Beiträge von Kyubey

    Viele Leute kamen dazu, während sich Raguna nicht gerade langsam aus dem Staub machte. Einen Geist konnte er wohl aushalten, aber gleich zwei Gestalten aus der Unterwelt und jede menge Zivilisten, die er beschützen musste, waren wohl selbst für ihn zu viel. Armer Held. Jetzt war Lucas alleine unter Fremden, in einem fremden Haus, in einer fremden Stadt. Tatsächlich wünschte er sich Raguna in diesem Moment zurück, da er diesen wenigstens schon ein bisschen besser kannte. Er würde ihn vermissen. Oder müsste er das vielleicht gar nicht? Immerhin war er noch nicht allzu lange weg und noch konnte er ihm hinterher rennen. Er hatte zwar ein furchtbar schlechtes Gewissen dabei, das arme Mädchen mit einem Dämonen alleine zu lassen, aber was blieb ihm anderes übrig? Sie konnte ja auch noch fliehen. Und Lucas hoffte wirklich die Blonde würde das tun. Er wollte sie nur ungern ihrem Schicksal überlassen, aber sie war sicher schon alt genug um selbst auf sich aufzupassen. Ja, und damit entschuldigte der Herr sein Verhalten. »Und ich bin.. dann auch weg..« Waren seine letzten Worte, bevor er aus dem Gebäude schreitete und sich auf der Suche nach seinem Freund machte.


    » Man weiß es nicht.


    (Viel Spaß euch noch beim Posten! ヾ(´▽`;)ゝ)

    Lucasboy. War das wirklich der nächste Spitzname, den Lucas von nun an erdulden musste? Ein kurzes Kichern entkam seinem Mund, als er diesen Namen hörte. Der war ja wirklich noch lächerlicher als »Helferlein«. Oh, womit hatte er dieses grausame Schicksal nur verdient? Es war Zeit, dass der Blonde sich einen dummen Spitznamen für seinen Gefährten ausdachte. Das würde er auch tun, so bald er die Zeit dafür hatte. Aber momentan musste er mit anderen Problemen kämpfen. Das »Problem« in diesem Fall war in der Tat genau der junge Herr, der ihm den dummen Spitznamen verpasst hatte. Raguna. Er wollte es immer noch nicht wahrhaben, dass es sich bei dem unschuldigen Mädchen eben nur um ein unschuldiges Mädchen handelte. Der Braunhaarige war einfach zu misstrauisch. Oder war Lucas vielleicht einfach nur naiv? Nein. Unmöglich. Außerdem hatte der Mann hier genau den Beweis, den er brauchte, um seinen Kumpanen zu überzeugen. Die Blondine zog ihre Brille auf. Ihre feste, materielle Brille. Einen besseren Beweis konnte es doch nicht geben! Lucas sah triumphierend zu seiner männlichen Bekanntschaft rüber und setzte ein zufriedenes Lächeln auf. Worte waren gar nicht von Nöten. Er konnte seinen Sieg sogar schmecken, wer brauchte da noch Worte? Ein gehässiges Lachen wäre hier vielleicht auch angebracht gewesen, aber er wollte es ja nicht übertreiben. Raguna musste sich so schon gedemütigt genug fühlen. Und das reichte dem »Gehilfen«. Doch bevor Lucas seinen Sieg noch weiter auskosten konnte, schien er schon wieder zu verlieren. Die Tür ging auf und hereintrat eine wirklich schaurige Gestalt. Eine Frau - danach sah sie zumindest aus - mit erschreckend blasser Haut, einer ungewöhnlichen Haarfarbe und dazu auch noch unterschiedlichen Augenfarben. Nun, das war ein Geschöpf aus der Unterwelt, wie man es sich vorstellte! Ein Dämon?! Es war gut möglich. Bei dem Anblick dieses Wesens schreckte der Blonde ein wenig zurück, sodass er sich schließlich wieder neben Raguna befand. Vielleicht hatte dieser mit seiner bösen Vorahnung doch recht gehabt. Auch wenn Lucas es hasste, dies zugeben zu müssen. Was er natürlich auch nie getan hätte.
    »Schauspiel?«, wiederholte der Blauäugige, nachdem er einmal ängstlich geschluckt hatte. »W-Wovon redest du, wir proben rein gar nichts, wir sind nur hungrige Besucher!« Eine gekünstelte Lache hing er hintendran, um seine Nervosität vergeblich zu verstecken. Nur bitte friss unsere Seelen nicht.

    ((Hm, Lucas wird wohl nicht viel größer sein? Vielleicht so 170cm ( ´ ▽ ` ) ))


    Raguna wollte nicht locker lassen. Er beharrte weiterhin darauf, dass das Mädchen ein Geist sein musste. Nun, ganz unmöglich wäre es eigentlich nicht. Wenn Geister existieren würden. Was sie nicht taten. Die einzigen übernatürlichen Wesen an die der Christ glaubte waren Engel und Dämonen. Engel trieben sich in so einer Gegend nicht rum (und auch sonst wahrscheinlich in keinen anderen Gegenden) und sie wären wirklich vom Pech verfolgt, wenn sie hier auf einen Dämonen trafen. Nein, nein, das konnte nicht sein. Dämonen waren abscheuliche Kreaturen und sie konnten sich bestimmt nicht so gut tarnen. Es konnte nicht sein. Der Braunhaarige reagierte einfach über. Das war die einzig logische Erklärung. »Große Neuigkeiten! Geister existieren nicht«, zischte Lucas den Mann an. Geister, so ein Schwachsinn. 
    Inzwischen hatte das Mädchen auch schon die fremde Hand ergriffen und stand nun - zumindest halbwegs - sicher auf beiden Beinen. Scheinbar suchte sie jetzt nach ihrer Brille, die sie in der Nähe der Treppe verloren hatte. Nach kurzem Überlegen und Hin- und herblicken beschloss Lucas, sich ein wenig nützlich zu machen und der Blondine ihre Brille wiederzugeben. Das war sicher besser, als wenn er hilflos rumstehen und nichts tun würde. Also setzte er sich kurzerhand in Bewegung und hob die menschenlose Brille auf. Noch bevor der Blonde sich wieder umdrehen und der Dame ihre Brille überreichen konnte, hörte er schon leise Ausrufe von besagter Frau. Scheinbar hatte Raguna wieder irgendwas angestellt - Nicht, dass es Lucas wunderte. »Da!«, stieß der Blonde aus, nachdem er sich umgedreht und einen Schritt den anderen Anwesenden entgegen gemacht hatte, und zeigte mit seiner linken Hand, in der sich auch die Brille befand, auf die Fremde. »Sie hat es selbst zugegeben! Du kannst ihr zwar unterstellen, dass sie ein Geist ist, aber nicht dass sie eine Lügnerin ist!« So eine zerstreute Person konnte doch gar nicht lügen, oder?

