Darren | im seinem Zimmer
Dieses eine Mal schien die Studentin ihre Wahl getroffen zu haben. Der kurze Moment, so flüchtig und so leicht war er gewesen, in dem sich wortlos mehr entwickelt hatte, in dem ihr Atem heiß geworden war, die Erwartungen sich aufgebaut hatten, er war vorbei, hinüber und nicht mehr zurück zu holen. Die mittlerweile recht gut verheilte Narbe an seinem Bauch trug die Schuld, es war nicht zu leugnen. Ihre erste Reaktion hatte Bände gesprochen obwohl kein Wort ihre Lippen verlassen hatte. Ob Erinnerungen sie eingeholt hatten? Wahrscheinlich. An jene Nacht, an jenes Erlebnis. Darren schien kurz durch sie hindurch zu sehen während er zurück dachte. An das was passiert war. An das was er sich noch erinnerte. Denn manche Momente waren verschwommen aber das war vielleicht auch besser so. Wahrscheinlich auch eine Art Schutzmechanismus des eigenen Körpers worüber man sich freuen konnte. Ob das auch bei Yumi so war? Die Flucht als Schutz? Vor Konfrontation, vor möglichen Konsequenzen? Der Musiker hielt seine Arme immer noch ein Stückchen in der Luft, beinahe dort wo er sie gerade noch hingehalten hatte. Jedoch war die Studentin nicht mehr dort, saß nicht mehr auf ihm sondern war aufgesprungen und hatte sich entfernt. Ihre Worte hallten noch in seinen Ohren, auch wenn er sie am liebsten gar nicht gehört hätte. „Yumi..“ Ganz leise kam ihm ihr Name über die Lippen während er sie nicht aus den Augen ließ, die Augenbrauen enger zusammen zog und den Mund geöffnet hielt, als wollte er noch etwas sagen, doch es folgten keine weiteren Worte. Keine Bitte, keine Fragen, gar nichts. Langsam sanken seine Arme nach unten, seine verletzte Hand legte er wieder auf seinen Oberschenkel. Er war weiter nach vorne gerutscht, saß an der Bettkannte und konnte doch nicht aufstehen. Es war als weigerte sich sein Körper. Als sagte eine Stimme in ihm, dass er sitzen bleiben musste. Weil er Yumi sonst aufgehalten, sie sogar festgehalten hätte? Schließlich biss er sich auf die Unterlippe, zwang sich selbst sich nicht zu bewegen. Immerhin wollte er ihr nie im Weg stehen, sie nie hindern zu gehen. Ihr immer diesen Fluchtweg offen halten. Aber es fühlte sich nicht gut an. Nicht, dass er erwartet hatte, dass er damit gut umgehen konnte aber der Druck auf seiner Brust wurde stärker, je mehr das Mädchen sprach. Kurz hatte er seinen Blick von ihr abgewandt, auf den Boden gestarrt, dann an sich hinunter auf seine Narbe, auf die auch die Studentin deutete. „Ich..“, begann der Schauspielstudent nach einer kurzen Pause, kam jedoch nicht weit, wurde mehr oder weniger von ihrer Stimme unterbrochen. Jedoch war er sich auch gar nicht sicher ob seine Lippen sich gerade überhaupt wirklich geöffnet hatten. Ihm wurde kalt und es lag nicht unbedingt an der Tatsache dass er oberkörperfrei auf ihrem Bett saß und sie anschaute. Es war auch kein Fenster geöffnet, kein kalter Luftzug wehte durchs Zimmer. Trotzdem fröstelte er. „Yumi bitte..“ Mittlerweile hatte er es geschafft sich aufzurichten, sich vom Bett zu erheben und war ihr auch einen Schritt näher gekommen, hielt aber dennoch genügend Abstand. Die angehende Psychologin wuselte eh weiter durch ihr Zimmer mit ihrem Rucksack in der Hand, durchsuchte es anscheinend wieder nach Dingen die sie in nächster Zeit unbedingt benötigte. Darren hatte sie vorhin ja auch dabei gestört. „..bleib.