Micah und Shara, nachts bei einer Bank
Das hatte er nicht gewollt. Das sagte sich immer so leicht, ja, aber das hatte er wirklich nicht gewollt. Vermutlich hatte er ihre Gutmütigkeit zu oft ausgenutzt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er sie provoziert. Von dem ständigen Hin und Her war es ja kein Wunder, dass Shara irgendwann so reagierte. Micah handelte immer unüberlegt, obwohl er alles andere immer bis ins kleinste Detail überdachte und überdachte ... Und doch wusste er gar nicht, was er eigentlich wollte. Das hatte er noch nie. Jedenfalls war es schon so, seitdem er denken konnte. Also seit der Tragödie von Alvarna. An die Zeit davor konnte er sich ja nur schemenhaft erinnern.
Er hatte ein Gewitter herauf beschworen. Wie das Unwetter, dass sie vor einigen Stunden am Polisee heimgesucht hatte, hatte sich auch dieses langsam angekündigt, aber Micah hatte nicht auf dessen Warnungen reagiert. Wie immer. Für ihn kam es aus heiteren Himmel. Sozusagen. Er lebte in seiner eigenen Welt. Eine Welt, die durch Sharas plötzlichen Ausbruch bis ins Markt erschüttert wurde. Er hatte ihr den Rücken zu gewandt. Zum Glück. Obwohl er ihr Gesicht in der Dunkelheit sowieso nicht gesehen hätte, fürchtete er jeden Lichtstrahl, der vom Vollmond in ihr Zimmer gehen könnte.
Ihre Worte zuckten wie Blitze über den Horizont. Und der daraufhin folgende Donner ließ seinen Körper vibrieren. Er kniff die Augen fest zusammen und ließ die Worte einfach ungehemmt auf seinen Körper prallen. "Was würde es ändern von mir zu hören, dass ich sauer bin?“ Micah rührte sich nicht von der Stelle. „Du würdest dich schlecht fühlen. Noch schlechter als es dir offensichtlich ohnehin schon geht." Ihre Wörter prasselten wie harter Regen auf ihn ein. „Vielleicht sind wir keine Freunde. Vielleicht waren wir es nie und wir hatten nur zufällig zur selben Freundesgruppe gehört.“ Es tat weh das zu hören. Die Wahrheit tat immer weh. Und er konnte ihr nicht widersprechen. „Aber ja lauf einfach wieder weg. Das kannst du schließlich gut." Er hatte den Kopf gesenkt, als er den frischen Luftzug spürte, den sie hinterließ, als sie an ihn vorbei ging, sich ihre Jacke schnappte und nach draußen ging. Sie ließ ihn einfach zurück. Mit seinen Kopf. Mit seinen Gedanken. Allein in der Dunkelheit. In der er glaubte sowieso schon zu Hause zu sein. Ihre Worte hallten noch nach. Immer wieder hörte er sie in seinen Kopf. Vielleicht waren sie nie Freunde. Vielleicht. Es tat so weh, als hätte er wirklich Verbrennungen am ganzen Körper. Warum war er so doof? Warum brauchte er erst so eine Ansage von ihr um das zu merken? Er hatte regelrecht darum gebettelt. Was sollte er jetzt machen? Am liebsten würde er einfach nach Hause gehen. Zu seinen Feldfürchten. Zu den Hühnern und Kühnen. Die einen zwar mitleidig anschauten, aber keine Fragen stellten. Micah legte beide Hände auf seine Augen. Sein Kopf tat weh. Zu viel Adrenalin. Zu viele Schuldgefühle. Zu viele Emotionen. In diesen Moment fragte er sich, wie er zuvor überhaupt gelebt hatte. Er hatte sämtliche menschliche Emotionen ausgestellt. Auf dem Feld war das auch viel einfacher, als im wirklichen Leben. Er hatte sich eigentlich schon nach Hause gehen sehen, das, was er gut kann, und doch trugen ihn seine Beine nach draußen, zu jener Bank, die im einzigen Mondschein vom Himmel stand. Er hatte sie ganz schnell gefunden. Die Arme hatte das Blumenmädchen um den Körper verschränkt. Tränen kullerten ihren Wangen herunter.
Erst stand er nur da. Unfähig irgendetwas zu sagen. Was sagte man auch in so einer Situation? Was war richtig? Was war falsch? Jedes Wort könnte unwiderruflich einen weiteren Keil zwischen sie treiben. Wenn sie sich ohnehin nicht schon zu weit voneinander entfernt hatten.
Langsam näherte er sich ihr. Am liebsten hätte er sie umarmt oder ihre Hand gehalten. Er mochte es nicht, sie so zu sehen. Sie weinte. Sie weinte wegen ihm. Er wollte sie trösten, ihr sagen, dass er es nicht wert war, Tränen zu vergießen, er ... Er wartete bis sie den Blick erhob und ihn anstarrte, dann sagte er: "Shara ... i-ich ..." So richtig wollten die Worte nicht aus ihm heraus. Seine Stimme versagte. Tränen liefen ihn die Wangen herunter. Er atmete schnell ein und aus. Und irgendwann kam es aus ihm heraus. Leider konnte er nicht mehr sagen, als: "Es tut mir leid ..."
Misasagi & Priscilla
Misasagis Enthusiasmus schien die Kleine anzustecken. Sie war ganz aufgeregt und begeistert und lief freudig auf und ab. Wer hätte das gedacht. Wenn Murakumo das sehen könnte! Oder Hina! Beide meckerten ständig mit ihr, ihr Laden wäre zu kremplig und unaufgeräumt. So könne man keine Kunden anlocken, blablabla. Wenn sie das sehen könnten, wie begeistert die kleine Rosahaarige war. Das erfüllte das Halbwesen mit noch mehr stolz. "Woher ich das alles habe ...?" Das hätte die Kleine lieber nicht fragen sollen. "Komm ...!" Das Halbwesen schnappte ihre Hand und führte sie zu den Regalen. "Das sind seltene Edelsteine", verkündete sie und drückte der anderen, obwohl sie ebend gesagt hatte, sie soll nichts anfassen, einen Achat in die Hand. "Das ist ein Achat und das ist ein Aquamarin und hier habe ich noch einen Amethysten, die habe ich alle vom Ymir-Vulkan. Der ist immer eine Reise wert! Da findet man so viele tolle Edelsteine und Erze und ...", sie bückte sich und holte kurz darauf eine Reagenzglas in die Luft. "... und Eidechsen! Schau, die hab ich selbst konserviert!" Das Lächeln des Halbwesen reichte von einer Backe zur anderen. "Und schau hier im nächsten Regal, dass ist eine Meerjungfrauschuppe, die ich einer vor der Walinsel ..." abgemurkst habe ... upps!