    ((Ja, darfst du (*´・v・) ))


    Allem Anschein nach vertraute der Braunhaarige dem fremden Gebäude genug um einzutreten. »Meinst du wirklich, das ist eine gute Idee..?«, fragte Lucas leicht misstrauisch nach. Nicht, dass das Haus irgendwie gruselig aussah, aber man konnte ja nie wissen. Man musste immer sehr vorsichtig sein, wer wusste schon wer alles in dieser Stadt lebte? Es hätten auch Diebe und Serienmörder diese Stadt beherbergen können! Doch da war es bereits zu spät. Die Tür war geöffnet und beide schon so gut wie drinnen. Zunächst erschien die Taverne leer, doch dann entdeckte der Blonde ein Mädchen in der Nähe der Treppe. Sie schien selber ein wenig durch den Wind zu sein und kam dem jungen Herren irgendwoher bekannt vor. War sie nicht auch aus Alverna? Doch noch bevor Lucas die Fremde höflich begrüßen konnte, stellte sein Begleiter schon wieder eine Dummheit an. Er hielt die Brillenträgerin wohl tatsächlich für eine Art Geist und wollte sie mit seinen wirklich angsteinflößenden Sprüchen vertreiben, was, selbst wenn sie etwas Übernatürliches gewesen wäre, natürlich nicht geklappt hätte. Sie hätte die Eindringlinge daraufhin höchstens ausgelacht und dann verschlungen. Doch da das Mädchen genau das nicht tat, konnte sie kein böses Wesen sein, oder? »Ich denke nicht, dass sie eine.. Gestalt aus der Unterwelt ist«, äußerte der Christ sich und ging zu dem Mädchen, welches aus Angst die Treppe hochgefallen war, um sich zu entschuldigen. »Es tut uns« - Dabei betonte er das "uns" und warf Raguna einen scharfen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der unbeholfenen Fremden zuwendete - »wirklich leid. Wir wollten dich nicht erschrecken.« Er hielt ihr eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Huch, hatte sie nicht eben noch eine Brille getragen?

    « Der Wachposten.


    Herkömmliche Menschen konnten einfach nicht verstehen, was Lucas in diesem Moment durchmachen musste. Nicht nur, dass ihm seine alte Heimat brutal enthändigt wurde, nein, jetzt konnte er noch nicht einmal mehr dem Herren nah sein! Es war ein reinster Alptraum und Raguna konnte es einfach nicht verstehen, obwohl er selbst derzeit Ähnliches durchmachen musste. Was ein elender Heuchler. Aber mal wieder entschied Lucas sich, seine Gefühle in sich anzustauen und nichts darüber zu sagen, das würde mit dem Braunhaarigen nur in Stress enden, so viel wusste der Blonde jetzt. Eine wahrlich weise Entscheidung, wie er fand. Und Raguna würde ihm sicher zustimmen. Um genau zu sein, jeder würde ihm zustimmen. Die ehemaligen Einwohner Alvernas hatten schon genug Stress hinter sich, sie wollten jetzt nicht noch einen wütenden Helden am Hals haben. Leute wütend zu machen war wirklich nichts Nettes, also kam es dem Mann auch gar nicht erst in den Sinn den Mund aufzumachen. Gut machte er das!
    Der Vorschlag, dass die beiden wo anders hingehen sollten, gefiel Lucas wirklich sehr. Sie konnten ja nicht ewig am Wachposten stehen bleiben. Außerdem waren dort zu viele Menschen, vor allen Dingen traurige Menschen. Es wäre schlauer sich jetzt etwas abzulenken, als der alten Heimat nachzutrauern. »Ich wäre dafür, wir sollten uns mal nach einer Kapelle umschauen«, schlug Lucas vor und war schon bereit sich in Bewegung zu setzen, als dem Blauäugigen eine bessere Idee kam. Etwas zu essen wäre wirklich nicht fatal gewesen, zumal auch Lucas so langsam ein leichtes Hungergefühl verspürte. Zustimmend nickte er, als er auch schon von Raguna voran geschoben wurde.


    Der Hunger trieb die beiden dann also durch die Stadt, auf die Suche nach einem Ort, an dem man Essbares finden würde. Und so landeten die beiden Persönlichkeiten nach einer mehr oder weniger langen Reise auch bei der Taverne, wo man schon von weitem die Esswaren riechen konnte. Dank seines scharfen Überlebenssinnes entdeckte Lucas das Gebäude ziemlich schnell und deutete mit seinem rechten Zeigefinger in die Richtung der Taverne. »Hey, ich hab was gefunden!«, stieß er dann aus und bewegte sich vorsichtig auf das fremde Gehäuse zu. »Meinst du, das sieht vertrauenerweckend aus?«, fragte er seinen Mitstreiter. Er war sich nämlich noch nicht ganz sicher, ob er dieser Stadt trauen konnte. Vielleicht hatten die Einwohner geplant, die Neuzugänge umzubringen und dann ihre Leichen zu verzehren und das war der einzige Grund, wieso sie ihnen so freundlich Einlass gewehrt hatten? Man konnte in der heutigen Welt vor nichts mehr sicher sein.

    Lucas schüttelte leicht den Kopf, entschied sich aber lieber dafür dem Braunhaarigen zuzustimmen, als laut loszulachen. Das war immerhin eine Sache der Höflichkeit! »Ja, ja, natürlich..«, gab der Blonde von sich. »Mit dir kann uns gar nichts geschehen..« Wie wir ja bereits gesehen haben.. Tatsächlich hatte sich keiner der beiden Herren in den letzten paar Stunden als hilfreich oder gar heldenhaft bewiesen. Von daher hatte Lucas auch nicht das Recht, Raguna seine Hoffnungen und Träume zu zerstören. Auch wenn man denken könnte, dass dieser sein Scheitern so langsam anerkannt habe. Wohl nicht. Ein tiefes Seufzen entglitt dem Mund des Christen, während er sich selbst ein winziges Lächeln aufsetzte. Er würde sich wohl niemals ändern. Aber das musste ja nicht zwangsweise etwas schlechtes sein.
    Als die neuen Wohnorte ausgeteilt wurden, war Raguna nicht der Einzige, dem sein zukünftiges Zuhause missfiel. »Wieso muss ich wieder in einen Gasthof?!« Zugegeben, er würde seine kleine Kammer in der Kapelle vermissen. Er hätte auch nichts dagegen gehabt wieder in eine einzuziehen, so lange er der Kirche nah sein durfte. Das war einfach nicht fair! Womit hatte er das nur verdient? Wieso wurde er von seinem gütigen Gott so gestraft? Fragen über Fragen türmten sich auf, während Lucas auf das kleine Häufchen Raguna auf dem Boden blickte. Er war im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört. Er musste Feldarbeit wirklich hassen, was man ihm eigentlich kaum ansah. Nun, zumindest konnten sie jetzt gemeinsam verzweifeln. Manchmal war das Leben einfach unfair.