“, flüsterte er, doch die Zimmertüre war bereits ins Schloss gefallen. Der junge Erwachsene hatte noch seine Hand etwas nach ihr ausgestreckt, nicht sicher ob er sie festhalten und aufhalten wollte oder erwartet hatte, dass sie danach griff und doch hier blieb. Ein bisschen lächerlich dieser Gedanke. Wo sie ihm nicht einmal mehr einen Blick geschenkt hatte. Nur ganz flüchtig. Damit es einfacher war zu gehen? Darren schmunzelte, er schüttelte den Kopf und strich sich mit seiner Hand übers Gesicht, rieb sich abwechselnd das Auge und hielt inne, spürte eine Gänsehaut, die der Kälte zu verschulden war. Die jetzt nur noch schlimmer war. Ihm war kalt, er fror und somit suchte er auch seinen Pullover, den sie ihm zuvor noch ausgezogen hatte. Doch bemühte sich nachdem er ihn aufgehoben hatte nicht ihn anzuziehen. Denn er wusste, dass es ihm nicht helfen würde. Sein Blick wanderte nicht wirklich aufmerksam durch den chaotischen Raum, man konnte fast meinen es hätte ein Sturm gewütet, was auch irgendwie beinahe so war. Ob er nach etwas suchte? Nach Fotos? Oder Andenken? An bestimmte Zeiten? Er presste die Lippen aufeinander, schüttelte den Kopf und atmete tief ein, wieder aus und schlüpfte schlussendlich doch noch in seinen Pullover. Was durchaus etwas unbeholfen wirkte wenn man bedachte, dass ihm nur eine Hand zur Verfügung stand. Das Zimmer des Mädchens wirkte auf einmal so leer. Es war die Stille, die ihn erdrückte. Das einsame Gefühl, das sie hinterlassen hatte. Doch wohin gehen, wo es besser war? Gab es einen Ort, der ihm jetzt gut tat? Eigentlich nicht wirklich aber hier bleiben war so oder so keine Option weshalb er die Falten seines Pullovers glatt strich und das Zimmer verließ, die Tür langsam ins Schloss fallen ließ und noch einmal inne hielt bevor er sich herum drehte und auch direkt sein Zimmer ansteuerte. Zwar wurde er etwas langsamer als er an der Küche vorbei ging, überlegte sogar für den Bruchteil einer Sekunde sich kurz etwas zu essen zu machen, da er sich kaum mehr daran erinnerte wann er das letzte Mal wirklich etwas Warmes gegessen hatte, aber er ließ es dann doch. Weil er sowieso nichts im Kühlschrank hatte. Davon abgesehen hätte er wahrscheinlich eh nicht die Nerven dafür gehabt und wirklichen Hunger verspürte er auch nicht. Weshalb der Musiker sich in sein Zimmer zurück zog, die Tür hinter sich zu zog und dort stehen blieb, sich daran lehnte und die Augen schloss. Er spürte einen Schmerz an seiner Narbe. Oder drumherum oder irgendwie auch überall. Es waren diffuse Schmerzen, die er nicht zuordnen konnte weshalb er das Gesicht verzog und auch versuchte sie wegzuatmen, was einem doch immer wieder gesagt wurde. Weil es ja auch so gut half. Der Student strich sich durch die zerzausten Locken, kratzte sich am Hinterkopf und holte sein Handy hervor, suchte nach ihrem Namen und öffnete den Chat. Er tippte sogar Nachrichten. Dass es ihm leid tat, dass es nicht ihre Schuld war. Dass sie zurück kommen sollte. Darren schrieb so viel, löschte es wieder, tippte erneut und löschte wieder alles. Seine Finger begannen zu zittern, er biss sich auf die Unterlippe und knabberte daran während seine Gedanken kreisten und sich drehten, er überlegte was er schreiben konnte. Ob es überhaupt etwas gab, was sie überzeugen konnte. Aber eigentlich kannte er die Antwort auch schon. Mit einem Mal warf er sein Handy zur Seite, vielleicht war sein Schreibtisch sein Ziel gewesen, vielleicht auch nicht, auf jeden Fall landete es auf dem Boden und dort blieb es auch. Darren knibbelte an dem Verband seiner linken Hand und löste ihn, schälte ihn langsam von seiner Hand und versuchte bei jeder Sekunde seine Finger zu bewegen. Doch er scheiterte, natürlich. Anderes hätte ihn auch gewundert. Darren drehte seinen Arm vor seinem Gesicht hin und her. Sah die kleinen und feinen Narben an seinen Fingern, den Abdruck den der Verband auf seiner Haut hinterlassen hatte. Vielleicht sollte er es eincremen, die Narben ein bisschen pflegen damit sie noch dünner und feiner und beinahe durchsichtig wurden. Aber was sollte es schon bringen, vergessen würde er es ja so oder so nicht. Niemals. Oder? Darren schnaubte, er schüttelte den Kopf, warf den Verband unachtsam zur Seite. Er war frustriert, genervt. Gleichermaßen