Es war Nachmittag. Es war nicht spät, nein. Der Tag würde sich bald Richtung Abend neigen, aber gerade? Da war es noch nicht zu spät. Es waren viele Leute hier, in der Stadt. Das machte natürlich Sinn, auch, wenn es noch mitten in der Woche war. Viele Freundesgruppen trafen sich hier, um nach der Schule ein wenig abzuhängen. Viele verbrachten ihre späte, aber wohlverdiente Mittagspause hier, an diesem Ort. Und auch gab es viele einzelne Gestalten, die aus allen möglichen anderen Gründen hier waren. So wie auch er. Es war mal wieder kein besonders ausgeklügelter Plan gewesen. Tatsächlich wollte der junge Mann einfach nur deshalb in die Stadt, da.. naja, hier befanden sich halt einige Supermärkte. Und irgendwann, da musste jeder mal zu seiner Frustration feststellen, dass ein leerer Kühlschrank sich, trotz mehrfachem böse anfunkeln, letztendlich leider doch nicht wieder von selbst auffüllte. Und GOTT, hatte das Halbblut gerade Bock auf eine Ladung Avocadotoasts. Und nebenbei ein wenig frische Luft schnappen, das wäre auch ganz nice. Auch, wenn er manchmal vielleicht einen anderen Eindruck vermittelte, zum Beispiel dann, wenn er das aus dem Bett aufstehen mehrere Stunden lang hinausschob, so mochte der Tätowierte es echt gerne draußen zu sein. Zu den neusten und seinen liebsten Liedern aus der Playlist den Moment, der Tag zu genießen und sich danach einfach wieder etwas besser zu fühlen. Nicht, dass es ihm irgendwie schlecht ging, nein. Eigentlich lief gerade alles ganz gut. Nicht perfekt, nicht super, aber es war okay und es gab noch Luft nach oben und auch das war okay - man musste sich halt langsam hocharbeiten, das brauchte oft Zeit. Und so schlenderte der Amerikaner mit seinem vollen Rucksack durch die Stadt, ein wenig in seiner eigenen kleinen Welt versunken, ein wenig nicht, denn man musste ja auf rote Ampeln und so Acht geben, man wollte ja nicht unbedingt spontan überfahren werden. An einer der besagten roten Ampeln also, da kam es dazu, dass er auf sein Handy hinunter blickte um die Zeit zu überbrücken und das momentane Lied zu überspringen. Auch wenn man bestimmte Lieder liebte, manchmal passten sie einfach nicht, das konnte man doch nachvollziehen? Und als er dann wieder aufblickte, über die Straße ging und abbiegen wollte, sah er gerade noch so, wie ein Blondschopf sich auffällig durch die Leute vor ihm drängelte. Auffällig deshalb, da er auf seinem Weg wenig Rücksicht auf Verluste nahm und sich einige Passanten von dem leichten Stoß wohl sehr belästigt fühlten und teilweise sogar laut auffluchten. Aber das schien der Flüchtige gar nicht zu merken. Was der andere Protagonist in der Gegend gerade jedoch gemerkt hatte war.. ach man, den Idioten da kannte er doch. Außer, es handelte sich wieder um des Idioten's Zwilling, denn er.. genau genommen irgendwie auch besser kannte, als es ihm lieber war. Hoffentlich tat es der Bruder nicht auch. Was machte Cedric da überhaupt? Eigentlich sollte es ihn nicht wirklich interessieren, aber.. der Halbamerikaner warf einen Blick zur Seite. Okay, immerhin schien er nicht von den Bullen oder einem Ladendetektiv oder so verfolgt zu werden, das war schon mal ein Anfang. Aber warum zum Fick rannte er dann so, als wäre er gerade angeschossen worden? Ah nein, stimmt ja. Ihm war ja irgendwann ins Bein geschossen worden, mit Rennen hatte das Ganze wohl doch nichts zu tun gehabt. Der Junge seufzte leise und entschied sich dafür sich nicht weiter für Cedrics großartige Flucht zu interessieren, doch.. klar, der Typ entschied sich einfach allen Ernstes dafür, direkt vor seinen Augen in eine Baustelle einzubrechen. What the fuck? Hatte das wirklich keiner außer ihm bemerkt? Interessierte sich einfach Niemand außer ihm dafür? Okay, jetzt war sein Interesse geweckt. Fuck this. Außerdem war das eine gute Gelegenheit Cedric noch eine reinzuhauen, für das, was er nach ihrem letzten Treffen abgezogen hatte. Ob das nun wortwörtlich oder aber metaphorisch gemeint war, das würde er später noch spontan entscheiden. So kam es also, dass der Helläugige sich spontan dazu entschied, sich illegal Zugang zu einer Baustelle zu beschaffen und dem Blonden langsamen Schrittes hinein folgte. Wehe, er würde jetzt am Ende des Tages wegen dem Musiker hier