    Selbstverständlich musste die Bekanntschaft - oder konnte man vielleicht schon »Freund« sagen? - jetzt wieder eine ihrer heroischen Reden halten. Hätte Lucas nicht wenigstens einmal davon verschont bleiben können? Er hätte es vermutlich besser wissen müssen. Ein Seufzen ertönte aus seinem Mund, woraufhin er sich einfach weiter die Gegend ansah, während Raguna nicht aufhören wollte zu reden.
    Das hier würde vermutlich ihre neue Heimat werden, zurück konnten sie immerhin nicht mehr, nie wieder. Und Lucas hatte auch noch seine Bibel zuhause vergessen. Hoffentlich würde es hier in der Gegend eine Kapelle geben, sonst müsste er sich wohl selbst eine bauen. Und das war keine gute Idee, in Anbetracht dessen, dass seine handwerklichen Fähigkeiten etwa gleich mit der einer Katze waren. Und das einzige, was Lucas mit einer Katze gemein hatte, war dass sie beide einen Hammer noch nicht mal in der Hand halten konnten. Geld hatte der Blonde auch nicht, um jemanden diese Aufgabe zu übergeben. Vielleicht könnte er aber einige freiwillige Helfer zusammentrommeln oder - Ja, hoffen wir einfach, dass es hier eine Kirche gab.
    Plötzlich wurde Lucas aus seinen Tagträumen gerissen, als ihn sein Gesprächspartner auf den Rücken klopfte. Raguna war wirklich fröhlich und das obwohl sie gerade so viele Opfer in dem Kampf gegen die Monster machen mussten. Einige der Anwesenden schienen darüber wirklich betrübt zu sein und der Braunhaarige machte einen so zufriedenen Eindruck. Das war in der Tat nicht sehr einfühlsam, aber so weit hatte der andere wahrscheinlich noch nicht mal gedacht. Wieso auch? Immerhin hatten sie den Alptraum jetzt fürs Erste überstanden und über die zu trauern, die bereits verloren waren, machte auch keinen Sinn. Vielleicht würde Lucas für die armen Geschöpfe, die heute ihr wichtigstes Eigentum - ihr Leben - verloren hatten, beten, so bald er die ersehnte Kapelle gefunden hatte.
    »Was das hier für ein Platz ist? Nun...« Er ging einen Schritt voraus und versuchte zu erkennen, was hinter dem Wachposten lag. »Ich bin mir nicht ganz sicher, immerhin haben wir noch nicht viel von der Gegend gesehen. Ich hoffe jedoch, dass es sich hierbei um einen freundlichen Ort handelt. Ich will nicht jeden Tag um mein Leben fürchten müssen.« Wer wollte das schon?

    Allem Anschein nach hatte Raguna ernsthaft vor seinen furchtbaren Plan in die Tat umzusetzen und es gab nichts, was Lucas dagegen hätte unternehmen können. Vielleicht sollte er sich einfach von dem Braunhaarigen entfernen und sich in Sicherheit begeben, damit die Löwen nur ihn zerfleischen und Lucas in Ruhe lassen würden. Aber zum Glück kam ihm einer der älteren Dorfbewohner zuvor und schaffte es mal wieder alle Anwesenden in Sicherheit zu bringen, vorerst zumindest. Lucas sollte dem Fremden später auf jeden Fall noch dafür danken. Aber er würde es sowieso wieder vergessen.


    Schließlich hatte die Gruppe einen Ausweg aus dem dunklen Wald gefunden, der sie an eine Art Wachposten geführt hatte. Der Blonde sah sich kurz um. Viele der Einwohner waren schwer verletzt, manche schienen sogar tot oder bewusstlos zu sein. Wahrlich kein schöner Anblick. Lucas selbst hatte nur einige Kratzer und wenige Risse in seiner Kleidung davongetragen und diese waren eigentlich auch nur von seinem Sturz gekommen. Es war ziemlich eindeutig zu sehen, wer sich von den Anwesenden ins Zeug gelegt hatte, und wer nicht. Der junge Herr befand sich eindeutig bei denen, die einfach nur feige rumgestanden hatten. Wieso konnte er also überleben, während einige tapferere Menschen ihr Leben lassen mussten? Das war nicht fair. Aber das gab dem Mann nur noch mehr Gründe, wieso er sich ab sofort mehr ins Zeug legen musste. Er musste immerhin etwas mit seinem geschenkten Leben anfangen.
    Das erste was er jetzt mit dieser neuen Erkenntnis machen würde, war nach Raguna zu suchen. Ohne ihn war der Möchtegern-Held doch verloren! Es dauerte auch nicht lange bis er den Braunhaarigen unweit von sich entdeckte. Es schien ihm relativ gut zu gehen. Erleichtert seufzte der Christ aus und ging dann auf ihn zu. »Wow«, begann er und stellte sich neben ihn. »Du bist echt unkaputtbar.«

    Wenige Momente später bereute Lucas seinen unüberlegten Ausbruch schon. Natürlich würde Raguna ihm eine tüchtige Erwiderung darauf geben, wo sie doch so schon genügend Zeit in dieser Monsterapokalypse verschwendet hatten. Und mit seiner Antwort hatte er einen weiteren wunden Punkt des Blonden getroffen. Erneut hätte er beinahe der Wut, die durch seinen Körper strömte, die Kontrolle überlassen, doch im letzten Moment siegte sein Verstand diesen Kampf zum Glück noch. Nein, er würde sich nicht auf diese Auseinandersetzung einlassen und durch seine Unvorsichtigkeit mehrere Menschenleben in Gefahr setzen. In dieser Situation war die Aufmerksamkeit von jedem Anwesenden gefordert, so nutzlos dieser auch war. Er sollte zumindest aufpassen, dass er sich selbst nicht in Gefahr begab, um den anderen nicht im Weg zu stehen. Das war wohl das Beste, was er in dieser Situation tun konnte und wenigstens das sollte er doch noch schaffen. »...Wir reden später weiter«, sagte Lucas ohne seinen Blick von dem Gesicht seines Gesprächspartners abzuwenden. Das war wohl eindeutig das Erwachsenste, das er an diesem Tag bisher gesagt hatte. Und falls er das hier überleben sollte, würde er dem Braunhaarigen eine gewaltige Standpauke geben. Genau das würde er tun. Aber jetzt hatten sie wohl andere, größere Sorgen.