aber auch enttäuscht. Weil sich nichts tat, weil er nicht vorwärts gehen konnte, weil ihm dieser Vorfall festhielt. Weil die Ärzte ihm nicht wirklich helfen konnte. Zwar wollte er ihnen keinen Vorwurf machen, tat es aber insgeheim trotzdem irgendwie. Der Blick seiner braunen Augen wanderte durch sein Zimmer. Unschlüssig stand er an der Türe, wusste nichts mit sich anzufangen. Lernen? Spazieren gehen? Schlafen? Netflix? Irgendwas tun, was ihn ablenken konnte. Damit er nicht an Yumi dachte? Sowieso zwecklos. Nochmal überlegte er Nachrichten an sie zu schreiben, suchte auch sein Handy nachdem er sich in bequemere Klamotten geschmissen hatte aber ließ es dann als er an seiner Gitarre vorbei ging. Mit seinen Fingern strich er über die Saiten, nahm sie schließlich in die Hand und setzte sich damit auf den Boden vor seinem Bett. Der Musiker presste seine Lippen zusammen und schaute nach unten, er beobachtete seine tauben Finger und ließ sie nicht aus den Augen während er versuchte zu spielen. Einen Ton anzustimmen. Doch er spürte nicht einmal das Gefühl von den Saiten an seiner Haut. Rein gar nichts. Er hatte es immer wieder versucht in den letzten Wochen. Auch während der Reha hatte er es probiert. Am Klavier, an der Gitarre. Niemals hatten sie sich gerührt, nichts konnte er spielen. Die Musik fehlte ihm. Plötzlich stieß er das Instrument von sich. Es landete auf der anderen Seite seines Zimmers und gab ein schiefes Geräusch von sich. Ob es etwas abbekommen hatte, vielleicht sogar kaputt war? Ein paar Saiten hatten sich gelöst doch es war ihm egal. Irgendwie war ihm alles egal. Darren strich sich durch die Locken, sackte mehr in sich zusammen und stieß die Luft aus seinen Lungen. Es dauerte nicht lange bis er sich wieder erhob, auf dem Weg zu seinem Schreibtisch auch das achtlos zur Seite geworfene Handy aufhob und es dort ablegte. Auf den Berg von Unterlagen, den er noch durchlesen und unterschreiben musste. Viel zu viele Dokumente und andere Schreiben, die er wegschicken musste. An seine Krankenkasse, die Universität und selbst das Wohnheim wollte Bestätigungen haben. Er schob die Blätter zur Seite und damit auch durcheinander, konnte sich jetzt nicht damit auseinander setzen. Wo er so oder so keinen klaren Gedanken fassen konnte. Immer noch an Yumi dachte. An die Wärme, die sie ausgestrahlt und die Kälte, die sie hinterlassen hatte. Einige Blätter fielen zu Boden. Arztbriefe in denen unaussprechliche Worte standen, seine Diagnosen, alles was sie mit ihm angestellt hatten. Was sie machen mussten um ihm das Leben zu retten nachdem sie seine inneren Blutungen bemerkt hatten. Der Student beugte sich nach unten und wollte die Dokumente aufheben als ihm eine fast volle Flasche Schnaps auffiel, die er in seinem Schreibtisch verstaut hatte. Er griff danach und drehte die Flasche hin und her, klemmte sie zwischen seinen Arm und seine Brust damit er den Deckel aufdrehen konnte und nahm sogleich einen kräftigen Schluck davon. Darren verzog das Gesicht während der bittere Geschmack sich in seinem Mund ausbreitete. Lange schon hatte er nichts mehr getrunken. Unter medizinischer Aufsicht war es auch kaum möglich. Er nahm noch einen Schluck. Der Alkohol brannte in seinem Mund, brannte als er seine Kehle hinunter lief und selbst noch in seinem Magen machte sich das Gift bemerkbar doch er hatte das Gefühl, dass er genau das jetzt brauchte. Irgendwas, womit er sich ablenken konnte. Von der Bürokratie, seinen bleibenden Verletzungen, der fehlenden Musik und der Leere, die er in sich spürte. Irgendwann wusste der Kerl gar nicht mehr wie viel Uhr es war als die Flasche schon gut geleert war und er sich auf sein Bett gelegt hatte. Weil sein Zimmer sich drehte. Seltsam. Darren schloss die Augen während die Flasche aus seiner Hand auf den Boden fiel.