[Tara] bei Marlin
Die Anspannung - wenn auch immer noch klar vorhanden - fiel etwas von ihr ab, als der Schwarzhaarige vor ihm tatsächlich mit einem weniger schroffen Tonfall ihrer Frage entgegnete. Sie versuchte ihre Intuition immer noch zu ignorieren. Wollte sich erzählen, dass sie hier nur mit einem Fremden redete, der sie zufällig an ihn erinnerte. Doch auch, wenn sie in der kurzen Zeit, die sie zusammen gelebt hatten fast keine Worte miteinander gewechselt hatten, so erinnerte sie sich doch an die Gespräche mit ihm und ihrer Mutter. An seine Stimme, seinen Tonfall, und es half ihr bei der Verleugnung auch ganz und gar nicht, dass er sich nicht mal einen neuen Haarschnitt oder Garderobe zugelegt zu haben schien. Es war schmerzhaft offensichtlich, dass es sich bei ihm immer noch um den gleichen Mann handelte, von dem er immer mal wieder Streitereien mit ihrer Mutter aus ihrem eigenen Zimmer hören konnte. Ruhig erklärte er ihr, wie sie zu dem Erdbeerfeld finden konnte, und sie schaute in die Richtung, in die er zeigte. Sie stellte sich unwillkürlich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, wo sie hinmusste, auch wenn es sowieso nicht dabei half, das Feld zu sehen, da ihr Blick von Tomatenpflanzen und Weizen verdeckt waren. Dass er dabei einen Schritt zurückmachte, beruhigte sie schließlich wieder ein wenig und sie fragte sich, ob er sie überhaupt erkannte. Hatte sie doch einen Fremden vor sich? War dies einer dieser Doppelgänger-Momente? Der Gedanke, dass er eventuell nicht wusste, wer sie war, brachte ihr ein wenig Frieden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt ein unangenehmes Gespräch führen musste, würde sich damit drastisch reduzieren. Ach, warum verhielt sie sich auch wieder so komisch? Am besten sie ließ sich nichts anmerken. Egal, ob er eine Ahnung hatte, oder nicht. Dass ihre eigenen Augen ein ziemlich offensichtlicher Identifikator waren, kam ihr tatsächlich nicht in den Sinn. "Oh, danke. Sorry, ich bin zum ersten Mal hier...", entschuldigte sie sich vorsichtig. Obwohl er schon nicht mehr so genervt schien wie zuvor, hatte sie eigentlich immer noch das Bedürfnis einfach wegzugehen, diesen Vorfall zu vergessen und ihr Leben weiterzuleben. Doch mittlerweile kannte sie sich zu gut. Sie würde es nicht einfach schulterzuckend von sich abschütteln und nachts ruhig schlafen können. Sie würde sich alle möglichen Sachen fragen und wieder bis in die Morgenstunden darüber grübeln, warum sie von keiner ihrer Eltern jemals das Gefühl hatte, wirklich gewollt zu sein. Dieser Gedankenstrang war eine Abwärtsspirale, die sie schon mehrere Male runtergerutscht war, und es brachte ihr nie irgendetwas Gutes. Direkt ansprechen wollte sie allerdings ebenfalls nichts, und so wollte sie nur die Fragen loswerden, die nichts mit ihrer Familie zu tun hatten. Wenn die Person vor sie sie wieder abwies, könnte sie wenigstens so tun, als hätte sie nur ein wenig Smalltalk machen wollen. "Und... was machst du eigentlich hier? Arbeitest du hier?" Der Augenkontakt zu ihm war immer noch etwas spärlich, aber sie tat ihr bestes, um sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollte lediglich wissen: warum jetzt? Was brachte ihn hierher? Zufall? Absicht? War es temporär, oder permanent geplant? Würde sie hier wieder auf ihn treffen? Wenigstens solche Kleinigkeiten würde sie gerne wissen, damit sie sich eventuell darauf vorbereiten konnte, dass sie ihm noch öfter über den Weg lief. Obwohl dieser Zufall vielleicht sowieso recht unwahrscheinlich war, da ihre Mutter auch schon seit Jahren hier mit ihr wohnte und sie sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Doch sicher war sicher. Und wenn solche kleinen Informationen ihren rasenden Kopf beruhigen konnte, wollte sie zumindest versuchen, ein ungezwungenes Gespräch zu führen.