    Besorgt drehte sich Lucas zu den beiden Raubkatzen, die wohl eine Art Endboss - oder eher Zwischenboss - darstellen sollten. So langsam musste jemand etwas gegen diese Löwen unternehmen, sonst würden diese bald etwas gegen die Menschen, die in ihren Wohnraum eingedrungen waren, unternehmen. Des Weiteren wäre gerade ein bisschen Regen nicht gerade unangebracht, denn auch dem ängstlichen Herren machte das Feuer und die dazukommende Hitze ein wenig zu schaffen. Und das, wo er so schon Probleme hatte, keine Last für die anderen zu sein. Ein weiterer Misserfolg. Die Tatsache, dass der lilafarbene Löwe anscheinend auch noch über Magie beherrschte, machte die ganze Situation nicht leichter. Zum Glück erschuf er zunächst nur schwächere Wirbelstürme, die einige der Anwesenden, darunter auch Lucas, zu Boden warfen und danach wieder verschwanden. Während der Blonde also zu Boden geworfen wurde, machten sich andere tapfere Menschen nützlich, forderten die Anwesenden dazu auf, mehr zu helfen oder riskierten sogar ihr Leben. Einer schaffte es sogar den roten Löwen in einer Erdspalte festzuhalten. Es war erstaunlich, was einige der Leute fabrizieren konnten. Wirklich erstaunlich. So erstaunlich, dass der Christ noch einige Momente länger auf dem Boden saß, nur um es kurz auf sich wirken zu lassen, ungewollt. Danach schüttelte er seinen Kopf und stand schnell wieder auf. Es war gerade nicht die Zeit, um die Fähigkeiten anderer zu bewundern. Er sollte lieber dafür sorgen, das er selbst bald Fähigkeiten haben würde, die man an ihm bewundern konnte. Aber wie?
    Plötzlich erschien Raguna neben ihm und schrie ihm ins Ohr, woraufhin Lucas ein wenig zusammenzuckte. »Wo kommst du denn her...?«, fragte er daraufhin verwundert, obwohl es momentan eigentlich völlig irrelevant war. Was gerade wichtiger war, war, dass der Braunhaarige scheinbar einen Plan hatte, was sich Lucas daraus zusammensetzte, dass er einen Stock aufhob. »Du hast jetzt aber nicht ernsthaft vor, den Feind mit so einem lächerlichen Stock zu attackieren, oder?« Scheinbar hatte er genau das geplant. »Nein, tu das nicht, damit wirst du das Tier nur wütend machen!« Vergeblich versuchte er daraufhin seiner Bekanntschaft den Stock aus der Hand zu reißen.

    Lucas stoppte augenblicklich. Jetzt war Raguna zu weit gegangen. Jetzt hatte er das Fass eindeutig zum Überlaufen gebracht. Lucas? Dumm? Noch nicht mal mehr behutsam entriss sich der Blonde dem Griff seiner Bekanntschaft, bereit ihm einen langen Vortrag über sein Fehlverhalten und seine Irrtümer an den Kopf zu schmeißen. Das würde er sich nicht gefallen lassen. Er war so einiges, aber gewiss war er nicht dumm und schon gar nicht dümmer als der Braunhaarige zu seiner Seite. »Jetzt hörst du mir aber mal gut zu«, begann er seine kühne Rede, das Missfallen konnte man deutlich in seiner Stimme heraushören. »Bevor DU es auch nur wagen kannst, etwas an MIR auszusetzen, solltest du dir vielleicht erst mal über deine eigenen Fehler Gedanken machen. Wer war es denn vorhin, der ernsthaft vorhatte ohne Waffe gegen ein Monster zu kämpfen? Denkst du wirklich, das war auch nur annähernd schlau gewesen? Nein, war es nicht. Und ohne mich wärst du da hinten umgekommen. Vernichtet hätten sie dich, wenn ich dich nicht vor deinem jämmerlichen Schicksal bewahrt hätte. Und wäre ein kleiner Ausdruck des Dankes wirklich zu viel gewesen? Nein, noch nicht mal das kriege ich. Stattdessen meckerst du hier weiter rum, obwohl du bereits tief in meiner Schuld stehst und du merkst es noch nicht mal!« Dass sein kleiner Ausbruch hier gerade mehr als unpassend war, merkte Lucas nicht. Zu erzürnt, zu aufgebracht war er, als dass er sich nun noch zurückhalten konnte. Irgendwann war das Maß einfach voll. Und dieser Zeitpunkt war schon lange erreicht. Vielleicht reagierte er auch einfach ein bisschen über, aber wen hätte so eine Situation nicht gestresst? Angestrengt seufzte der Blonde aus und richtete seinen Blick gen Boden. Dann atmete er ein, tief ein. »Okay, okay. Reiß dich zusammen. Wir sollten uns lieber um die derzeitige Situation Gedanken machen«, sprach er leise und schnell. Der Rat war mehr an sich selbst als an seinen Gesprächspartner gerichtet. Jetzt war eindeutig nicht der richtige Augenblick, um emotional zu werden. Was tat der junge Herr nur?
    Lucas zuckte kurz zusammen, als ein unerwartetes Ereignis die Rufe der Leute unterbrach. Stille kehrte einige Momente lang ein, bevor sich eine tiefe Stimme zu Wort meldete. Geschockt drehte der Blonde seinen Kopf zu der Geräuschquelle hin, die sich als ein fremder, maskierter Mann herausstellte. Seine Rede klang wie die eines kleinen Kindes, dem man gerade seine Lieblingsspielsachen weggenommen hatte. Äußerst tragisch und kein bisschen amüsant, natürlich. Tatsächlich stellte sich der Fremde als ziemlich gefährlich heraus, denn er hatte noch weitere Spielsachen mitgebracht. Zwei gewaltige Löwen in knalligen Farben, die nicht sehr zufrieden mit der Situation des Waldes zu sein schienen. Sie schienen in der Tat sehr verärgert. Lucas musste bei dem Anblick der beiden Tiere - falls man sie das noch nennen konnte - vor Angst schlucken. Er hatte eigentlich nichts gegen Tiere, so lange sie nicht auf sein Leben aus waren. Und diese hier waren nicht nur auf sein eigenes, sondern auch auf das Leben der anderen Menschen hier aus. Das war wirklich nicht gut. Furcht machte sich in dem Mann breit. Furcht um das eigene Leben, aber auch um die Sicherheit der anderen Einwohner. Jetzt musste Lucas etwas tun, irgendwas. Er wollte sich auch nützlich machen, sich beweisen. Aber dazu brauchte er Hilfe. Wo war eigentlich dieser Nichtsnutz von Held, wenn man ihn mal brauchte? Der »Helfer« blickte sich um, konnte ihn aber nicht aufspüren. Standen die zwei nicht gerade eben noch direkt nebeneinander? Gut, wenn er sich davon machte, musste Lucas wohl alleine etwas unternehmen. Ein paar Schritte, kleine, zögernde Schritte, schreitete er voran, bis er abrupt stehen blieb. Was sollte er schon ausrichten können? Er war so nutzlos. So verdammt nutzlos.

