[Sherry] & Alice und Noita & Majo im Schloss der Hexenprinzessin
Große, ängstliche Augen schauten sie an. "Was willst du von mir?" Das Zittern in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Tja, dachte sie, das erfährst du noch früh genug! Sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, sie erinnerte Sherry an ein scheues Reh, welches man gewaltsam aus seiner natürlichen Umgebung gerissen und, ja, in einen kleinen Käfig gesperrt hatte. Oh, M-moment mal? Genau das war ihr ja passiert! Ha, aber was soll man sagen; allen Anscheins war die schwere Eingangstür niemals verschlossen gewesen - aber dazu später mehr -Alice hätte also jederzeit, also reintheoretisch, wenn die Hexe sie gelassen hätte, tatsächlich abhauen können! Aber jetzt, wo sie erfahren hatte, was da im Bauch der Kleinen reifte, sollte sie doch der Teufel (oder Majo höchstpersönlich) holen - sie würde sie nicht mehr gehen lassen! Niemals, nur über ihre Leiche! Ha!
Hochkonzentriert suchte die Hexen in den Büchern nach einer Antwort, so konnte sie auch die ersten beiden Fragen der jungen Blonden gekonnt ignorieren. Als sie jedoch sagte "Ich war.. niemals in Gefahr!" erfüllte plötzlich brüllendes Gelächter den Raum. "Tatsächlich?", sie schaute von ihren Büchern hoch. "Das bezweifel' ich ...", ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, wie die einer aufmerksamen Katze, die ihre Beute inspizierte. "Dann wärst du jetzt nicht in anderen Umständen, oder?" Danach wich jegliche Verkrampfung, was manch' andere auch als 'Lächeln' bezeichnen würden, aus ihrem Gesicht. Arme Alice, ihr bishergies Leben musste dem eines Trauerspiels gleichen. Die Traurigkeit, diese tiefe, grausame Traurigkeit, entsprang nicht nur von der erzwungenen Zeugung dieses Dings, nein. Es kam, es triefte förmlich aus jeder Pore, aus jeder Zelle ihres Körpers und Sherry-? Sherry labte sich daran, sie labte sich an dieser, an dieser abgrundtief tiefen Traurigkeit dieser verlorenen Seele, dieser verlorenen Seele namens Alice. Sie öffnete die Augen, unbewusst dessen, dass sie sie jemals geschlossen hatte, und erblickte sie, erblickte Alice. Ihre Augen waren größer - sofern das noch möglich war - und blickten sie ängstlich an. W-was? Sie hatte die Hände schützend vor dem Bauch gelegt. Ob sie ihm - ihrem Baby - etwas getan hätte? Sie? Sherry öffnete den Mund, sie wollte gerade etwas sagen, als plötzlich ...
... als plötzlich die schwere Eingangstür geöffnet wurde. Und plötzlich wichen sämtliche Züge aus ihrem Gesicht. "Sie sind hier." Eine Feststellung. Eine Tatsache. Verdammt. Sie waren viel zu früh dran. Viel zu früh. Sherry verschwand - allmählich - im Schatten, Stück für Stück, ganz automatisch im Schatten ihres dunklen, in die Jahre gekommenden Schlosses. Es war also kein Streich ihrer eingerosteten Fantasie, sie war wirklich hier gewesen. War sie so mächtig? Was war passiert während ihrer Abwesenheit? Oder war es nur Zufall? So viele Fragen. So wenig Antworten. Die beiden Eindringlinge erreichten die Lobby, die Empfangshalle des Schlosses der Hexenprinzessin und erblickten sie, das Häuflein Elend namens Alice. Sofort begab sie sich in die vermeintliche Zuflucht der beiden bekannten Gesichter. Majo & Noita.
Noita. Ein Name, der ihr ein Schauer des Abschaums über die Haut jagte. Ein Name der ihr Herz kurz schneller schlagen ließ und sie mit Ehrfurcht erfüllte, nein, nein, NEIN! Das konnte nicht sein! Sie hatte ihr den Rücken zugewandt und trotzdem spürte sie sie. Diese Augen ... diese roten, wehmutsvollen Augen. Sie spürte sie, wie sie sich in ihren Nacken, in ihr Inneres bohrten. Verdammt. Sie erinnerte sich, sie erinnerte sich genau, wie die kleine Hand, die kleine Hand Noitas ihren Rocksaum verzweifelt ergriff. Und sie hörte sie sagen: "Mama?" Mama? Diese verzweifelte Frage: wo willst du hin? Nimmst du mich mit? Lass mich nicht alleine! Es lag so viel in diesem kleinen Wort: Mama. Soviel Sehnsucht. Soviel Liebe. Aber Sherry konnte sie nicht erwidern. Sie konnte es nicht. Sie hatte es versucht. Wahrlich versucht. Sie hatte es für Michael versucht. Sie hatte es für Noita versucht. Wahr. Wirklich wahr. Sie hatte es gewollt und doch, war sie bitter gescheitert. Es entsprach nicht ihrer Natur. O-Oder? Ihrer grausamen Natur. Der Natur der Hexenprinzessin.
Und dann? Dann erklang sie, die Stimme Majos. Sherry horchte auf. W-was? "Das sollte sie lieber nicht tun", bluffte sie. Gehen. Alice musste hier bleiben. Um jeden Preis. Ein Teil ihres Gesichtes blitzte im Schatten auf. Der Theatralik wegen! Vielleicht hatte sie sie ja verzaubert? Vielleicht hatte sie das, was in Alice' Bauch wuchs, verzaubert? Wer würde das Risiko eingehen?! Niemals die friedliebenden Wesen der beiden Möchtegern-Hexen, o-oder? Sherry jedenfalls hoffte darauf. Wer weiß, vielleicht hatte sie sie wirklich verhext? Anfangs hatte sie Alice ja auch gar nicht mitnehmen wollen und trotz dessen war sie hier. Hier, im Schloss der Hexenprinzessin.
Sherry trat langsam aus dem Schatten, sie schaute Majo an. Standhaft. Sie war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Unglaublich. Niemand könnte ihr die Verwandschaft abschätzig reden. Niemand. "Natürlich hätte ich aufgeräumt", sagte sie, "wenn ich hohen Besuch erwartet hätte. Aber ihr seid nicht mal den Dreck und Staub würdig auf dem ihr wandelt." Sie legte das Buch, welches sie ebend durchgeblättert hatte zurück in die Kiste. Sie wartete lieber erstmal ab, mal sehen, wie sich die anderen verhielten. Sherry versuche sich für alles zu wappnen.