[Cedric] & Alessa | Küche
Alessa setzte sich zu ihm und bedeutete ihm stumm, sich ebenfalls vom Essen zu nehmen. Cedric reagierte nicht darauf. Der Geruch der fettigen Pizza rebellierte in seinem Magen und er wusste, er würde sowieso keinen Bissen hinunter bekommen.
So gesehen war sein Bauch sowieso bereits gefüllt - mit Angst, Unsicherheit und Nervosität. Angst, weitere Fehler zu begehen, zu viel zu sein, Unsicherheit, ob er wirklich erwünscht war, ob Alessa, ob irgendwer, ihn wollte, wohin das alles führte, Nervosität, nicht absehen zu können was passierte. Nichts davon lag an Alessa und doch war sie ein Teil von vielen seines Lebens, welches aus den Fugen geraten war. Aber es ist nicht mehr leer. Er wusste nicht, ob diese negativ gezeichneten Emotionen wirklich besser waren als die Leere, die ihn bis vor... vor wenigen Tagen der engste Begleiter war, aber er hoffte es. Denn wenn er jene wieder spüren konnte, dann hatten auch positive Empfindungen eine Chance. Und er hatte schon einen flüchtigen Eindruck erhalten, nicht? Ein seltener Frieden, als seine Finger über die Tasten eines weißen Flügels tanzten.
Als seine kleine Schwester das Wort ergriff, fand er es beinahe ironisch, wie sie ihn unbewusst zitierte. Sie wusste es nicht? Oh, das konnte er nur allzugut verstehen. Es war merkwürdig ihr zuzuhören. Nicht nur, weil er sie noch immer als Kind in Erinnerung hatte - ein Kind, welches nie den Rückhalt bekommen hatte, den es brauchte, weil niemand da war. Ein Kind, welches sie nun nicht mehr war. Die Wahrheit glitt als Stich durch sein Herz.
Aber es war auch merkwürdig, weil ihre Worte ihm bekannt vorkamen, als würden sie auch ihm selbst entsprechen. Die normalen Sorgen, nichts verstörendes, nichts traumatisches, nur das was zum Leben halt so dazu gehörte. Das machte sie in keinster Weise weniger belastend. Die Einsamkeit, die einen umgarnte, obwohl man doch alles hatte. Diesmal war es Alessa, die ihn nicht direkt ansah, doch auch Cedric hielt den Blick lose in den Raum gerichtet, das Wasserglas fest in einer Hand und hörte ihr einfach nur zu. Danke, dachte er bei sich, Das du mich lässt.
Vielleicht wäre er früher - wann auch immer früher war - entsetzt gewesen, bei dem Gedanken, dass seine süße kleine Schwester, sich hübsch machte, feierte und... und Dingen nachging, die er als großer Bruder vielleicht wirklich nicht so genau wissen wollte. Allerdings - wer war er, um über irgendwas zu urteilen? Vor allem in ihrer Situation, wenn sich keiner in ihrer Familie um sie kümmerte, warum nicht tun, was man wollte? Sie hatte zumindest versucht die Leere zu füllen. Er wand sich innerlich bei der Vorstellung.
"Ich glaub-,", begann Ced langsam, durchbrach schließlich die Stille, die sich für einen Moment über sie gelegt hatte. Nicht unangenehm nur... Zeit lassend. Zeit, die sie sich endlich füreinander nahmen. "Ich versteh das gut."
Es war seltsam, dass gerade Alessa's Kummer Nähe für ihn erzeugte. Eine traurige Nähe, nichtsdestotrotz ein kleines Stück Verbundenheit. Ihm lag eine erneute Entschuldigung auf den Lippen, dafür dass sie so fühlen musste, dass er sie alleine gelassen hatte, aber er schluckte sie herunter. Das würde in einem ewigen Kreislauf enden, der sie nicht weiterbrachte. Es ließ sich nicht ändern. Nur, wie es für sie beide weitergehen könnte, dass ließe sich entscheiden.
Cedric drängte sich dazu fortzufahren. Wie sollte sie ihm seine Worte glauben, wenn er sich sonst nicht äußerte?
"Ich fühl mich auch einsam.", wisperte er, "Auch wenn ich nicht alleine bin, im Wohnheim voll lauter bekannter Gesichter." Cedric zog die Beine mit auf den Stuhl und umfasste seine Knie. "Nur bin ich selber dran Schuld. Ich hab... Ich hab mich nicht nur von dir zurückgezogen." Es war hart, das zuzugeben. Der Kloß in seinem Hals schwoll erneut an, hinderte ihn daran weiter zu sprechen. Es war nicht so, als wäre das eine bewusste Entscheidung gewesen. Viel eher war sie Hand in Hand gegangen, zusammen mit den Gedanken, die ihm einflüsterten, dass sie ohne ihn besser dran seien, dass niemand ihn wirklich da haben wollte, dass seine Anwesenheit, seine bloße Existenz, für niemanden eine Rolle spielte.
Hör auf. HÖR AUF! Cedric presste die Augen zusammen, vertrieb die Erinnerung, linste schließlich zu seiner Schwester. Simon und er waren damals zum Studieren nach Riverport gezogen, Matze hatte dann dieses Haus für sie erworben. Idiotisch, wie nah sie aneinander wohnen konnten und sich doch so fern waren. Ein Teil von ihm wollte sich damals auch los lösen, selbständig werden, unabhängig von einem Vormund. Aber diese Familie war wirklich nicht sonderlich gut darin, den Kontakt und die Nähe zueinander zu suchen und zu wahren, nicht?