    Noch immer hatten sich die Flüchtlinge nicht auf einen Plan geeignet, noch immer waren es nur einzelne, die überhaupt ihre Waffe gezückt hatten. Andere hatten zuerst noch andere, scheinbar wichtigere Dinge zu tun. So redeten sie erstmal mit ihren Angehörigen und erkundigten sich nach deren Wohlsein, was natürlich total verständlich war. Aber Lucas wollte so langsam wirklich an die Lichtung kommen, was momentan aber leider noch unmöglich erschien. Erst einmal müssten sich alle hier Anwesenden zusammenraufen und miteinander arbeiten, sonst würden sie hier nie wegkommen. Und wenn, dann nur zerstückelt in den Mägen hungriger Monster. Nur würde ihnen das dann auch nichts mehr bringen. Und um ehrlich zu sein hatte der Blonde sich so seinen Lebensabend nicht vorgestellt.
    Während sich der Mann weiterhin Gedanken machte, fing sein Gesprächspartner an, sich mit anderen Leuten durch das Befummeln ihrer Schulter zu verbünden. Oder so etwas in der Art. Es sah auf jeden Fall sehr fraglich aus. Wie schon so einige Male an diesem Tag entschied Lucas sich, die Aktionen des Braunhaarigen nicht zu hinterfragen und stattdessen lieber den Mund zu halten. Eine wahrlich kluge Entscheidung! Raguna war nicht der einzige, der heute etwas dazugelernt hatte. »Hey, ich bin nicht pessimistisch!«, protestierte er dann allerdings. »Ich bin nur... realistisch. Ja, realistisch trifft es gut.« Nach dieser nahezu lächerlichen Aussage nickte er mit dem Kopf, um die Bedeutung dieses Satzes zu unterstreichen. »Außerdem... seit wann bin ich nochmal dein Helfer?« Wenn, dann wäre es ja wohl eher umgekehrt! Hätte der Möchtegern-Held ihn nicht gehabt, wäre er wahrscheinlich schon längst in die Monster rein gerannt und umgekommen, während Lucas natürlich nie auf die Idee gekommen wäre, irgendetwas Unüberlegtes zu tun. Das Verhalten Ragunas ließ ihn wirklich nur noch hoffnungslos den Kopf schütteln.
    Jedoch schien Raguna tatsächlich auch mal die richtige Entscheidung zu treffen, als er auf den Rücken seines »Helfers« schlug und ihm somit mitteilte, er wäre einverstanden mit einem der Pläne, die der Herr genannt hatte. Und allem Anschein nach wollte er sich noch nicht mal mehr dazu äußern, sondern griff direkt nach Lucas und zog ihn mit sich. »Also, du hast nun wirklich keine Berührungsängste, das muss man dir lassen«, entgegnete er, während er von seinem Begleiter durch die Menschenmasse gezogen wurde. Schließlich blieb der Braunhaarige stehen und beschloss auch mal produktiv von seiner Stimme Gebrauch zu machen. Und tatsächlich äußerte er einen anderen Vorschlag, als das bloße in die Menge stürmen. Überrascht blickte der Blonde ihn an, als er darauf wartete, dass jemand anderes vielleicht ein Kommentar zu seinem Plan machen würde. Schutzzauber? Natürlich könnten sie sich selbst schützen und dann gewaltlos bis zur Lichtung vordringen, aber wer von den hier Anwesenden konnte schon so viele und starke Schutzzauber auf einmal beschwören? Wahrscheinlich niemand, denn sonst hätte sich derjenige doch wohl schon gemeldet. Vielleicht war er oder sie aber auch einfach nur ein Spätschalter, dem erst jetzt bewusst wurde, was er alles für Kräfte besaß. Man konnte ja nie wissen.

    Raguna entschied sich dazu das Händeschütteln des Blonden nicht anzunehmen und ihm stattdessen den Rücken zuzukehren, woraufhin Lucas wieder langsam seine Hand senkte. Und er hatte sich noch bemüht, freundlich zu diesem Pöbel zu sein! Wahrscheinlich würde der andere jetzt ohne darüber nachzudenken in die Monstermenge reinstürmen. Lucas konnte sich nämlich schon gut vorstellen, dass so was in der Art passieren könnte. Noch während er darüber nachdachte, ob er vielleicht etwas sagen sollte, wurde er von dem Sorgenkind an sich rangezogen. »Nein, ich bin nicht bereit die Armee der Finsternis zu zerschmettern. Und du bist es wahrscheinlich auch nicht«, antwortete er dem Helden, während er sich erneut aus seinem Griff befreite und sich danach erstmal räusperte. Offensichtlich bestätigte sich die Vermutung des Blonden, als Raguna ihn fragte, ob er einen Plan hatte. Zumindest war er bis jetzt noch nicht schutzlos in die Monster reingestürmt. Er hatte also schon mal dazugelernt und wusste, dass ein Plan an dieser Stelle wichtig war. »Hm... was würdest du davon halten, wenn wir uns einfach zurücklehnen und darauf warten, dass die anderen eine Idee bekommen? Also, mir gefällt der Plan.« Aber da würde der Braunhaarige bestimmt strikt gegen sein, in Anbetracht der derzeitigen Lage. Der Plan war wirklich doof, aber bis jetzt war ihm noch nichts besseres eingefallen. »Oder wir könnten uns mal umhören um herauszufinden, was die anderen so vorhaben.« Das wäre auch noch eine Möglichkeit.

