[Cedric] & Alessa
Es war schwierig mit dieser Art von Ablehnung umzugehen. Die Distanz, der kühle Blick, eine Vorsicht die in Misstrauen überging. Cedric konnte es ihr nicht verdenken. Als jemand, der selbst jeder scheinbar guten Wendung keinen Glauben schenken konnte und die Dinge stets mit einem Übermaß an Skepsis und Vorsicht betrachtete, konnte er seine Schwester da nur allzu gut verstehen. Damit teilten sie also wohl doch die ein oder andere Eigenschaft.
Das bedeutete jedoch nicht, dass es nicht verdammt weh tat.
So kalt, so unnahbar. Als würde es sie überhaupt nicht interessieren, ob er da war oder nicht. Als ob sein Auftauchen jetzt nur unnötigen ihren Tagesplan durcheinanderbrachte. Als ob sie nicht längst ohne ihn weiter gemacht hätte - wieso auch nicht? Er war ja nicht dagewesen. Das hatte sie selbst gesagt.
Und all das war viel zu nah an der Wahrheit dran. Weil es wahr ist. Reines Pflichtbewusstsein, und damit tut sie schon mehr, als ich je getan habe.
Alessa behielt ihre Einladung jedoch bei und warf ihn - und er hatte das bis zuletzt geglaubt - nicht wieder heraus. Nicht, dass das nicht noch kommen konnte. Wie war das nochmal mit dem Vertrauen fassen?
Sie wandte sich schließlich ab und er folgte ihr in die Küche. Ein Teil von ihm war einfach nur erleichtert, dass er bleiben konnte und doch bewegte er sich umsichtig, als könnte ein falscher Schritt alles zunichte machen. So war es bisher oft genug gewesen, nicht? Eine falsche Entscheidung führte zu der Nächsten, bis sie sich in einer Abwärtsspirale aneinander reihten, die ihn immer tiefer zog. Nicht mehr. Nein, nicht mehr. Damit sollte es mit gestern ein Ende haben, immerhin stand er jetzt hier. Ja, als ob eine einzige weitere Nacht alles ändern würde. Bullshit. Er hatte sich nicht mal bewusst für oder gegen irgendwas entschieden - aber er lebte halt noch und solange das bestand hatte, ging es einfach... weiter.
Cedric nahm das Glas von seiner Schwester entgegen und nuschelte ein leises "Danke.". Dann kam sie auch schon, die unausweichliche Frage, über die er im Grunde gar nicht so genau nachdenken wollte.
"Ich weiß nicht, was mit Simon ist.", erwiderte er wahrheitsgemäß, obwohl das sicher nicht das war, worauf sie abgezielt hatte. 'Kümmer dich doch einfach um deinen eigenen Scheiß, Ced!' "Er ist nicht so gut auf mich zu sprechen.", fügte er hinzu. Eine sanfte Umschreibung, wenn man bedachte, wie ihr letztes Treffen ausgesehen hatte. Schock. Anschuldigungen. Schreie. Und da hatte er noch nicht mal im Ansatz geahnt, was noch alles dahinter steckte. Ced schloss für einen Moment die Augen. Wenn er es recht bedachte, war er auch nicht so gut auf seinen Bruder zu sprechen. Im Gegenteil. Noch etwas, dass er aus der Welt räumen musste, obwohl er sich bei dieser Angelegenheit nicht sicher war, wie das überhaupt möglich sein sollte. Er wusste, er sollte wütend sein, stattdessen fühlte er sich schlicht überwältigt. Vielleicht bekam er das mit der Wut ja noch hin, wenn er aufhörte seine Emotionen zu unterdrücken. Einfach.
"Und ich wurde nicht aus dem Wohnheim geworfen.", widerlegte er und nahm einen großen Schluck Wasser, um Zeit zu schinden. Wie sollte er das nur erklären? Er konnte mit Fug und Recht behaupten, dass er im Wohnheim wohnte, er hatte jedes Recht dazu, er konnte zurück. Nur, dass er es eben nicht konnte. Es gab keinen rationalen Grund. Cedric drehte das Glas in seiner Hand. "Ich-," Ja, was? Fühlte sich alleine, obwohl zig andere Leute anwesend waren? Bekam alleine beim Gedanken an eine Rückkehr Schweißausbrüche? Hatte panische Angst, dass es genau dort weitergehen würde, wo er aufgehört hatte, bevor er auf das verdammte Dach gestiegen war? Wieder in einem ewigen Kreislauf voller Nichts, den er nicht unterbrechen konnte?
Er konnte es nicht. Es ging nicht. Noch nicht, jedenfalls. Nicht so bald. Keine Ahnung.
Er stellte das Glas mit einem leichten Klirr auf der Arbeitsfläche ab, der Inhalt schwappte seicht hin und her. Sein Körper mochte Alessa zugedreht sein, sein Blick hing jedoch auf dem Wasser, welches immer kleinere Kreise zog. Er hielt daran fest, an dem Glas, als könnte es ihm irgendeine Form von Stabilität geben.
"Mir geht's nicht so gut.", sagte er schließlich. Nüchtern. Eine einfache Aussage. Sein Magen verkrampfte sich trotzdem. Eine vage Erklärung und doch eine, die ihm all seine Überwindung kostete. Weniger für Alessa, doch umso mehr für sich selbst, ein Eingeständnis. Mir geht's nicht gut. Es war so unspezifisch und doch gab es keine Worte, die seine Situation, seinen Zustand, besser hätten beschreiben können. Er konnte seine Gedanken darlegen und seine Symptome beschreiben und dennoch gab es keine Erklärung für das warum. Warum er sich so fühlte, warum er so leicht in Panik geriet, warum er sich so häufig nicht aufraffen konnte. Dass ihn selbst Kleinigkeiten aus der Bahn warfen und die Erschöpfung ihn lähmte, wo auch immer sie herkam. Das war nicht normal, konnte es unmöglich sein, trotzdem war es völlig unverständlich, war es das nicht? Er zuckte - äußerst zeitverzögert - mit den Schultern, wie um seine Aussage zu mindern. Mir geht's nicht so gut, aber so schlimm ist es auch nicht. Nur ein Wehwehchen. Gib mir zwei Tage und dann passt das schon wieder. Das und nichts anderes wollte seine Geste bezwecken, weil er schon wieder in die üblichen Muster zurückfiel: Nur ja keine Last für Andere sein zu wollen, es solle sich bloß niemand um ihn sorgen, sie am liebsten von seiner jämmerlichen Präsenz befreien. Alles nicht so schlimm. Andere hatten es viel schlechter. Er musste sich nur einfach mal zusammen reißen. Ced, glaub mir wenn ich dir sage: du hast noch einen langen Weg vor dir.