[Tara] bei Marlin
Keine wirklichen Informationen gab er Preis. Abgesehen davon, dass die Begegnung anscheinend echt nicht gut gelaufen war. Es war ihr anfangs nicht wirklich aufgefallen, als starr vor Angst war, aber die Wortkargheit frustrierte sie doch ein wenig. Nicht, dass es etwas bringen würde, wenn sie dies aussprach. Der Mann vor ihr schien sich im Moment zwar nicht besonders antagonistisch ihr gegenüber zu verhalten, aber sie war sich immer noch sicher, dass er sich nicht wirklich darum kümmerte, was sie wollte, was sie brauchte. Wenn er das tun würde, wäre er nicht gegangen. Mit einem zusammengepressten Lächeln musterte sie ihren Vater. Seinen schiefen Mundwinkeln nach zu urteilen fand er die Annahme, dass sie sich verstehen also genauso absurd wie sie seine Annahme von vorhin, dass sie sich gut mit ihrer Mutter verstand. Es waren nicht viele Worte, die sie miteinander gewechselt hatten, und doch sagten diese paar kleinen und kurzgebundenen Fragen so viel über ihre Familiendynamik aus. Wenn man das überhaupt so nennen konnte. Sie sagte nichts, als er sie dazu aufforderte, zu warten. Zu schnell war er nach seiner Aussage auch schon weg, verschwand in einem Gewächshaus. Für einen Moment stand Tara einfach nur sprachlos da, bis er mit einer Zigarette und einem Getränk wieder auf sie zu kam. Diesmal war die Atmosphäre viel entspannter, wenn auch immer noch distanziert, als vor ein paar Minuten. Musste er jetzt wirklich unbedingt eine rauchen? Sie konnte sich nicht mal daran erinnern, dass er irgendwann mal vor ihr eine Zigarette geraucht hatte. Andererseits konnte sie die Momente, in denen er tatsächlich anwesend war und sie nicht nur seine Stimme vom oberen Stockwerk aus gehört hatte vermutlich auch an einer Hand abzählen. Sie musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie ihn eigentlich gar nicht kannte. Sie hatte zwar ein starkes Bild von ihm, einen starken Eindruck, ein Gefühl dafür, was für eine Art Mensch er war, aber sie kannte ihn kein Stück. Wusste nicht, was er mochte, was er nicht mochte - naja gut, die Familie, an die er ganz offensichtlich unwillig gebunden war, mochte er nicht - und was er mit seinem Leben machen wollte. Doch wollte sie das überhaupt? Wissen, was für ein Mensch da vor ihr stand. Was für ein Mensch sie und ihre Mutter sich selbst überlassen hatte. Ihre Bitterkeit sagte nein, jedoch gab es immer noch einen kleinen Teil in ihr, der es auf einmal wissen wollte. Wenn die Begegnungen schon nicht so emotional aufreibend waren, wie mit ihrer Mutter... gäbe es diese Hoffnung? War es in Ordnung, sich ein kleines bisschen Hoffnung zu machen? Er hielt ihr den Saft hin und sie nahm automatisch die Flasche entgegen. "Ähm, danke", antwortete sie verwirrt. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass er das Getränk für sich mitgebracht hatte und wusste nicht ganz recht, was sie von der Geste halten soll. Bevor sie allerdings ihre Gedanken dazu ordnen konnte, führte er auch schon das Gespräch weiter. Hatte er sich extra deswegen eine Zigarette angezündet, weil es um ihre Mutter ging? Der Gedanke lockte ihr doch ein sanftes Schmunzeln aufs Gesicht. Auch wenn sie sich nicht wirklich sicher war, ob er das Recht hatte, sich darüber zu beschweren. Schließlich gab es einen Grund, warum sie gezeugt wurde. Irgendetwas muss es doch damals gegeben haben, dass nicht so schwierig war. Oder war sie das schon immer? Eigentlich hatte sie auch darüber keine Ahnung. "Naja, irgendetwas muss es gegeben haben, weswegen ihr damals was hattet, oder?" Eine Frage, die vermutlich viel zu persönlich war, und sie schon kurzer Zeit nachdem sie sie ausgesprochen hatte, bereute. Ugh, eigentlich wollte sie wirklich nichts über das frühere Beziehungsleben ihrer Eltern wissen. Doch sie konnte nicht anders als skeptisch über den Kommentar von Marlin sein. Schließlich fand sie, waren beide ziemlich schwierig. Ihre Mutter schien zu viele Emotionen zu haben, ihr Vater zu wenige. Und beides war für sie einschüchternd. Doch sie musste auch zugeben, dass sie schon lange nicht mehr so viel an einem Stück mit ihrer Mutter geredet hatte, wie eben gerade mit ihrem wiedergekehrtem Vater. Vielleicht sind wir auch einfach nur alle drei zusammen schwierig, dachte sie sich, als sie bemerkte, wie zwiegespalten sie selbst eigentlich war. Es war alles zu kompliziert. Und irgendetwas sagte ihr, dass das Auftauchen ihres Vaters die Dinge kein bisschen einfacher machen würden.