    Immer noch hatte sich keiner um die Gruppe an Monstern vor ihnen gekümmert. Aber so langsam fingen einige der hier Anwesenden an, sich darüber Gedanken zu machen und sich auszutauschen. Jedoch schien der Großteil zu durcheinander zu sein, um sich über das weitere Vorankommen Gedanken zu machen. So auch der Blonde, der weiterhin nur perplex in der Gegend herumstand. Gerne hätte er irgendwie geholfen, doch wusste er nicht, was er groß hätte beitragen können. Tief in Gedanken versunken blickte er umher, überlegte, wie auch er den anderen bei diesem Problem von Hilfe sein könnte, vergeblich. Jedoch konnte er auch nicht sehr lange nachdenken, da er plötzlich von etwas oder jemanden von hinten angerannt wurde. »!!!« Erschrocken drehte er sich um, in der Hoffnung kein Monster zu erblicken. Zu seiner Erleichterung war es kein Monster, dafür aber etwas, das vielleicht genau so schlimm war; Es war Raguna. »Gott sei dank«, seufzte der Blonde, so bald er den Anblick vor sich verarbeitet hatte. Zu seiner eigenen Überraschung war er ziemlich erleichtert zu sehen, dass es dem Bekannten noch gut ging. »Ich habe für dein Wohlergehen gebetet.« Dies stimmte leider nicht ganz, da er bisher nur hilflos in der Gegend rumstand. Aber wäre ihm die Idee gekommen, hätte er das sicher getan! Vielleicht. »Im Übrigen, ich denke ich habe mich noch nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir!« Zögernd streckte er seine Hand aus, um Raguna einen freundlichen Handschlag anzubieten. »Mein Name ist Lucas, wie der Prophet.«

    Allem Anschein nach weigerte sich der Braunhaarige immer noch, sich eine Waffe zuzulegen. Nun gut, er würde schon noch sehen was er davon hatte. Auch, wenn es nicht den Anschein machte, als wäre er mit Waffen von größerer Hilfe gewesen. Er war eben, genau wie der Blonde selbst, total nutzlos im Kampf. Aber vielleicht hatten die beiden ja noch andere versteckte Talente, von denen sie nur noch nichts wussten? Nein, unwahrscheinlich. Aber man wusste ja nie.
    Nach Ragunas letzten Satz rollte Lucas einfach nur seine Augen. Es hatte keinen Sinn, diesen Nichtsnutz weiter zu belehren. Man konnte nur darauf hoffen, dass er es irgendwann von selbst einsehen würde. Also schloss der Christ wieder seine Augen und betete weiter. Betete, für die tapferen Krieger, die ihr Leben eventuell ihm Kampf lassen müssten und für die eigene Sicherheit. Und tatsächlich erschien es, als wurden seine Gebete erhört, denn dann geschah ein Wunder; Alle Anwesenden wurden mit einem Mal auf einen neuen Pfad geführt, der sie weg von dieser Irrenanstalt brachte. Allerdings war sich Lucas nicht so ganz sicher, ob das wirklich die Errettung war, auf die er gehofft hatte. Denn die Monster verfolgten sie immer noch und der Weg war ziemlich dunkel. Wo nur würde dieser Pfad hinführen?


    Während die anderen weiterhin um ihr Überleben kämpften, konnte Lucas nur still mitgehen. Vielleicht wäre eine Waffe doch gar keine so schlechte Idee, jetzt wo er so recht darüber nachdachte. Man konnte es ihm ja wohl nicht übel nehmen, dass er sich auch gerne selbst verteidigen würde. Selbst, wenn es schwer zu glauben war, war er ja nicht absichtlich eine Last für die anderen. Apropos Last; Wo war eigentlich Raguna hin? Bisher hatte der Blonde ihn noch nicht gesehen, aber es ging ihm sicher gut. Was konnte so einen Helden schon unterkriegen, nicht wahr?
    Nun schien sich endlich eine Gelegenheit zu bieten, bei der die Entflohenen eine kleine Pause machen konnten. Doch so leicht kamen sie nicht dahin, denn vor der ersehnten Lichtung befand sich eine noch größere Horde an Monstern, gegen die Lucas nicht den Hauch einer Chance hatte. Mal wieder musste er sich also auf die anderen verlassen. Eines stand fest; Falls er hier lebend rauskommen sollte, würde er sich erst mal eine Waffe holen und Raguna am besten gleich mitnehmen.

    Während Raguna immer noch ängstlich und zitternd vor einem einzelnen Gegner stand, waren die anderen Leute auf dem Fest allesamt dabei, die wild gewordenen Monster zu bekämpfen. Dummerweise hatten Lucas und Raguna weder die Erfahrung noch die Stärke um da mitzuhalten. Aber das machte dem Christen relativ wenig aus, wissend, dass er im Nachleben von Gott für seine Frömmigkeit belohnt werden würde, während die anderen geradewegs in die Hölle kamen. Obwohl die anderen tatsächlich auch sein Überleben mit dem Bekämpfen der Monster sicherten, war der Blonde immer noch dieser Meinung. Er glaubte eben nur das, was er glauben wollte.
    Anfangs noch widersprechend, stimmte der Braunhaarige Lucas schließlich zu; Sie sollten sich ein Versteck suchen. Was konnten sie ohne Waffen auch schon ausrichten? »Braver Junge«, lobte der Mann den Möchtegern-Helden wie einen Hund. Schnell sah er sich um und entdeckte dabei einen mittelgroßen Felsen, nicht allzu weit von dem Platz entfernt. »Hey, lass uns dahinten hin flüchten!« Mit der einen Hand zeigte er zu dem Zufluchtsort, während er mit seiner anderen Raguna am Arm mit sich bis zum Zielort zog. Das Monster, das die beiden anvisiert hatte, lief ihnen zuerst hinterher, stoppte aber so bald er ein anderes Ziel im Blick hatte. Was dieses Ziel war, wusste Lucas nicht, er war nur froh, dass sie das Vieh endlich los waren.
    Am Fuße des Felsens angekommen, machten die beiden erst einmal eine kleine Verschnaufpause; Sie brauchten immerhin Energie, um den Felsen hochklettern zu können. »So bald das hier zu Ende ist, brauchst du eine Waffe. Ohne Waffe kannst du doch kein richtiger Held sein, was hast du Schwachkopf dir überhaupt dabei gedacht?!« Danach kletterte Lucas den Felsen hoch, was nicht wirklich schwer war, da er nicht gerade steil war. Oben angekommen kniete er sie erst mal hin und beobachtete das Spektakel auf dem Kirschblütenplatz genauestens. »Ich werde für sie beten.« Er war scheinbar der Meinung, dass das etwas bringen würde, also faltete er seine Hände zusammen und begann leise flüsternd zu beten. »Mach mit«, befahl er seinem Gefährten zwischendrin in einer kurzen Sprechpause.

