[In einem der Empfangsräume] Rosalind Sophia & Bianca
Die Umarmung Sophias löste sich langsam wieder. Der Körperkontakt wurde weniger und nach und nach saßen dort wieder drei unterschiedliche junge Frauen. Keine Einheit. Jeder für sich und doch irgendwo eine Familie auch wenn sie ganz bestimmt nicht durch das Adjektiv familiär definiert werden würden. Eine Distanz herrschte zwischen den Mädchen gleich einer flüchtigen Bekanntschaft und irgendwie war es das auch. Sie waren alle nur Bekannte - keine Freunde - keine Familie. Sie erzählten einander ihre Sorgen nicht und Bianca war sich unsicher ob sie diese Distanz reduzieren wollte. Teilweise gab gerade diese fehlende Nähe ihr Wohlbefinden. Die unsichtbare Mauer, die sie sich in den Jahren aufgebaut hatte und in dessen Inneren sich nur sie selbst und ihre Zofe Tabatha befunden hatten - bis zu jenem Tag. Sie hatte sie verlassen. Alleine war das Mädchen mit den Korkenzieherlocken zurückgeblieben. Sie hatte versucht abzuschließen - hatte getrauert. Beinahe war es ihr gelungen und dann kam der Magier und machte dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Dem Lauf des Lebens. Geburt - Leben - Tod - Wiederauferstehung. Der Gedanke stieß ihr sauer auf. Der leblose Körper Tabathas erschien vor ihrem inneren Auge und es dauerte einige Momente um den Gedanken wieder zu vertreiben. Im nächsten Moment sah sie ihre Vertraute in ihrem Zimmer stehen - sie lebte. Sie war zurück. Es sollte alles gut sein aber das war es einfach nicht. Es gab so Vieles das gerade alles andere als gut war. Bianca schüttelte die Gedanken an ihre Freundin von sich. Ein Problem reichte doch. Es hatte keinen Sinn sich mit beiden Problemen zu beschäftigen. Wenn sie ehrlich war, wollte sie sich mit keinem von Beiden beschäftigen sondern sie bei Seite schieben und wieder zu der unbeschwerten Bianca zurückkehren, deren Launen man fürchtete.
Bianca hob ihren Kopf an als Rosalind ihre Frage beantwortete. Doch es blieb nicht bei einer Antwort. Natürlich kamen Gegenfragen. Sie hagelten regelrecht auf das wohlhabende Mädchen ein, drängten sie an die Wand. Die Tür öffnete sich und eine Bedienstete trat mit dem bestelltem Tee ein und stellte das Teeservice sorgsam auf dem edlen Tischchen ab. Wortlos schenkte sie den Damen des Hauses ein und platzierte das Kuchenstück direkt vor Fräulein Bianca. Mit einem leichten Knicks verlies die Namenlose den Raum wieder und lies die Tür hinter sich ins Schloss fallen. "Glaubst du das wirklich?" kam es aus dem Nichts. Die blauen Augen der Adelstochter fixierten Rosalind. "Glaubst du wirklich wir haben eine Wahl?" Ein Lachen drang aus der Kehle des Mädchens, ehe sie die Teetasse an ihre Lippen führte und an dem Heißgetränk nippte, ehe sie die Tasse wieder abstellte. "Es gibt Dinge, die man von uns erwartet und Dinge die damit nicht möglich sind." Sie hatte ihre Stimme etwas erhoben, glich wieder mehr der bekannten Bianca. Von dem verletzten Mädchen war kaum mehr etwas zu sehen. Sie hatte sie wieder hinter der Mauer versteckt, damit man sie nicht sehen konnte, damit man sie nicht schreien hören konnte. Bianca griff nach der Kuchengabel und stocherte sich ein Stück herunter um es im nächsten Moment in ihrem Mund verschwinden zu lassen. Nun meldete sich auch Sophia zu Wort. Nur langsam und zögerlich purzelten die Worte über ihre Lippen. Worte die man von ihr erwartete wenn man sie ein Stück weit kannte. Sie genoss den Reichtum nicht. Sie war diejenige die Mitleid mit den Armen hatte, sie war diejenige die am ehesten etwas für ihr Geld tun wollte. Das war es nicht was sie sich wünschte aber der Ausdruck im Gesicht ihrer Cousine zeigte Bianca, dass sie mit einer ähnlichen Intensität etwas begehrte, wie sie es tat. Ein Wunsch tief aus dem Herzen. Die Augenlider der verzogenen Göre senkten sich etwas und ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. "Ich wünsche mir die Wahl zu haben... einfach nur um zu sehen ob es etwas ändern würde..."