verhaftet werden. Was hatte er überhaupt vor? Der Mann passte auf, sich nicht zu schnell zu bewegen, da er nicht genau wusste, was hier eigentlich vor sich ging. Und es dauerte auch nicht lange, bis Cedric den ersten Hinweis hierfür vor seine Füße schmiss. Naja, okay, er begann die Treppen hoch zu steigen. Und das Halbblut tat es ihm nach. Immer mehr Treppen. Immer mehr. Okay, hatte Ced insgeheim die letzten paar Monate Cardiotraining gemacht oder warum haute er mehr als 10 Etagen so locker flockig raus? Holy shit, das mit dem Rauchen sollten wir uns definitiv nochmal überlegen, fuck man, I regret everything. Ab morgen ging es definitiv wieder zum Sport, sollte er das hier überhaupt überleben. Oh Gott. Oh man. Wie viele Etagen denn bitte noch? Scheiße ey, er hoffe echt für die zukünftigen Bewohner, dass hier mal irgendwann ein Aufzug eingebaut werden würde. Als er dann, endlich, oben angekommen war, stand Cedric schon bereit. Bereit wofür? Das war so eindeutig und doch auch uneindeutig zugleich. Wie lange stand der Heranwachsende da schon, hinter dem Geländer, hinter dem Zaun, nur wenige Millimeter vom Abgrund entfernt? Der Gepiercte kam wieder zu Luft, atmete schwer aus, aber das machte nichts, denn er wurde sowieso nicht gehört. Nicht gerade. Er machte einige Schritte nach Vorne, blieb mitten auf dem Dach stehen. Welche Optionen gab es jetzt? Losrennen, zu dem Blonden hinrennen, ihn zurück aufs Dach zerren. Sprechen. Sprechen und hoffen er würde sich nicht erschrecken, würde eine Unterhaltung mit ihm führen, würde sich überreden lassen. Nichts sagen? Nichts sagen. Einfach beobachten, schauen was passierte. Vielleicht wurde das Ganze hier ja falsch interpretiert? Gab es da überhaupt etwas zum falsch interpretieren? Auch er hatte Mal dort gestanden, auf einem anderen Dach, auf eine andere Weise, unter anderen Umständen - doch gleich. Die Polizei rufen? Oh ja, dann wären wir gleich wieder beim den Abend in einer Zelle verbringen. Aber nichts davon passierte. Nichts.
"Ah..", entkam es, nicht laut, nicht leise - nach einer ganzen Weile. "Wie freundlich von dir, dass du mich zu deinem großen Finale einlädst.", warf er schließlich in die Runde, durchbrach mit diesem kleinen Flachs die Stille. Der Wind wehte sanft, aber doch hörbar in dieser Höhe, war kalt, war unnachgiebig, gnadenlos. Und wieder passierte weiter nichts. Nichts von alledem, was Ced hätte helfen können. Aber wen wunderte das auch? Wieso sollte auch eines eben jener Szenarien passieren? Hoffnung war eine Lüge - das hatte Cedric selbst für sich beschlossen. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, nicht? Also bekam er auch keine Hoffnung. Man musste aufpassen, was man sich wünschte, was man dachte. Denn manchmal, ja, da zog man eben jenes an. Und was er bekam war eine Lüge. So, wie es dieser gesamte Post war. Wieso so überrascht? Was genau hattet ihr denn erwartet? Er hatte nie gesagt, dass es sich um Kyle handelte. Er hatte euch nie Kyle beschrieben. Nicht einmal seinen Namen genannt. Er hatte es euch vorgemacht, hatte euch das gegeben, was ihr erwartet hattet, was ihr euch gewünscht hattet. Euch eure eigene Naivität, eure eigenen Schwächen aufgezeigt, mit euch gespielt. Natürlich würde er das machen, er war der König der Lügner. War er nicht der König der Welt? All das, was ihr gelesen hattet, hatte es nie gegeben. Kyle hatte Cedric nie gesehen, war nie hier hinauf geklettert. Es war nicht Kyles Stimme gewesen, die ertönt war und es waren auch nicht seine eisblauen Augen, die gerade in Cedrics Rücken hineinstarrten. Es waren Ricks Lippen, auf jenen sich ein kleines Schmunzeln bildete, eingebildet, egozentrisch vielleicht, aber konnte er es sich nicht auch erlauben? Immerhin war es nicht er, der kurz vorm Abgrund stand, es war ein anderer. Und wer wusste schon, warum der Latino tat, was er tat? Was sein Ziel war? Warum hielt er Cedric einen Moment lang davon ab, das zu tun, was er sich vorgenommen hatte? Oder aber wollte er sichergehen, dass der junge Mann das ausführte, womit er schon so lange gespielt hatte? Vielleicht war es auch nur ein Spiel.. ja, wer würde es sich denn nehmen, den Blonden noch ein wenig zu quälen? Die ganze Welt schien es doch sowieso schon zu tun, wieso also nicht auch er?