    Erneut rückte sein Gesprächspartner näher an Lucas heran, woraufhin der Blonde wieder ein paar Schritte zurückhuschte. Wie konnte man nur so aufdringlich sein, in so einer unpassenden Situation? Die nächste Wortzusammenstellung, die der Braunhaarige von sich gab, brachte den Mann dazu, ein wenig zu kichern. Natürlich hielt er sich zuvor erst mal noch die Hand vor den Mund, es sollte ja nicht so aussehen, als würde er sich über seinen Nächsten lustig machen! Auch wenn das natürlich genau der Fall war, aber so lange der andere nicht wusste, dass sich Lucas im (nicht ganz so) Geheimen über ihn lustig machte, konnte er auch nicht noch wütender werden. »Oh, wie töricht von mir!«, sagte der Blauäugige nachdem er sein mädchenhaftes Gelächter gestoppt und seine Hand gesenkt hatte. »Mich mit einem so famosen Helden anzulegen! Es wird nie wieder vorkommen.« Während er den armen Unwissenden natürlich offensichtlich verhöhnte, meinte er Teile des Gesagten tatsächlich ernst. Er würde wirklich nie wieder einen derartigen Fehler begehen und dem Naivling so die Wahrheit ins Gesicht klatschen. Wenn er vorhatte, seine Zeit noch weiter mit Raguna zu verschwenden, sollte er vielleicht lieber einfach mitspielen und den großartigen Helden wie einen zweiten Gott anbeten. Selbstverständlich würde er das nicht wortwörtlich tun, es verstieße immerhin gegen eines der zehn Gebote!
    Schlussendlich ließ der Fremde endlich von Lucas ab, wobei er einige Schritte nach hinten taumelte und schließlich erneut hinfiel. Wie bedauerlich. Aber anstatt dumme Sprüche über seinen glorreichen Sturz zu reißen, hielt der Blonde lieber still, er hatte dazugelernt. Außerdem hatte er selbst an diesem Tage schon einige Male den Boden begrüßt, sich darüber den Mund zu zerreißen wäre sehr heuchlerisch gewesen. Nein, so was tat ein Mann der Ehre nicht.


    Allerdings hatten die beiden Vollidioten wenige Momente später schon ganz andere Probleme, als die eingesperrten Monster einige Meter von ihnen entfernt plötzlich wild den Platz verwüsteten. »Was in Gottes Namen..?!«, stieß Lucas aus so bald er von dem Chaos mitbekam. Wenn das jetzt nicht eine perfekte Gelegenheit für Raguna gewesen wäre, um sich zu beweisen! »Nun, es sieht so aus als hätte Gott dir eine Chance gegeben, dein Können unter Beweis zu stellen. Tu, was dir dein Überlebensinstinkt befiehlt zu tun und halte dich bitte nicht zurück, ich würde den heutigen Tag gerne überleben.« Der Blonde selbst konnte sich nicht verteidigen. Er lehnte jegliche Art des Krieges ab, in seiner Gutgläubigkeit glaubte er nämlich noch an eine Welt ohne Gewalt. Und dafür war er bereit gerade zu stehen und zu kämpfen - nur halt ohne Waffen. Dummerweise hatte auch sein Begleiter keine Waffen dabei, weswegen sie gegen das Buffalo völlig machtlos waren. Die Augen rollend packte der Mann seinen »Beschützer« an der Schulter. »Denkst du, wir sollten vielleicht wegrennen und uns in Sicherheit begeben? Ich denke, wir sollten das tun.«

    Nachdem der Fremde wortwörtlich anfing zu beben, machte Lucas sich doch ein paar Gedanken. Nun fühlte er sich verantwortlich nach dem Wohlsein des anderen zu fragen, bevor er noch eine Panikattacke oder sonst was bekam. »Entschuldige meine Unhöflichkeit, ich habe ganz vergessen dich zu fragen, ob du leidest! Dir scheint es nicht ganz gut zu gehen, soll ich dir ein kaltes Handtuch bringen?« Es wäre doch eine total logische Reaktion gewesen, jemandem in so einer Situation ein kaltes Handtuch über den Kopf zu schmeißen. Doch der Braunhaarige schien ganz andere Probleme zu haben; Tatsächlich schien es, als hätten Lucas' Worte Ragunas Gefühle verletzt, obwohl der Blonde eigentlich nur die Worte seines Gegenübers wiederholt hatte. Und darüber hielt er jetzt eine kleine Rede, woraufhin das Lächeln in dem Gesicht des Blonden ein wenig verblasste. Nachdem er ein wenig von dem Wütenden weggerückt war, versuchte er sich an einer Entschuldigung.»Es tut mir Leid, ich wollte dich in keinster Weise beleidigen, falls es dir so erschien. Wirklich heldenhaft war das, was du gerade angestellt hast, allerdings nicht.« Noch immer war der Fremdling erzürnt und fuhr mit seinem Vortrag fort. Bei seinem nächsten Satz hatte er allerdings einen schwachen Nerv bei seinem Gesprächspartner getroffen. »Natürlich brauchst du Gott, du verirrte Seele!«, sagte er jetzt, ein bisschen lauter, aber noch lange nicht so laut wie die Stimme des anderen. Als er realisierte, dass sein Ton hochgegangen war, räusperte er sich kurz und entspannte sich wieder. »...Aber ich respektiere natürlich deine Meinungen und Ansichten, obwohl sie total falsch sind. Aber Gott wird auch dich noch auf den rechten Pfad führen.«
    Als Nächstes wandte Raguna sich dem Stein zu, um auch diesem einen kleinen Vortrag über Recht und Ordnung zu halten. Das war jetzt allerdings schon ein wenig seltsam, Lucas beschloss aber nichts zu sagen und sah den Mann stattdessen nur verwundert an. Vielleicht war er durchgedreht, aus einer psychiatrischen Anstalt entflohen? In diesem Fall hatte er es hier mit einem Verrückten zu tun. Zwar würde das einige der bisher geschehenen Dinge erklären, aber wünschen würde es sich Lucas auf jeden Fall nicht. Vielleicht wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um wegzulaufen, aber das wäre nun wirklich sehr unhöflich gewesen, also blieb er stehen. Hilfe.

