Spielchen mit ihr? Erneut blinzelte die Blonde ihren Gesprächspartner an, faltete die Hände locker vor dem Brustkorb zusammen, spielte mit den blassen Fingerchen. Wahrlich ein hervorragender Konter! Gedanklich erfolgte ein zufriedenes Nicken: Ja, ja, diese rein aus Spontanität entstandene Bekanntschaft hatte das Potenzial ihr Interesse zu erwecken - Nicht, dass Menschen als solche gänzlich uninteressant waren, nein, viel mehr gab es unter ihnen hin und wieder ein paar wenige, welche mit ihrem Verhalten aus der Reihe tanzten, anziehend waren. »Eine durchaus gute Persönlichkeit, die ein bisschen zu viel Geld in ihren Taschen hat, huh?«, flüchteten die leisen Worte ihrer Kehle, mehr eine Anmerkung an das nicht existente Notizbuch der Gedankenwelt, als eine tatsächliche Frage, die an den Rotschopf ging.
Anschließend enthüllte ebenjener seinen Namen, forderte den ihrigen. Blanche zog unwissend eine hellblonde Augenbraue in die Höhe, ließ zugleich eine Periode des Schweigens zu. Ihr Name? Was hatte ein Name schon zu bedeuten? Was konnte er dem Fremden, oder auch Kyle, geben? Sicher, sie hatte zuerst nach dem seinigen gefragt, wollte der Kategorie "Rotschopf" einen besseren, passenderen Titel schenken - Doch ob es auf seiner Seite gleich war? Augenblicklich ließ Iris eine Hand neben den Kopf schweifen, deutete mit dem Zeigefinger demonstrierend auf sich selbst und zwinkerte dem jungen Mann zu, streckte schelmisch die rosarote Zunge aus, »Ach, ich weiß nicht. Es wäre doch allzu langweilig, würde ich dir meinen Namen einfach so nennen, nicht wahr?« Tatsache ist, dass das Fräulein keineswegs die Absicht hatte, sich ihrem Beobachtungsobjekt so schnell vorzustellen, viel lieber testete sie doch die Grenzen aus - Toleranz war schließlich auch eine nicht ganz zu vernachlässigende Information, nicht wahr?
Kyle jedoch ging nicht weiter auf die neckischen Spielchen der Blonden ein, stellte anstelle dessen doch weitaus lieber eine allem Anschein nach willkürliche Frage in den offenen Raum. »Die Schmiede..?«, unsicher nahm die weiße Iris wiederholend die Worte des Braunäugigen in den Mund, führte den soeben gerührten Zeigefinger nachdenklich zu ihren rosigen Lippen. Sie hatte zuvor noch keine Gelegenheit gehabt, Trampoli zu erkunden, war sie doch lediglich aus einer Reihe von Zufällen auf die Idee gekommen, sich dort niederzulassen - Entsprechend bot die Einladung des Gesprächspartners eine perfekte Chance, um dem zu tun. Aber eine Schmiede? Kichern. »Du scheinst einen merkwürdigen Geschmack zu haben« Auf der Ferse drehte die Vampirdame sich zur Seite, warf einen knappen Blick in den düsteren Sternenhimmel, der sich zu jener Zeit offenbarte. Eine Schmiede war mitnichten der ideale Ort, um erheiternde Konversationen zu führen, eher ein Gebäude, in dem man sich Waffen holen könnte, um sich selbst mit dem Blut zahlreicher Monster beflecken zu können, aber... Aus den Augenwinkeln beobachtete Iris den Rotschopf, sowie seinen stillen Gefährten, »Ich werde da sein!«
Nachdem er schließlich seine Antwort erhalten hatte, wandte Kyle sich genau jenem zu, reichte ihm einen geringen Anteil seiner frisch gekauften Lebensmittel. "Azel", dies war der Name, mit dem man den Blauäugigen vorstellte. »Sehr erfreut«, nahezu zeitgleich erfolgte eine angedeutete Verbeugung, betreut durch das übliche Lächeln. Zugegeben, die junge Dame wusste nicht so recht, wie sie den schweigenden Kameraden einzuordnen hatte, genau genommen besaß sie schließlich kein Wissen über ihn - Umso mehr war jedoch ihre hungrige Neugier geweckt, wusste man etwas nicht, galt es immerhin möglichst viel darüber in Erfahrung zu bringen nicht? Letztlich verabschiedete der Rothaarige wie angekündigt, verschwand bei Ausgabe der erleuchtenden Fackeln in der Menschenmenge und ließ seine beiden Bekanntschaften alleine zurück. »Nun... Wird sich der Herr ebenfalls blicken lassen?«