[Kyle] & Bianca vor dem Wachposten
Kurz zuckte er zusammen, als die Adelige ihn anfuhr. Die Wut war dem Schreck gewichen, wobei er nicht wirklich wusste, warum er sich so erschreckt hatte. Schließlich war es nicht gerade ungewöhnlich für Bianca, mal etwas lauter zu werden. Vermutlich lag es daran, dass sie die ganze Zeit bis jetzt so leise gewesen war und jetzt von einer Sekunde auf die andere ausgebrochen war. Was sein Herz jedoch wirklich dazu brachte, ihm in die Hose zu sinken, war der Inhalt ihres Ausbruchs. Er konnte sich denken, was sie meinte, als sie das Wort "zusammen" verwendete. Sie hatten schließlich die ganze Zeit um die Gefühle des anderen und sich selbst herumgetanzt, eben gerade weil keiner der beiden wirklich aussprechen wollten, warum sie sich verhielten, wie sie es taten, und was es für sie bedeutete. Doch Bianca hatte diese Barriere gerade gebrochen, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Naja, keine Überraschung. Mit dem Herumgetänzle konnte er ja auch schon nicht besonders gut umgehen. Noch bevor er auch nur den Ansatz einer Antwort formulieren konnte, wurden die intensiven Augen der Blauhaarigen glasig, ließen sogar eine Träne frei, bevor sie den Blick gen Boden wandte. Es versetzte ihm einen Stich ins Herz. So sehr sie sich auch fetzten und ankeiften, er konnte sie noch nie weinen sehen, wusste nicht ansatzweise, wie er sie dazu bringen konnte, damit aufzuhören. Verdammt, schrei mich lieber an! , hätte er ihr am liebsten zugerufen, aber der Knoten in seinem Hals ließ ihn nicht. Tief musste er schlucken, damit er überhaupt wieder das Gefühl hatte, wieder atmen zu können. Das hatte sie also gemeint mit ihrer Familie. Dass sie sich nicht aussuchen konnte, wen sie als ihren Partner nehmen konnte. Es ging nicht um eine Bekanntschaft, sondern eine Partnerschaft, auch, wenn ihm diese Realisation immer noch irgendwie fremd in seinem Kopf schien. Jetzt, wo Bianca so aufgelöst vor ihm stand, konnte er es nicht mehr ignorieren. Die ganze verschleierte Sprache, über die er weder nachdenken noch verstehen wollte, war zu einer klaren Aussage geworden, die ihm so hart an den Schädel geworfen wurde, dass selbst er nicht wegschauen konnte. Sollte das heißen, dass sie sich tatsächlich für ihn entscheiden würde, wenn sie die Wahl hätte? Der Gedanke daran, hinterließ ein mulmiges Gefühl. Er wollte nicht zulassen, dass ihn diese Wahrscheinlichkeit freuen könnte, konnte die erhöhte Anzahl seiner Herzschläge allerdings auch nicht so herunterschrauben, dass er sich von einer Gleichgültigkeit überzeugen konnte. Und auch, wenn diese Frage so auf seiner Zunge brannte, konnte er sie nicht aussprechen. Was, wenn diese Frage wieder so dumm war, dass sie nur noch mehr wegen ihm weinen würde? Stattdessen trat er langsam an sie heran und blickte ihr wohl zum ersten Mal an diesem Tag direkt in die Augen, ohne den Blick wieder anzuwenden und legte ihr eine Hand sanft auf die Schulter. "Tut mir Leid" In diesem Moment entschuldigte er sich innerlich für alles, wofür er noch nie Worte gefunden hatte. Für seine Begriffsstutzigkeit, seine Vergangenheit, die ihm jegliches Vertrauen genommen hatte, jemals wieder so etwas wie erfüllendes Glück und aufrichtige Liebe zu finden, und ihre Gegenwart, die ihr die Möglichkeit nahmen, diese Dinge für sich erfüllen zu können, obwohl sie es wollte. Er verkniff sich den sarkastischen Kommentar, dass die beiden doch sowieso nur miteinander streiten würden, selbst wenn ihre Familie es erlauben würde, zusammen zu sein, und war einfach nur da.