    Gerade als sich der junge Mann aufstellen wollte, vernahm er plötzlich den Ruf eines Fremden zu seiner Linken. Er war sich nicht ganz sicher ob das etwas unhöfliche »Du da« ihm galt, doch die anderen Anwesenden befanden sich einige Meter weit entfernt und obwohl der Ausruf des Fremdlings ziemlich laut gewesen war, hätte er sie wohl nicht erreicht. Also musste Lucas gemeint sein. Verwundert drehte er seinen Kopf in die Richtung aus der er glaubte, den Schrei zu gehört zu haben, nur um erneut von etwas zu Boden gezwungen zu werden. In diesem Moment war er sich sicher, dass das ein Zeichen des Herrn war. Er war sich noch nicht so ganz sicher, ob das etwas Gutes oder etwas Schlechtes war, aber hierhin zu gehen und gleich zwei mal hinzufallen - das war kein Zufall. Dieses Mal war bei seinem Sturz nur ein was anders; Die mysteriöse Kraft, die ihn zum Hinfallen gebracht hatte, kam diesmal nicht von unten, sondern von vorne oder eher von der Seite. Wahrscheinlich hatte ihn der Fremde, der sich unter dem Namen Raguna »vorgestellt« hatte und dem Gefallenen helfen wollte, glatt überrannt. Was eine Schmach für jemanden, der angeblich doch so unglaublich war. Nun, er hatte natürlich nicht erwähnt, worin er unglaublich war. Vielleicht war er auch einfach nur unglaublich darin, Leute zu überrennen, denn das hatte er schon echt gut hinbekommen, das musste der Blonde ihm lassen. Vielleicht sollte er sich erstmal nach dem Wohlsein des anderen erkunden, es könnte immerhin sein dass dieser sich bei dem Sturz ernsthaft verletzt hatte. Lucas wollte nämlich nur ungerne der Verantwortliche dafür sein. Doch bevor er auch nur ein Wort von sich geben konnte, wurde er schon wieder nach oben gerissen und von dem Braunhaarigen angesprochen.
    »Lustig«, entgegnete der Christ ihm, als er seine Hand behutsam von dem Griff seines »Retters« befreite, um sich den Schmutz von seiner Hose abzuklopfen. »Ich wollte dich gerade das Gleiche fragen.« Aus Freundlichkeit lächelte er Raguna an, während er eine kleine Sprechpause einlegte, um sich erst mal wieder in Ruhe zu sammeln. Seine Hose würde er wohl waschen müssen so bald er wieder zu Hause war, solche Grasflecken bekam man nur schwer wieder raus. »Ich denke die einzig bösartige Bestie, der ich heute begegnet bin, bist du. Aber keine Sorge, Gott wird dir das bestimmt verzeihen.« Womöglich war die Wortwahl »bösartige Bestie« in diesem Fall ein wenig hart gewählt, aber immerhin war dem Fremden etwas ziemlich Unhöfliches passiert und er hatte sich noch nicht einmal dafür entschuldigt! So etwas konnte der Blonde doch nicht einfach dulden lassen, das wäre ja unverantwortlich gewesen. »Mach dir keine Sorgen, dieser Stein hier» - Er zeigte auf einen kleinen runden Stein zu seinen Füßen - »war der alleinige Grund für meinen Sturz.«

    « Die Kapelle.


    Nach einigen Stunden Minuten war er endlich am Kirschblütenplatz angekommen, wo man schon direkt einen fantastischen Blick auf die neugebaute Arena hatte. Einige Leute befanden sich noch hier, also war er wohl doch nicht zu spät. Ein glückliches Seufzen stieß Lucas aus, als er seine Hände zusammenfaltete und ein kurz gebundenes »Gott sei dank« flüsterte. Nun hatte er die Zeit sich ein wenig umzusehen und das großartige Fest zu genießen. Doch ein Problem gab es dabei; Welche Richtung sollte er als erstes einschlagen? Diese wichtige Entscheidung konnte immerhin über seine Zukunft entscheiden! Würde er nach links gehen, könnte er vielleicht von einem Blitz getroffen werden, während rechts vielleicht ein paar Diebe auf ihn warteten. Total überwältigt von dieser Bürde, die jetzt auf ihn lastete, entschied er sich dazu einfach geradeaus zu der Arena zu gehen. Da konnte doch nichts bei schiefgehen, oder? Der Mann setzte also einen Schritt voraus, und wie es der Zufall - oder war es vielleicht eher Schicksal? - so wollte, stolperte er natürlich direkt über einen Stein und flog geradewegs auf die Wiese. Eine kurze Weile lang blieb er liegen, bevor er ein kränkliches Schnupfen von sich gab und sich langsam aufrichtete. Vielleicht war genau das die Richtung gewesen, in der er nicht hätte gehen dürfen.

    Lucas wacht auf.


    Sein kleiner Raum, der mehr einer Kammer glich, roch stark nach Holz. Scheinbar hatte mal wieder jemand das Holz in sein Zimmer verlegt, da es nicht mehr in den Holzschuppen passte. Sie brauchten so viel Holz, denn bald würde es Winter werden und wenn sie nicht erfrieren wollten, sollten sie immer genug zum Heizen da haben. Diese zwanghafte Hortung der Holzscheite konnte der Mann zwar nicht ganz verstehen, aber spätestens wenn die kalte Jahreszeit angekommen war, würde er sich sicher nicht mehr beschweren.
    Schweren Herzens stand er auf, verließ sein "Bett" (Schrägstrich Matratze) und zog sich ordentliche Kleidung über. Als er sein Hemd vor dem alten, klebrigen Spiegel an seiner Tür zuknöpfte, fiel ihm wieder ein, was er die letzten Tage bei einem der Kapellenbesucher aufgeschnappt hatte; Auf dem Kirschblütenplatz sollte heute doch ein Fest stattfinden, nicht wahr? Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, um sich etwas unter die Leute zu mischen und neue Bekanntschaften zu schließen? Natürlich wäre es das. Und da Lucas für heute sowieso keine anderen Pläne hatte, traf sich das doch perfekt.
    Komplett bekleidet und voller Tatendrang, machte er sich daraufhin schnell auf den Weg zum Kirschblütenplatz - Er wollte ja nichts Wichtiges verpassen!


    » Der Kirschblütenplatz.